Grindhouse Double Feature, 16.12.2023, Cinema Quadrat Mannheim:
„Das Haus der lebenden Leichen“ / „Don’t Go in the House“, USA 1979, R: Joseph Ellison
„The Riffs – Die Gewalt sind wir“ / „1990: I guerrieri des Bronx“, Italien 1982, R: Enzo G. Castellari
Große Feuer überall: Bei diesem Grindhouse Double Feature passten die Filme wie Faust auf Auge, Arsch auf Eimer, Feuerzeug auf Zunder, Asche in Urne. Da hat der Max, unser großer Kurator, mitten reingegriffen in die Kiste und zwei Filme für einen perfekt runden Abend rausgezogen.
„Don’t Go in the House“ heißt auf deutsch „Das Haus der
lebenden Leichen“, und das ist fast schon betrügerisch falsch, aber wohl nicht
justiziabel: Ja, naja, es gibt Tote, die aufstehen und rumlaufen, aber das sind
keine Zombies. Sondern Halluzinationen. Donny hat sie tot gemacht, und Donny
redet mit ihnen, und Donny erschrickt vor ihnen, und er ist es, der sich das
„Leben“ in den Toten einbildet. Aus seiner Sicht erleben wir alles, und das
macht diese bedrückende Atmosphäre aus, die den Film durchzieht.
Am Anfang: Ein Industriebetrieb. Öfen, Feuer, Donny starrt durchs Sichtfenster. Ein Kollege stochert im Feuerloch, das ist seine Aufgabe. Schnitt in die glühende, flammenumzüngelte Schlacke: Dort liegt eine Spraydose. Donny starrt. Der Kollege stochert. Die Dose wird von Feuer umflammt. Explosion. Der Kollege brennend am Boden. Donny starrt. Andere helfen, Donny starrt. Der Chef ist sauer. Er schimpft: Du stehst nur rum! Donny antwortet: Ich konnte nichts anderes tun, als Decken auf den Kollegen werfen! Was er nicht getan hat. Was er aber glaubt von sich, er ist da ganz ernsthaft. Sein Freund Ben baut ihn auf: So ein Schock, da reagiert jeder anders. Kann dir keiner was vorwerfen, dass du nichts getan hast! Und Donny steigt drauf ein: Genau, ein Schock! Ich konnte mich nicht mehr bewegen! Was er von sich glaubt, er ist da ganz ernsthaft.
Aber eigentlich, das weiß er im geheimen Inneren, ist er
schlicht fasziniert von Feuer. Und er ist voll Hass, auf sich, auf die Welt;
auf Frauen. Auf Mutter. Zuhause sitzt sie im Lehnstuhl, er pflegt sie täglich,
kümmert sich, und heute, ja heute ist sie tot. In verzweifeltem Schmerz
entringt sich seiner Seele ein Schrei – und dann wird ihm klar: Er kann jetzt
alles machen. Die bösartige Frau bestimmt nicht mehr sein Leben. Er ist frei!
Er kann laut Musik hören! Was er tut. So’n 70er-Discopop. Dann springt er auf
einem Sessel rum, das hat er sich wohl schon als Kind gewünscht!
Wie er diese neue Freiheit erkannt hat? Es wurde ihm eingeflüstert. Drei Frauenstimmen sprechen unisono mit ihm. Donny ist zumindest schizophren. Und Pyromane. Und Serienkiller.
Dann sehen wir ihn mit Hammer und Nagel und Metallplatten.
Und dann geht er in den Blumenladen, nach Ladenschluss bequatscht er die
Floristin, als die den Bus verpasst, bietet er an, sie nach Hause zu fahren. Ach,
können wir nur noch kurz bei Mutter vorbeischauen? Wollen Sie nicht Mutter
kennenlernen? Sie geht in sein Haus – genau, wovor der originale Filmtitel
warnt. Wird niedergeschlagen. Erwacht. Nackt. Mit den Händen oben an der Decke
gefesselt. In einem Raum aus Metall, den Donny sich in sein Haus gebaut hat.
