Filmfest München - Deutsch

Viel, viel gesehen; bis spät in die Nacht; ohne viel Zeit zum Bloggen; oder gar zum Nachdenken; doch soviel ist klar: Es gibt hier in München einige Highlights - "Hesher" oder "Michael", der Trash (auf anderer Ebene gut), Kaurismäkis "Le Havre" - eine schöne, märchenhafte, regisseurstypische Komödie über einen alten Schuhputzer in Le Havre und einen dreizehnjährigen Jungen aus Gabun, der illegal nach London will -, "Willkommen in Cedar Rapids" - demnächst im Kino: ein tumber, naiver, gehemmter Versicherungstyp wird auf einer beruflichen Konferenz fürs Leben geöffnet, Ed Helms und John C. Reilly sorgen für die nötige Albernheit -, und auch aus der deutschen Reihe gibt es einiges Gutes zu berichten:

"Hell" von Tim Fehlbaum (nach einem Drehbuch, an dem Ex-Mainzer-Filmwissenschaftler Oliver Kahl mitgeschrieben hat) ist ein apokalyptischer Thriller, in dem die Sonne die Erde verbrennt: Das Klima hat sich um 10 Grad erwärmt, man kann nicht mehr raus, ohne sofort Sonnenverbrennungen zu bekommen, es gibt kein Wasser mehr und kaum noch Menschen. Vier der Überlebenden sind unterwegs, vielleicht gibts in den Bergen noch Trinkwasser: Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Stipe Erceg und Lisa Vicari haben aber nicht nur gegen Hitze, Durst, Hunger und Elend zu kämpfen, sondern auch gegen kannibalistische Fallensteller. Wenn es um den Weltuntergang geht, ist natürlich R. Emmerich nicht weit, der hier als Executive Producer fungiert (weil er, wenn ichs richtig verstanden habe, zwei Leute miteinander bekannt gemacht hat, die dann den Film ins Rollen brachten). Doch statt Pathos-Überdosis setzt der Film sein geringes Budget effektvoll ein, um großartige Bilder einer untergehenden, hell überstrahlten Welt zu schaffen. "Hell" ist eine Mischung aus "The Road" (Filmfest München 2010) und dem texanischen Kettensägenmassaker, ohne Abklatsch zu sein.

Ben von Grafenstein hat sich mit "Kasimir und Karoline" eines Stückes von Ödön von Horvath angenommen: An einem lustigen Abend auf dem Oktoberfest geht nicht nur eine Liebe den Bach runter. Was als eine Art Beziehungskomödie beginnt - Kasimir ist seit neuestem arbeitslos (und deshalb impotent) und folgt doch seiner Karoline aufs Oktoberfest, um zweijähriges Jubiläum ihrer Beziehung zu feiern - endet unweigerlich in der Katastrophe, weil der Schürzinger mit der Karoline flirtet und Kasimir seinen asozialen, kriminellen Freund Merkl trifft...Von Grafenstein hat seinen Film sehr dicht gestaltet, jongliert gekonnt mit den verschiedenen Handlungssträngen, mit den verschiedenen Figuren, und entwickelt eine bezwingende Dynamik. Denn langsam gleitet die Komödie in die Tragödie hinein, keiner kann was dafür, außer, dass er so ist, wie er ist, und die Verhältnisse so sind, wie sie sind.

Für "Hell" gab es den Förderpreis Deutscher Film in der Kategorie Regie, für "Kasimir und Karoline" in der Kategorie Schauspieler für Kasimir-Darsteller Golo Euler.

Harald Mühlbeyer

Filmfest München - Trash

Da wir gerade von Autos und Crashs reden, sollten wir auch Auto und Trash benennen. Kurz: "Die Satansweiber von Tittfield" würdigen, Russ Meyers Klassiker von 1966 mit dem auch sehr schönen O-Titel "Faster, Pussycat! Kill! Kill!"
Darum gehts: Satansweiber, die schnell sind im Autofahren und im Killen, und die wahrscheinlich tatsächlich aus Tittfield kommen. Drei Stripperinnen in der Wüste, sie kämpfen miteinander, wie es Frauen so an sich haben, wenn sie unter sich sind, sind kratzbürstig und zickig. Aggressiv werden sie, wenn ein Mann dazustößt mit einem Auto, der auch noch im Motorsportclub ist und ein junges, unschuldiges Mädel bei sich hat. Unausweichlich: Ein Autorennen. Auch unausweichlich: Dass das Alphamädchen es nicht abhaben kann, abgehängt zu werden. Also bricht sie dem Typen das Rückgrat, sein Mädel setzen sie unter Drogen und nehmen sie mit.

