Grindhouse-Nachlese: Zombie am Glockenseil und Frauen für Satan

„Seven Women for Satan“ / „Les Week-Ends Maléfiques du Comte Zaroff”, F 1974, Regie: Michel Lemoine

“City of the Living Dead” / “Ein Zombie hing am Glockenseil” / "Paura nella città dei morti viventi", I 1980, Regie: Lucio Fulci


Ein Priester hat sich erhängt, im Kaff Dunwich irgendwo jottwede, zugleich erleidet in New York eine junge Frau, Mary, während einer spiritistischen Séance einen Anfall und stirbt; und die Toten steigen aus ihren Gräbern: auf dem Friedhof in Dunwich buchstäblich, in New York wird Mary, in totenähnlicher Trance lebendig begraben, gerade noch aus dem schon vergrabenen Sarg gerettet. Die Tore der Hölle haben sich geöffnet, erklärt das Geisterseher-Medium, wie es im uralten Buch Enoch vorhergesagt ist. Im Übrigen liegt Dunwich auf den Ruinen der Hexenstadt Salem.

Man darf gar nicht darüber reden, was am Abend des 18. September im Mannheimer Cinema Quadrat vor sich ging. Denn Lucio Fulcis Film „Ein Zombie hing am Glockenseil“, gezeigt in der englischen, ungeschnittenen Fassung titels „City of the Living Dead“, ist in Deutschland indiziert und damit verboten – zumindest auf dem Video- und DVD-Markt. Was ist so besonderes an diesem Film, warum darf keiner ihn sehen? Folgt man Wikipedia und diversen Internetrezensionen, war der Aufruhr, den der Film Anfang der 1980er entfachte, vor allem auf einen ZDF-Bericht über gewalttätige Filme im neu aufkommenden, noch weitgehend ungeregelten Videomarkt zurückzuführen – der sich im Speziellen auf eine sehr explizite, grausame Tötungsszene kaprizierte, die Fulci etwas unglücklich als kritische Referenz auf den Faschismus deutete… Dabei ist die Sache an sich recht eindeutig: Der von der Dorfbevölkerung (zu Unrecht) als Mörder vorverurteilte Ben ist auf der Flucht, pennt in einem Auto in einer unabgeschlossenen Garage, wird morgens von einer Bekannten (die keinen BH trägt, huhu) entdeckt und angeflirtet, woraufhin deren Vater Ben packt, ihn auf die Zuführleiste einer enormen Bohrmaschine legt (die zuvor schon unheilvoll ihre Spitze der Kamera entgegenreckte) und langsam, aber stetig Bens Kopf dem sich drehenden Bohrer entgegenzwingt, der in seine Wange eindringt, durch den Kopf bis auf die andere Seite durch. Ohne Gefühlsregung des Mörders, mit der Verzweiflung in den Augen des machtlosen Opfers zeigt Fulci fast schon genüsslich den gesamten Vorgang, ein reiner reißerischer Gewaltakt, den er da zum Amüsement der Splatterfans, zum Schrecken der Moralwächter inszeniert.

Doch dann ist da noch ein anderer Aspekt, einer, der tiefer und weiter greift als die bloße Brutalität der Szene. Denn Ben, mit rotentzündeten Augen, apathischem Blick, schlurfendem Gang, hinkendem Bein entspricht im Grunde ganz der Physiognomie und Motorik von Zombies; ohne einer zu sein. Der Priester, der sich erhängte und die Zombieplage damit (wie auch immer) auslöste, hat in seinem schwarzen Anzug, dem blassen Teint, den durchdringenden Augen den Habitus der klassischen Vampirdarstellung; ohne einer zu sein. Die Untaten der Zombies sind aus allen möglichen Versatzstücken des Genres zusammengestückelt: eine vergammelte, wurmbefallene, stinkende Schleimmasse als Hinterlassenschaft ist das, was von einem ihrer Opfer übrigbleibt; andererseits ist eine beliebte Methode auch das Zerquetschen des Kopfes und Herauspressen von Gehirnmasse; wie auch, ganz klassisch, das Auffressen der menschlichen Beute. Der Zombie-Priester hat sich spezialisisert: Auf einem klassischen Makeout-Spot halten Teenager ein klassisches Schäferstündchen im Auto, fummeln ein wenig, als der untote Pater erscheint und starrt; einfach nur starrt. Bis die Augen des Mädels zu bluten anfangen, immer mehr, und zu den roten Tränenflüssen sich auch noch das gesellt, was das Mädel auskotzt: ihre eigenen Innereien. Einen Angriff mit der biblisch erscheinenden Plage millionenfacher Maden gibt es auch; und die Zombies können überdies durch den Raum springen, eine Art Telekinese: von hier nach da, ohne Zeitverlust.

