Grindhouse-Nachlese Januar 2020: "Mosquito – Der Schänder" und "Der Krieger und die Hexe"

18. Januar 2020: Grindhouse Double Feature, Cinema Quadrat Mannheim:

"Mosquito – Der Schänder", Schweiz 1977, Regie: Marijan Vajda

"The Warrior and the Scorceress" / "Der Krieger und die Hexe", USA 1984, Regie: John C. Broderick


Die Schweizer! Dieses gemütliche Völkchen hinter den sieben Bergen, mit Schokolade und Alm-Öhi und brüderlicher Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden, und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr! Und natürlich diesen Film, der, man fasst es nicht, ohne Erwin C. Dietrich produziert wurde! Und dessen Titel "Mosquito – der Schänder" auch noch komplett wahr ist, obwohl er sich so reißerisch anhört wie tausend andere Filme: Die Hauptfigur nennt sich Mosquito. Und sie ist ein Schänder, von Frauen, besser: von Frauenleichen. Denn der Moskito steigt nachts ein in Beerdigungsinstitute, in Leichenschauhäuser, und dort sucht er sich eine aus, die da im Sarge liegt, und liebkost sie. Sticht auch mal mit dem Messer in ihre Brust, um ihr Blut zu sehen – rote Milch, die ihn nähren soll. Denn das ist sein Liebstes: Den roten Lebenssaft aus den toten Körpern zu trinken, und hui, wie das Blut fließt, als sei es noch frisch!

Jetzt: Wer hat's erfunden? Nein, nicht die Schweizer: Der Film geht ziemlich akkurat dem Fall des "Würgers von Nürnberg" nach: Kuno Hofmann hatte sich Anfang der 1970er bluttrinkenderweis' an weiblichen Leichen vergangen und später ein Liebespaar ermordet, um auch deren Blut zu saugen. "Mosquito" ist ein Film darüber, nur ganz leicht von der Wirklichkeit versetzt.

Die namenlose Hauptfigur ist taubstumm – und das macht den Film zum natürlichen Nachfolger, war doch in der vorherigen Grindhouse-Nacht die stumme "Ms. 45" zu sehen gewesen, als Opfer, das zum Täter wird; hier nun Werner Pochath in einer doch recht intensiven Darstellung des Täters, der stets auch Opfer ist. Ein Buchhalter, penibel und genau, er ist ja nicht abgelenkt vom üblichen, laut plappernden Bürogeplänkel seiner Kollegen und der Kollegin, er bekommt zu Filmbeginn eine Gehaltserhöhung, weil er mit den Tabellen der Prä-Excel-Zeit so gut umgehen kann. Zuhause dann sieht er die Nachbarin, die sich wie immer das Maul über ihre Mitmenschen zerreißt, das Nachbarsmädel – die wohl jung sein soll, vom Verhalten her vielleicht 13, 14, gespielt aber von einer Frau an die 30 –, und der Handwerker im Erdgeschoss prügelt seinen Sohn, keiner greift ein.

Rückgriff auf Mosquitos Kindheit. Der Vater prügelt ihn wegen einer Kleinigkeit, mit dem Gürtel in der engen Stube, halb kaputt liegt der Junge da, an der Tür dann die kleine Schwester: "Papa, Papa", er nimmt sie in den Arm, auf dem Sofa schmiegt sie sich an ihn, er schmiegt zurück, schmust, betatscht sie, und wie er ihr die Unterhose unterm Nachthemd auszieht, das sieht der Junge mit Angst, Ekel und vielleicht auch Lust… Das ist eine krasse Szene, und sie muss so krass sein: Sie ist der Schlüssel für Mosquitos Taten, für sein ganzes Erwachsenendasein. Psychologie, Psychologieeee!

Mosquitos Wohnung ist voll mit Puppen. Schön angeordnet im Regal. Die Nachbarin beschwert sich, weil seine Wohnung so dunkel ist, sie kann gar nicht richtig durchs Fenster reingucken. In das "junge" Nachbarsmädel ist er verliebt. Aus der Werkstatt des Handwerkers leiht er sich einen Hammer; und ein paar dicke Drähte. Aus denen formt er sich ein paar Dietrichs – wenn schon Erwin C. nicht dabei ist –, mit denen bricht er nächtens in Leichenhallen ein. Dazu läuft jazzig-psychedelische Orgelmusik, ja: Der Soundtrack des Films ist absolut bemerkenswert!

