Michael Pfeifers "Todespolka";
Sophie Heldmans "Satte Farben vor Schwarz"
Das Programm der diesjährigen Filmtage reißt nicht vom Hocker. Ja: "Black Swan" ist ein Meisterwerk, über das ich wegen Überwältigung nur Gestammel herausbringe; und Mike Leighs "Another Year" ist ein großartiger, beglückender Film, ein Blick auf das Leben eines glücklichen, alten Ehepaares im Lauf eines Jahres - ein bisschen wie "Happy-Go-Lucky" im Seniorenmilieu. Großes Kino, dem aber einige Filme entgegenstehen, die nicht einmal mehr Durchschnitt sind.
Krassestes Beispiel: Die österreichische Politsatire "Todespolka" von Michael Pfeifenberger. Die rechtspopulistische, neofaschistische Bürgerpartei hat in Österreich die absolute Mehrheit gewonnen, stellt mit Sieglinde Führer eine Kanzlerin, die durchgreift: Austritt aus der EU, Wiedereinführung des Schilling, Todesstrafe, Straflager. Innere Sicherheit ist ihr Programm, und das ist vielleicht das einzige im Film, was ansatzweise gut ist: dass sie stets, wenn sie im Fernsehen oder in den Nachrichten zu sehen oder zu hören ist, diese höchst überschaubare Agenda wiederholt; kennen wir nicht ähnliches bei "normalen" Politikern und einem "normalen" Programm? Immer das gleiche sagen, bis jeder es glaubt: das hätte ein Haken sein können, an dem eine wirkliche bissige Satire aufgehängt hätte werden können.
Stattdessen beschränkt sich Pfeifenberger, sichtlich aus der Not eines dürftigen Budgets geboren, auf ein paar Vororthäuser, wo die ganz normalen Menschen leben. Wobei die Häuser ganz offensichtlich nur ein Haus waren, filmisch gedoppelt und mit verschiedenen Darstellern und Hausnummern bestückt. Man sollte auch nicht glauben, dass irgendjemand Wert auf Casting gelegt habe, die Darsteller wurden offenbar willkürlich ihren Rollen zugeteilt. Die Rollen sind im übrigen nicht funktional durchdacht, sondern völlig austauschbar und willkürlich zusammengeschustert. Wie ja auch die Handlung sich nicht durch innere Logik und Kausalität auszeichnet, sondern unmotiviert und unzusammenhängend sich einfach irgendwie ergibt.
Man hätte jedenfalls etwas machen können aus dem Ansatz; limitiert sich aber ohne Not selbst, um lediglich kleinbürgerliche Vorurteile, alltäglichen Rassismus, Stammtischgerede zu proträtieren. Bissig oder wenigstens witzig ist das nie. Ich habe etwas getan, was ich sonst niemals tue: ich bin 20 Minuten vor Schluss rausgegangen.
Um nämlich den Anfang von Sophie Heldmans "Satte Farben vor Schwarz" nicht zu verpassen. Das ist Schauspielerkino mit Senta Berger und Bruno Ganz als altes Ehepaar, das merkt, dass es irgendwie in verschiedene Richtungen unterwegs ist. Elegant, ruhig, ordentlich, gediegen ist ihre Welt, entsprechend auch die Inszenierung - was natürlich durch den Inhalt gerechtfertigt ist. Wenn sich die beiden entfremden, geht es nicht um das Niederreißen von Fassaden, hinter denen der Abgrund lauert, nicht um den Ausbruch all des Frustes, der jahrzehntelang in sich hineingefressen wurde, sondern um die Routine von Liebe und Ehe, die langsam verändert werden muss. Ein Anpassungsprozess, der die sprachlos gewordenen Eheleute wieder zueinanderführt - das ist durchaus gut inszeniert und gespielt; wohl auch deshalb, weil Ganz und Berger sich sichtlich nicht bemühen, sondern das spielen, was sie sind: alte Leute.
Am Ende finden sie sich wieder. Und dann kippt der Film, in seinen letzten Minuten, und wahrscheinlich hat Heldman, Jahrgang 1973, das gar nicht beabsichtigt, dass nun einer lebensfeindlichen, lebensnihilisierenden, lebensverachtenden Philosophie das Wort geredet wird: denn in diesem Moment des höchsten Glückes als Ehe- und Liebespaar bringen sich die beiden einfach um. Nicht wegen Sterbehilfe bei Krankheit, wegen Selbstbestimmung von Leben und Tod, sondern einfach weil man aufhören soll, wenn's am Schönsten ist; also die Bebilderung eines der doofsten Sprichwörter, die es gibt. Und man fragt sich: wenn die beiden, die noch jahrelang zusammen hätten glücklich leben können, sich hier nun umbringen, und der Film das auch bejahend propagiert, weil es ja aus Liebe und Glück geschieht: warum sollte ich nicht einfach auch Selbstmord begehen, wenn ich mal einen sehr, sehr, sehr guten Film gesehen habe? Wenn ich das Gefühl habe: besser wird's nicht?
Die Antwort - die "Satte Farben vor Schwarz" verneint, an die Heldman nicht gedacht hat - lautet natürlich: weil immer der nächste Film, der nächste Tag, der nächste Gedanke der beste ist. Bis sich das Gegenteil erweist.
Weshalb auch mir die Hoffnung bleibt für die heutigen Filme; und für einen ausführlichen, lesenswerten, gedanklich scharfen und stilistisch hervorragenden Blogbeitrag morgen, wenn ich hundemüde im Zug sitze.