Fulci zelebriert also ein Verschieben, ein Übereinanderschieben verschiedener Horror-Szenarien, ergänzt durch historisch vertiefende Mythen wie der Salem-Hexenrausch oder 4000 Jahre alte Prophezeihungen, durch Spiritismus und das Begräbnis einer Scheintoten. Was alles gar nicht zueinanderpassen will, so dass in dieser Gemengelage auch locker die monolithische Mordszene an Ben ihren Eingang findet in diesen Film, ihre Nische, ihre Daseinsberechtigung. Der Schock kommt dabei vor allem aus der Masse des indisparaten Horrorkabinetts – und aus der unheimlichen, untergründigen Verunsicherung, die Fulci erzeugt, vielleicht beabsichtigt, vielleicht als Nebenprodukt des Horrorgemischtwarenladens, den er mit dem Film eröffnet hat.

Es gibt klare Erwartungen im Horrorgenre: dass das Teenager-Liebespärchen eines schrecklichen Todes sterben wird ist ebenso klar wie die schlussendlichen Tötungen der Kneipenhocker, dörfliche Spießer, die Fulci als prädestinierte Opfer einführt und deren vorgeahnte Tode er auch erfüllt.

Doch dazu kommt die zu Anfang stark kontrastierende Dramaturgie, die von Ort zu Ort, von Person zu Person, von Unheimlichkeit zu Comic Relief springt, ohne dass der Zuschauer diese Einzelteile zu einem Ganzen zusammensetzen könnte, so dass er gar nicht weiß, woran er eigentlich ist. Und dazu kommen insbesondere die unerwarteten, unerwartbaren Todesfälle: scheinbare, wie im Fall der Unheil vorhersehenden Mary, die in todesähnliche Trance fällt, noch ehe man bemerkt, dass sie eine der Hauptpersonen wird. Und tatsächliche: Todesfälle, die auch gerne Hauptfiguren, ja Helden betreffen. So dass sich der Zuschauer letztendlich an nichts festhalten kann, weil alle festen Kategorien, alle personalen Sicherheiten wegfallen: wirklich jeder kann der nächste Tote im Film sein, ungeachtet der Rolle, die er darin spielt; Hitchcocks „Psycho“-Clou der Ermordung der Hauptfigur in Permanenz. Und das bewirkt eine viel tiefere Verstörung im Zuschauer als die oberflächlichen (und einfach zu kritisierenden) Gewaltszenen. Dass Fulci dem Zuschauer, der sich auf sicherem Genre-Gebiet zu befinden meint, den Boden derart fundamental unter den Füßen wegzieht: Das macht aus „Ein Zombie hing am Glockenseil“ schon wieder so etwas wie ein Meisterwerk in seiner Sparte.

Im Gegensatz dazu: „Seven Women for Satan“ von Michel Lemoine. Dass der Teufel nicht vorkommt, sondern nur sensationsheischend in den Titel gesetzt wurde, ist ja erwartbar; aber es sind halt auch keine sieben, sondern nur sechs Frauen, die der grausame Graf Zaroff auf dem Gewissen hat – schon von Anfang an ist der Film also falsch! Diese Frauen immerhin sind weitgehend nackig, das hat schon mal was – wobei leiderleider die anscheinend enorme Oberweite von Martine Azencot nicht recht ins Bild gerückt wird, auch nicht, wenn sie sich autoerotisch mit einer Federboa im Bett räkelt, während der Graf sie durch einen Einweg-Spiegel lüstern betrachtet als Zuschaueräquivalent im Film… Später wird sie von seinem Hund durchs Schloss verfolgt, gepackt und zerrissen werden: so ist das, wenn man sich nichts ahnend mit dem Grafen einlässt.