Was sich reißerisch anhört – Leichenschändung! Blutdurst! –, behandelt der Film als ein Porträt des Alltags: Er folgt schlicht dem Täter und ist damit anderen Filmen weit voraus; "Henry: Portrait of a Serial Killer" lief auch mal in der Grindhouse-Reihe… Marjan Vajda – den die Schweizer aus Kroatien importiert haben – beobachtet ganz ruhig die Untaten und kontrastiert die (psychische) Erlebniswelt des Mosquitos mit seinem gleichgültigen bis feindseligen gesellschaftlichen Umfeld: Ja, der Film ist tatsächlich Drama.

Aber auch Bahnhofskino. Blutrünstige Szenen mit den Leichen, ein brutaler Mord, zwischendurch fällt eine von Mosquitos Puppen vom Balkon und liegt zerstört auf dem Beton, grässlich anzusehen und ein Vorausblick auf das "junge" Mädchen, das irgendwann auf dem Dach tanzt und abstürzt – die Bestürzung darüber treibt Mosquito noch mehr an. Zwischendurch auch ein paar Sexszenen, weil Mosquito eine vom Strich aufließt, die dann sauer ist, weil er nichts mit ihr anfängt, später guckt er im Puff einer langen Lesbenszene zu, vernünftiges Sexleben hat er halt nicht. Dafür kauft er sich im Medizinerladen ein Glasröhrchen, das sich auf der einen Seite gabelt, damit sticht er in die Leichen ein, um noch besser Blutsaugen zu können – mit seinen Puppen hat er's zuhause geübt.

Mosqito ist einer der unauffälligen Menschen, einer der stillen Nachbarn, denen man "so etwas" nie zugetraut hätte.

Ruhig geht auch der zweite Film des Abends an: Felslandschaft, ein Mann in brauner Kutte, zwei Sonnen am Himmel. Ein paar kleine Gestalten lugen um die Steine. Das könnte ein Jediritter sein auf dem Weg in die Eremitage, beobachtet von ein paar Ewoks. Ist aber David Carradine, der Krieger, der in eine Stadt kommt, in der um einen Brunnen gestritten wird: Wir sind auf irgendeinem Planeten, und dort geht es mittelalterlich zu und gleichzeitig sci-fi-mäßig, und vor allem nackig. "Der Krieger und die Hexe" hört sich vom Titel her wie ein Disneyfilm an, sieht aus wie ein merkwürdiges "Star Wars"-Spinoff und ist in Wirklichkeit ein weiteres "Yojimbo"-Remake, in dem Regisseur John C. Broderick in eine an Leone angelegte Filmästhetik wieder den Kurosawa-Schwertkampf eingefügt hat, als Beitrag zum "Sword and Sorcerer"-Genre, das in den 80ern wieder mal aufkam: Mittelalter-Fantasy mit Kampf und Nackedeis.

Es geht um einen Brunnen, der liegt auf dem Dorfplatz, links und rechts die Herren, die das Dorf je zur Hälfte im Griff haben, der eine hat den Brunnen erobert, der andere hat Geld, es ist ein fragiles Gleichgewicht, dahinein platzt der Krieger Kain, der die beiden gegeneinander ausspielt… Wenn der Brunnen mal von der einen Seite erobert wird, kommen die gnomenhaften, in Säcken gehüllten Bewohner der Stadt aus ihren Höhlen gekrochen und holen Wasser, und am Brunnenrand tanzen nackte Damen im Tanga. Und der eine der Herrscher – der harte Zeg – hat eine Frau in seiner Gewalt, Naja heißt sie, die die ganze Zeit ziemlich nackig rumläuft, im Tanga, der auch mal die Farbe wechselt. Und irgendwie kennt Kain sie von früher, sie soll irgendeinen Zauber tun, es ist wurscht, Hauptsache ihre wohlgeformten Brüste sind schön im Bild.

Auf der anderen Seite des Dorfplatzes liegt Bal Caz in seinen Kissen, er ist fett und sieht aus wie der Kalif, hat aber die bösartige Seele von Isnogud. Und ein echsenartiges Maskottchen, das ist irgendwas Außerirdisches, so 'ne Art Schoßleguan, der aber zischend kommunizieren kann und ehrlich gesagt total lächerlich aussieht, wenn er aufrecht rumläuft. Auf dieser Seite der Macht gibt’s ne Menge nackter Damen, wohl so was wie ein Harem, aber nicht so prominent in Szene gesetzt wie unsere Busen-Naja. Eine vierbrüstige Dame macht mal 'nen Lapdance für Kain und will ihn mit einen Stachel, der aus ihrem Bauch rauskommt, töten.