Auftritt Donny, der Killer: In Feuerwehr-Asbestanzug mit Schweißgerät, oder
eher Flammenwerfer. Und mit Benzinkanister. Was folgt, ist eine unglaublich
harte Szene: Weil der Film bisher alles daran gesetzt hat, keine Distanzierung
zuzulassen. Uns zu Donny gedrängt hat, und zugleich Donnys derangierte Psyche
hat spürbar werden lassen. Und klargemacht hat: Hier passiert alles; das
Schlimmste. Donny zündet die nackte Frau an. Die brennt lichterloh. Wir sehen
ihren Todeskrampf, wie sie verkohlt.
Nach dieser krassen Szene hat Regisseur Joseph Ellison nicht
mehr nötig, weiteren Gore zu zeigen, weitere Gewalt. Es reicht, dass Donny
Frauen anspricht, sweettalked, und dann das Haus im Filmbild zu zeigen. Und
irgendwann sind da drei verkohlt-verbrannte Leichen. Und im Oberstock verwest
die Mutter vor sich hin.
Der Film ist sehr, sehr stark. Der Regisseur weiß genau, was er will, und was er wie einsetzen muss, um es zu bekommen: Kameraeinstellungen der Extraklasse, perfekte Bildkompositionen; Darsteller, die nicht viel tun, das heißt: die alles in ihrem Inneren zeigen, ohne es nach außen zu tragen. Eine Filmmontage, die perfekt das auslässt, was ausgelassen werden muss, damit das Kopfkino anspringt. Und das Haus! Das Haus! Ein enormes Herrenhaus, das „Psycho“ weit in den Schatten stellt… Überhaupt „Psycho“ – klar ist dies ein, nein das große Vorbild. Aber Ellison nutzt diesen Über-Film nicht, um sich ranzuwanzen: Wenn er einzelne Einstellungen direkt übernimmt – der Priester am Ende steigt die Treppe rauf so wie Martin Balsam im Bates-Mansion –, dann nicht, um zu klauen, sondern um den Resonanzraum des Bösen in der kaputten Seele nochmals zu erweitern.
Donny ist ein Opfer seiner Mutter. Häusliche Gewalt: Seine
Sünden brennt sie über dem Gasherd aus, seit Kindesbeinen an; die rächt sich an
ihm für den Vater, der die Familie verlassen hat. Das Mutter-Über-Ich spricht
mit ihm, über den leiblichen Tod hinaus – und das Es spricht aus den
Frauenstimmen. Donny ist ein Frauenmörder, aus Hass auf das Weibliche; und
lässt sich leiten von den Frauen in seinem Kopf, die ihm alles erlauben. Feuer
zerstört, Feuer reinigt. Donny heißt mit Nachname „Kohler“ – auch im Original.
Mit Feuer endet „The Riffs – Die Gewalt sind wir“; der
internationale Titel „The Bronx Warriors“ – direkt vom italienischen Original
her übersetzt – zeigt an, dass es sich um einen Rip-off von Walter Hills „The
Warriors“ handelt, und sowieso setzt Enzo G. Castellari alles daran, sich
mitten ins Genre zu setzen; von „West Side Story“ bis „Clockwork Orange“. 1982
ist ja auch die richtige Zeit dafür – Coppola verbindet ungefähr gleichzeitig
ja auch das Jugendgangmotiv mit seiner Filmkunst (oder was davon nach „Apokalypse
Now“ noch übrig ist)…
Jedenfalls: Eine Frau entkommt rüber in die Bronx. Dort herrscht Anarchie: Wir befinden uns im Jahr 1990, die Polizei hat das Gebiet längst aufgegeben, Gangs beherrschen die Straßen und die Häuserruinen. (Ist also nicht allzuweit entfernt von der Bronx-Realität Anfang der 80er…) Die Rollers schnappen sich die junge Frau: Die fahren auf Rollschuhen und haben so eishockeyhaftes Image. Mit ihren Hockeyschlägern erwehren sie sich auch der Riffs, die Motorradgang mit den beleuchteten Totenköpfen auf den Lenkstangen. Aber sie werden in die Flucht geschlagen. Trash, der Riffs-Anführer, hat Ann, die junge, geheimnisvolle Dame, für sich gewonnen.