Harald Mühlbeyer
Sophie Heldmans "Satte Farben vor Schwarz"
Das Programm der diesjährigen Filmtage reißt nicht vom Hocker. Ja: "Black Swan" ist ein Meisterwerk, über das ich wegen Überwältigung nur Gestammel herausbringe; und Mike Leighs "Another Year" ist ein großartiger, beglückender Film, ein Blick auf das Leben eines glücklichen, alten Ehepaares im Lauf eines Jahres - ein bisschen wie "Happy-Go-Lucky" im Seniorenmilieu. Großes Kino, dem aber einige Filme entgegenstehen, die nicht einmal mehr Durchschnitt sind.
Krassestes Beispiel: Die österreichische Politsatire "Todespolka" von Michael Pfeifenberger. Die rechtspopulistische, neofaschistische Bürgerpartei hat in Österreich die absolute Mehrheit gewonnen, stellt mit Sieglinde Führer eine Kanzlerin, die durchgreift: Austritt aus der EU, Wiedereinführung des Schilling, Todesstrafe, Straflager. Innere Sicherheit ist ihr Programm, und das ist vielleicht das einzige im Film, was ansatzweise gut ist: dass sie stets, wenn sie im Fernsehen oder in den Nachrichten zu sehen oder zu hören ist, diese höchst überschaubare Agenda wiederholt; kennen wir nicht ähnliches bei "normalen" Politikern und einem "normalen" Programm? Immer das gleiche sagen, bis jeder es glaubt: das hätte ein Haken sein können, an dem eine wirkliche bissige Satire aufgehängt hätte werden können.
Stattdessen beschränkt sich Pfeifenberger, sichtlich aus der Not eines dürftigen Budgets geboren, auf ein paar Vororthäuser, wo die ganz normalen Menschen leben. Wobei die Häuser ganz offensichtlich nur ein Haus waren, filmisch gedoppelt und mit verschiedenen Darstellern und Hausnummern bestückt. Man sollte auch nicht glauben, dass irgendjemand Wert auf Casting gelegt habe, die Darsteller wurden offenbar willkürlich ihren Rollen zugeteilt. Die Rollen sind im übrigen nicht funktional durchdacht, sondern völlig austauschbar und willkürlich zusammengeschustert. Wie ja auch die Handlung sich nicht durch innere Logik und Kausalität auszeichnet, sondern unmotiviert und unzusammenhängend sich einfach irgendwie ergibt.
Man hätte jedenfalls etwas machen können aus dem Ansatz; limitiert sich aber ohne Not selbst, um lediglich kleinbürgerliche Vorurteile, alltäglichen Rassismus, Stammtischgerede zu proträtieren. Bissig oder wenigstens witzig ist das nie. Ich habe etwas getan, was ich sonst niemals tue: ich bin 20 Minuten vor Schluss rausgegangen.
Um nämlich den Anfang von Sophie Heldmans "Satte Farben vor Schwarz" nicht zu verpassen. Das ist Schauspielerkino mit Senta Berger und Bruno Ganz als altes Ehepaar, das merkt, dass es irgendwie in verschiedene Richtungen unterwegs ist. Elegant, ruhig, ordentlich, gediegen ist ihre Welt, entsprechend auch die Inszenierung - was natürlich durch den Inhalt gerechtfertigt ist. Wenn sich die beiden entfremden, geht es nicht um das Niederreißen von Fassaden, hinter denen der Abgrund lauert, nicht um den Ausbruch all des Frustes, der jahrzehntelang in sich hineingefressen wurde, sondern um die Routine von Liebe und Ehe, die langsam verändert werden muss. Ein Anpassungsprozess, der die sprachlos gewordenen Eheleute wieder zueinanderführt - das ist durchaus gut inszeniert und gespielt; wohl auch deshalb, weil Ganz und Berger sich sichtlich nicht bemühen, sondern das spielen, was sie sind: alte Leute.
Am Ende finden sie sich wieder. Und dann kippt der Film, in seinen letzten Minuten, und wahrscheinlich hat Heldman, Jahrgang 1973, das gar nicht beabsichtigt, dass nun einer lebensfeindlichen, lebensnihilisierenden, lebensverachtenden Philosophie das Wort geredet wird: denn in diesem Moment des höchsten Glückes als Ehe- und Liebespaar bringen sich die beiden einfach um. Nicht wegen Sterbehilfe bei Krankheit, wegen Selbstbestimmung von Leben und Tod, sondern einfach weil man aufhören soll, wenn's am Schönsten ist; also die Bebilderung eines der doofsten Sprichwörter, die es gibt. Und man fragt sich: wenn die beiden, die noch jahrelang zusammen hätten glücklich leben können, sich hier nun umbringen, und der Film das auch bejahend propagiert, weil es ja aus Liebe und Glück geschieht: warum sollte ich nicht einfach auch Selbstmord begehen, wenn ich mal einen sehr, sehr, sehr guten Film gesehen habe? Wenn ich das Gefühl habe: besser wird's nicht?
Die Antwort - die "Satte Farben vor Schwarz" verneint, an die Heldman nicht gedacht hat - lautet natürlich: weil immer der nächste Film, der nächste Tag, der nächste Gedanke der beste ist. Bis sich das Gegenteil erweist.
Weshalb auch mir die Hoffnung bleibt für die heutigen Filme; und für einen ausführlichen, lesenswerten, gedanklich scharfen und stilistisch hervorragenden Blogbeitrag morgen, wenn ich hundemüde im Zug sitze.
Harald Mühlbeyer