Einen weisen Priester gibt's auch, der ist neutral, Clint Eastw David Carradine kommt bei ihm ab und zu unter, und irgendwann machen sie eine Klappe im Felsen (!) auf und verstecken sich dahinter und da ist der Zugang unter den Brunnen (!) und die Wasserversorgung kann gekappt werden, nach Bedarf. Einen Sklavenhändler gibt es auch, der hat auch viele schöne Frauen (nackt) dabei. Irgendwann wird dessen Gefolge vergiftet. Irgendwann fällt eine nackte Frau (ohne Tanga) in ein Aquarium, weil der böse Zeg sie töten will, und dort ertrinkt sie dann qualvoll, wir sehen das in ganzer Länge, Zeg will damit Kain beeindrucken. Zeg hat einen bösen Handlanger, der ist Kains Feind. Immer wieder mal wird gekämpft. Die nackte Naja und Kain heiraten am Ende nicht, weil Kain weiterziehen muss, nachdem die Bösewichter sich gegenseitig abgeschlachtet haben oder vom Sklavenhändler abgeschlachtet wurden oder dann am Schluss von Kain selbst.
Roger Corman steckt hinter dem Film, er hat ihn mit Argentinien coproduziert, weil er von dort so viele schöne nackte Frauen in den Film stecken konnte. Ein tolles Erlebnis.

Harald Mühlbeyer


Grindhouse-Nachlese Dezember 2019: Rape&Revenge, Söldnerquatsch und Weltuntergang


6. Dezember 2019: Grindhouse Triple Feature, Cinema Quadrat Mannheim:


"Ms. 45" / "Die Frau mit der 45er Magnum", USA 1981, Regie: Abel Ferrara

"Scorticateli vivi" / "Häutet sie lebend – Unternehmen Wildgänse", Italien 1978, Regie: Mario Siciliano

"Nosutoradamusu no daiyogen" / "Weltkatastrophe 1999? – Die Prophezeiung des Nostradamus", Japan 1974, Regie: Toshio Masuda



Ein Klassiker, keine Frage. Es gibt Bücher über Abel Ferrara, es gibt im Deutschen zumindest ein Buch über das Rape&Revenge-Genre, "Girls with  Guns" genannt von Julia Reifenberger, die sich recht ausführlich über "Ms. 45" aka "Die Frau mit der 45er Magnum" auslässt, diesem Film, in dem Ferrara explizit "eine omnipräsente Bedrohung von Frauen durch männliche sexualisierte Gewalt" inszeniert: Thana ist stumm, und deshalb schreit sie nicht, als sie im New Yorker Hinterhof bei den Mülltonnen vergewaltigt wird. Ist Schweigen Zustimmung? Scheint so, für die Männer in dem Film, denn gleichzeitig bricht auch einer in ihre Wohnung ein – das durch und durch kriminalisierte New York der frühen 80er! –, und als sie ihn erwischt, vergewaltigt er sie auch noch. Sie schreit nicht. Erwischt aber ihr Bügeleisen und erledigt ihn… Nach einigem Zögern und einigen Skrupeln zersägt sie ihn in der Badewanne und packt ihn stückweise in den Kühlschrank, um ihn nächtens Teilchen für Teilchen, so wie der Mörder in "Rear Window", in der ganzen Stadt zu verteilen.

Thana arbeitet bei einem Schneider, einem flamboyanten Modeschöpfer, dem das erratische Verhalten von Thana in Folge der erlittenen Widerwärtigkeiten nicht entgeht und der vorderhand freundlich sie bittet, sich zu öffnen, sich zu entspannen, in Wirklichkeit aber nur schwer verhohlen mit Entlassung droht, wenn sie nicht weiter am Schneidertisch funktioniert – ein perfekt gesetzter kleiner Seitenhieb auf den Kapitalismus, auf "Hire and Fire", auf Hierarchie und Abhängigkeit, auf ökonomische Bedrängung, die sich später nicht von ungefähr zu erotischer Zudringlichkeit ausweiten wird, das ist von Vornherein klar. Aber zuvor geht Thana einen Wandel durch. Sie ist ein schüchternes Ding, ein Mauerblümchen, nicht nur stumm, jetzt auch traumatisiert. Nachts aber legt sie Schminke an und geht auf Jagd. Sie hat ja die 45er des Einbrechers. Und nachts, wenn sie zur Mrs. Hyde wird, sind die Männer nicht sicher vor ihr, dann ist sie eine andere, sie ist hart und kaltblütig und zielstrebig.