Das Hin und Her geht seinen gewohnten Gang. Einmal die Gangs
gegeneinander; dann Konflikte innerhalb der Gang; und dann die Polizei. Und
dann ein eiskalter Killer. Und die Manhattan Corporation, der größte und
mächtigste Konzern der Welt: Ann wird das Unternehmen erben, wenn sie 18 ist,
also bald. Und deshalb floh sie in die Gesetzlosigkeit. Und deshalb ist der
Konzern hinter ihr her, mit allen Mitteln. Das wichtigste Werkzeug dabei:
Hammer, der Killer. Kurz und gut: Trash glaubt nicht, dass die „Tigers“ hinter
all dem Unbill stecken, sondern, dass von außen Zwietracht gesät werden soll.
Weshalb er sich aufmacht zu Oggio, gespielt vom unverwüstlichen Fred
Williamson, Chef der Tigers und König der Bronx. Zwischendurch:
Menschenfressende Lumpen, und dann noch diese clockworkorangemäßigen
Stepptänzer, durch deren Gebiet Trash durch muss, naja, sorgt für Kämpfe und
Tote.
Das Ende vom Lied ist, dass die Polizei – klar, die wird
gelenkt von der Manhatten Corporation – angreift, geleitet von Hammer, der,
jawoll, Polizeichef ist, und halt auch Killer, weil die Bronxianer eh vogelfrei
sind. Die Polizei also mit Flammenwerfern auf die Menge der Bronxer, Feuer,
Brennen – (fast) alle tot.
Das ist Exploitation vom Feinsten: Ausbeutung der Genregeschichte, indem die Errungenschaften vorheriger Filme genommen und wiedergekäut und ausgewalzt, aber auch perfekt durchperformt wird; und Ausbeutung der aktuellen Lage, indem die Kriminalitätsproblematik speziell von New York, die natürlich notorisch und in aller Munde ist, extrapoliert wird, verdichtet und vergrößert; und damit keine Ausbeutung der Zuschauer, die genau das kriegen, was sie wollen: Action und Spannung und Nervenkitzel und das Gefühl, dass dies irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Dabei hat es natürlich eigentlich nur etwas mit den vorherigen Filmerfahrungen und mit den Filmerwartungen zu tun; die immerhin werden erfüllt.
Man muss, um diesen Film würdigen zu können, aber auf jeden
Fall einen Blick auf die Hauptfigur werfen. Abgesehen davon, dass sie „Trash“
(in einem Film, der nicht Trash ist), wird sie nämlich gespielt von Mark
Gregory. Der heißt in Wirklichkeit Marco De Gregorio. Er wurde wohl im
Fitnessstudio entdeckt. Und jetzt ist es so: Er sieht aus, als hätte jemand einer
Pre-Alpha-Version eines KI-Prototypen: Nimm einen Jim Morrison-Mutanten und
mach aus ihm einen steroidvollen Bodybuilder, der in einer schlechten
Hair-Metal-Band-Parodie mitspielt. Heraus kam Trash, ein junger Mensch, dessen
Kopf nicht zum Körper passt, und dessen Bewegungen zu gar nichts passen. Er
stakst durch die Gegend und weiß nichts mit irgendwas anzufangen. Und dies, zu
seiner Ehrenrettung, vielleicht nur deshalb, weil seine Jeans so eng ist, dass
er sie nie wieder wird ausziehen können.
Castellari ist natürlich ein Veteran des italienischen
Genrekinos. Und er macht hier auch alles richtig: Alles, was der Film braucht,
das hat er. Und er macht dann noch richtiger: Indem er seinem Film diesen
Darsteller gibt, erhebt er ihn über die zeitgemäße Begeisterung für kaputte New
Yorker Stadtteile und die Gangs, die darin herumfuhrwerken, mit Mark Gregory
transzendiert Castellari seinen Film zu einem zeitlosen Werk, indem er dem
glatten, sauberen Herunterspulen der Film-Standardkonfiguration diesen Störkörper
reinsetzt. Und er setzt auch noch einige andere tolle eigene Ideen ein: Bei
einer Versammlung am Flussufer, da sitzt einer am Schlagzeug und gibt einen
Solo-Percussionsoundtrack zur Szene, einfach so, und warum auch nicht.
Harald Mühlbeyer