Der Anfang des Filmes ist nicht schlecht: Eine Nackte flieht durch den Wald, ein Jagdhund rennt hinter ihr her, und Graf Zaroff, großgewachsen, hager, mit durchdringend-düster-unheilschwangerem Blick (von Regisseur Lemoine selbst gespielt) auf dem Pferd ist auch unterwegs. Wobei man nie recht weiß, wer eigentlich mit wem gerade zugange ist, weil alle drei dieser Verfolgungsjagd je einzeln gezeigt werden, und nur am Ende fügt es sich irgendwie zusammen, dass Graf und Hund die Frau jagen – als sie mit zerschmettertem Kopf einen Abhang hinuntergestürzt ist. Sein zweites Opfer ist eine Anhalterin – dass sie allein unterwegs ist und keiner sie vermissen wird, weckt die Erregung in ihm, die Obsession: einer Nacht in seinem Schloss, drogenumnebelt, in der sich allerlei Sexfantasien erfüllen, ohne dass sie handgreiflich manifest würden, folgt ein Schäferstündchen im Wald, Gewalt, Flucht, Verfolgung der Halbentkleideten im Auto über eine Kuhweide. Dann überfährt er sie und ist entsetzt: Das wollte ich gar nicht. Ach, du bist nur eine Puppe, eine zerbrochene Puppe, ergeht er sich in sinnierendem Selbstmitleid – ein sicherer Lacher im Publikum.

Wie schon zuvor, nach der Nackte-Jagd im Wald: Ein abrupter Schnitt, wir sehen Zaroff in seinem großstädtischen Büro, mit den Gedanken weit weg, der, von seiner Sekretärin angesprochen, aufruckt und seinen Träumen von Sex und Tod entrissen wird: Ja, das war schon was am Wochenende, eine Tote mehr, die keiner vermisst, einmal mehr den Obsessionen gefrönt, eine weitere spekulativ-exploitative Szene in diesem wirklichen Trashfilm… unfreiwillig komisch, das ist die Krux des Films: Dass er eben wirklich dilettantisch ist, zwar eine vage Ahnung davon hat, was der Zuschauer erwarten könnte – Nacktheit, Sex, Sadismus, Gewalt in einem Horror-Crime-Setting –; dass er aber eben doch am Zuschauer vorbei filmt. Die Sexszenen, geschult an Jess Franco, sind noch angehaucht von einer gewissen 70er-Jahre-Nostalgie-Sexiness, aber andererseits nicht viel mehr als Laientheater. Und der Schrecken, die Brutalität, die der Film hinzufügt in den Mord-Obsessionen des Grafen Zaroff, sind halt doch recht lächerlich; ohne den Charme von, sagen wir, Roger Cormans Poe-Verfilmungen aus den 60ern, oder ohne die Drastik, die zeitgleich im sonstigen Grindhouse-Kino zelebriert wurde.

Da hilft es auch nicht, die Verwirrung zu steigern und den Diener des Grafen einen ganz eigenen, meta-bösen Plot planen zu lassen; oder Zaroffs Psychologie zu vertiefen mit seiner Besessenheit für eine längst verstorbene Adlige, die ihm immer wieder als Geist erscheint, deren lockender Erotik er mit der Erotik seiner Morde zu begegnen versucht. Der Film ist allemal witzig: Wenn eine junge Blonde in ihrem Zimmer im Schloss lustig tanzt, dann erschrickt, weil sie durchs Fenster eine nackte Tote unten im Park sieht, und nach ignorantem Nörgeln des Ehegatten gleich wieder weiter ihre Pop-Bewegungen zur Musik aufnimmt… Aber das, was Lemoine will: nämlich den Zuschauer in den tiefsten Trieben seines Unterbewussten zu kitzeln, wo Eros und Thanatos sich ein Stelldichein geben: das erreicht er nie, nicht im Entferntesten.

Harald Mühlbeyer