Sie wird überfallen, das bekommt den Übeltätern nicht. Sie wird von einem notgeilen Fotografen angequatscht, folgt ihm ins Atelier, aber nicht er kommt zum Schuss. Aber auch: Sie folgt einem, der seiner Freundin nachrennt, und er entkommt, unwissentlich, nur knapp – da sind wir froh. Oder: Sie sitzt in der Bar, in Nylon und Make-up, und einer labert sie zu, erzählt seine Leidensgeschichte an den Frauen. Später, und das ist ein großartiges Bild, sitzen sie auf einer Bank an der Brooklyn Bridge, und nein: Abel Ferraras New York ist nicht das Manhattan von Woody Allen. Da sitzen sie, und sie zieht die Pistole, und sie hat Ladehemmung, und er nimmt die Waffe, setzt sie an die Schläfe, und PAM.

Thanas Weg ist klar gezeichnet. Den Kopf des Einbrechers, das letzte Körperteil, stellt sie in ihrer Garderobe ab, damit die neugierige Nachbarin ihn findet – was für eine Nachbarin! –, während sie auf dem Betriebs-Maskenfest, als Nonne verkleidet, ihr Finale absolviert. Alles, von Beginn des Traumas an, war ein von Leichen gepflasterter Weg in den erweiterten Suizid, nun, kostümiert, lässt sie sich vom Chef betatschen und gibt ihm Saures, dann gibt’s Amok, dann endet der Film.

Und der nächste beginnt. Ich bin ja generell der Meinung, dass Filme, die als "zynisch" charakterisiert werden, normalerweise nicht zynisch sind. Sei's Billy Wilder oder Quentin Tarantino: Allenfalls, was und wen wir auf der Leinwand sehen, sind Zyniker, die Zynisches tun; der Film selbst aber ist in der Regel nicht zynisch, er zeigt, aber er affirmiert nicht, zumindest nicht auf dem Grund seiner Ironieschichten. Ja: Die Unterscheidung zwischen Figurenrede und Autorenrede fällt vielen nicht leicht, das Verstehen von Lakonie oder Sarkasmus, oder auch die Unterscheidung zwischen einem Täter und einem Boten der Tat – da wird leicht fälschlicherweise  das Gezeigte zur Eigenschaft des Films.
"Häutet sie lebend – Unternehmen Wildgänse" aber ist durch und durch zynisch, ein böser, böser Film, der es besser weiß, aber trotzdem das Böse schafft. Eine geradezu unerträgliche Story von italienischen Söldnern ist Afrika, die nichts als Verachtung vergießen, die gegen all die Paviane, die schwarzen Gauner, das Negergesocks mit äußerster Brutalität und Grausamkeit vorgehen, wie ein ungezogener Bengel Ameisen zertritt, und während draußen vor den Strohhütten das Massaker zu hören ist mit MGs und Schreien, da muss man zusehen, wie dem Kommandeur plötzlich der Blick starr wird vor geilem Begehren, wie er fies zu grinsen beginnt, und die Kamera bleibt bei ihm, wie er sich bereit macht, um dann, im letzten Moment, zur Seite zu schwenken, zur Frau in Todesangst, um dann die fällige Vergewaltigung in aller Ausführlichkeit zu zeigen, während draußen das Sterben ihres Dorfes zu hören ist.

Der Bruder des Söldnerchefs hat Trouble in Italien mit der Drogenmafia, hat wohl Geld unterschlagen und flieht in den Schwarzen Kontinent, und weil der Kommandeur, dieser Kriegsverbrecher, von den Einheimische gefangengenommen wurde – und nicht etwa gelyncht, sondern vor Gericht gestellt werden soll! –, zieht der Bruder mit dem Trupp durch die Lande, weiter kräftig mordend und vergewaltigend, zur Befreiung.

Wie der Film sich auf die Seite der Verbrecher mit den MPs schlägt! Wie er Unschuldige töten lässt! Wie er das auch ausweidet, wenn ein junges Pärchen dem Mördertrupp in den Weg gerät, der Junge direkt getötet wird, und dann im Eisenbahnwaggon ums Vergewaltigen des Mädchens geschachert und gestritten wird, mit tödlichem Ausgang. Und wie dann Horden von Negern, viele von ihnen Kinder, den Waggon angreifen, und wir sehen mit den Augen der Söldner nur wilde Tiere, die als Zielscheiben dienen, völlig entmenschlichtes Futter für die Handgranaten; dazu als Filmmusik eine Bassline, die von "In-A-Gadda-Da-Vida" geklaut ist, Psychodelic-Rock zum Gemetzel – er ist entsetzlich, dieser Film, und will dabei zwischendurch ganz heuchlerisch noch Gefühl und Romanze einbauen, wenn die Bruder-Hauptfigur an die Geliebte in Rom denkt, die er in der Anfangssequenz übrigens höchst degradierend behandelt hat…

Aber Schwamm drüber. Es geht ja besser, es gibt ja den Weltuntergang. "Weltkatastrophe 1999?" ist tatsächlich so etwas wie eine Literaturverfilmung! Nostradamus' Prophezeiungen werden in Film gegossen, in japanischen Film, aber nicht nur das: Man bringt auch noch tatsächlich faktische Lehren über das Ende des Wachstums unter und ein paar krasse Exploitationszenen – eine höchst eigenwillige und durchweg unterhaltsame Nummer! Auch – oder gerade? – wenn der Film von ursprünglich fast zwei Stunden Lauflänge auf 80 Minuten runtergeschnippelt und mit wer was wie genauer Synchro bedeckt wurde. Wurscht!

Am Anfang ein Labor, und der Oberwissenschaftler mahnt vor den neuen Pflanzenschutzmitteln, und seine Kollegen tun das als Gewäsch ab, und wer da nicht an Monsanto denkt! Später werden wir sehen, was draus werden kann, Riesenschnecken, derer die Feuerwehr nur mit Hilfe von Flammenwerfern Herr werden kann, zum Leidwesen unseres Wissenschaftlers, der die Schnecks ja sezieren will und der so gerne Nostradamus zitiert. Aber der Agrarstrang ist nur Nebensache, tatsächlich geht es um alles, um Sonne und Atome und um die ignorante, alles verharmlosende Regierung und um eine Liebesstory am Rande des Weltenabgrunds, man kann's gar nicht alles benennen.

Manches scheint durchaus wissenschaftlich unterfüttert, schön mit animierten Schaubildern, Stand Anfang der 1970er wohlgemerkt. Da wird dann der Treibhauseffekt beschrieben, mit (wenn ich mich recht erinnere) kleinem Denkfehler, dass nämlich die Atmosphäre die Sonnenstrahlung abhält und es daher immer kälter wird… Und dann gibt es da die Concorde-Maschine hoch oben fliegend, an deren Rumpf sich im Flug Eiskristalle bilden, die dann zerbirst und damit die Ozonschicht zerstört, weshalb unten alles ganz heiß wird und wer auf die Straße tritt unweigerlich verbrennt! Ja, ein ganzer Hafen fliegt deswegen in die Luft.

Und dann gibt's da den schönen Blödsinn einer Exkursion auf eine Dschungelinsel, die Forscher sind im Sumpf unterwegs und werden von riesigen, atomar mutierten Vampirfledermäusen angegriffen, hu, was für Biester mit was für Hauern im Maul! Und im Sumpf lauern Blutegel, ebenfalls atomar so verseucht, dass einem, der befallen wurde, das Gehirn wegschmilzt im nächtlichen Zelt. Und nicht nur das: Außen greifen Kannibalen an, und das gibt's eigentlich erst ein paar Jahre später im italienischen Film! In einer Höhle die Überreste der vorherigen Expedition, skelettierte Menschen, die aber noch einigermaßen leben, es ist furchtbar, was das Atom anrichtet!

Schließlich, einer der schönsten Momente: Durch die Erhitzung wird die obere Atmosphäre zum Luftparabolspiegel, und die Stadt spiegelt sich im Himmel auf so verzerrt-verbogene Weise, dass wir uns in "Inception" wähnen. Am Ende natürlich behält Nostradamus recht, auch weil vieles explodiert und, "99 Luftballons" vorwegnehmend, ein General 'ne Fliegerstaffel hinterherschickt, ach nee: Es öffnen sich die Schächte, die Raketen heben ab und bomben den Planeten in Grund und Boden, bis dann in der übriggebliebenen Felsenwüstenei zwei nicht mehr menschliche Wesen sich erheben, halb Gollum und halb Burli, und die Dystopie ist aus, mit der Mahnung, dass es so geschehen wird wie vor 500 Jahren schon geschrieben stund!

Harald Mühlbeyer