Weiter gehts am zweiten Schauplatz des Films: Eine Farm, von einem Tyrannovater Rex geführt, der alles langhaarige hasst und dort mit einem schwachsinnigen und einem schwächlichen Sohn lebt. "Sie dürfen rauchen, wählen, Hosen anziehen, und was haben wir davon? Ein Demokrat wird Präsident! Und man kann zwischen Bruder und Schwester keinen Unterschied mehr feststellen, wenn man nicht mit der Nase drauf gestoßen wird!" So sind sie, die Rednecks. Im Übrigen hat der behinderte Opa viel Geld versteckt, hinter dem sind die drei Amazonen her, es kommt zu diversen Verführungen und Ermordungen, und die Autos sind immer mit dabei.

Enorme Titten zeigt Meyer, aber niemals nackt. Kampflesben zeigt er, die Männer morden. Angeblich wurde der Film zu so etwas wie einem Kultfilm in feministischem Kontext, wegen der dominanten Weiber und den gekillten Männern. Das ist ein Problem im gesellschaftlichen Diskurs: Dass totaler Schund zu irgendeiner Aussage hochgeputscht wird, die nicht drinsteckt. Weils eigentlich um Autos, Möpse und Gewalt geht, um nichts sonst, und eigentlich auch egal ist, wer wen umbringt und wer wem sexuelle Avancen macht. Wenn man da mit angeblichen subtilen Aussagen herkommt, verdirbt's einem ja auch irgendwie den Spaß am niederen Vergnügen. Der ist groß, der Fun, vor allem, wenn der Film im Freien aufgeführt wird wie hier in München in der sehr lobenswerten Open-Air-Reihe, diesmal zum Thema "Katzen". Dankenswerterweise lief die deutsche Fassung mit schön flapsigen Dialogen; und dankenswerterweise in einer rekonstruierten, wahrscheinlich vollständigen Version mit ein paar zusätzlichen, nicht synchronisierten Szenen. Vor allem Kampf- und Sexszenen (was bisweilen dasselbe ist) waren in der deutschen Fassung rausgeschnitten; seltsam: denn genau deshalb will man den Film ja sehen.

Auf den Philippinen war in den 70ern und 80ern viel los, was Frauenbewegung angeht. Eine Menge weiblicher Stars haben dafür gekämpft, dass in der Filmwirtschaft mehr Frauen in Hauptrollen besetzt werden, nicht mehr nur als Stichwortgeber des Helden, sondern als Heldin selbst. Eine Botschaft des Feminismus war das, ein Kampf für die berufliche Gleichstellung im patriarchalischen Hollywoodsystem - dass die jungen, oft genug großbusigen Darstellerinnen sich dafür ausziehen mussten, gefoltert und vergewaltigt wurden, mit MPs, MGs, Macheten und mit der bloßen Hand töten und getötet werden mussten - das muss man hinnehmen, wenn es ums große Ganze geht.

So lautet zumindest der Tenor einiger Aussagen in "Machete Maidens Unleashed!", einer Dokumentation von Mark Hartley über das Exploitationkino made in Phillipines. Gräßliche Monster mit pappmachéartigen Masken, schlimme Söldnerbanden, die hart bekämpft werden, Dschungelcamps, in denen junge, unschuldige, willige und nackte Damen sadistisch gefoltert werden, Zwerge, die James Bond spielen: Alles abartig, geschmacklos, billig. Und sehr lustig: Weil die niedersten Instinkte angesprochen werden, ohne dass dies verheimlicht würde; weil Action, Gewalt und Sex in der richtigen Mischung und der richtigen Machart nichts mit realer Action, realer Gewalt, realem Sex zu tun hat; weil das Bizarre ausgereizt wird bis zum Gehtnichtmehr.

Dass die damaligen Darstellerinnen und Produzent Roger Corman - der auf den Phillipinen ein billiges Eldorado für seine Trashproduktionen gefunden hatte - im Nachhinein das alles (auch vor sich selbst) als Teil der kulturellen Befreiungsbewegung der 60er und 70er Jahre umdeuten, ist so komisch wie die Filme. Weil natürlich die Ausbeutung der Frau das Wichtigste ist in diesem Genre, und wenn die Frau eine Waffe in der Hand hat und Gegner abknallt, ist das auch nur eine bestimmte Form männlicher Phantasie. Der einzige, der in der Doku dies klar ausspricht, ist John Landis, der sehr klug diese Art von Film verstanden hat. Weils natürlich nur um Blut und Brüste und Billig geht, und weil die Filme, ich paraphrasiere mal aus dem Gedächtnis, nur Angebote für Masturbationsfantasien sein wollen. Und im Übrigen desto besser sind, je mehr sie versuchen, gut zu sein - und darin elend versagen.

Harald Mühlbeyer

Filmfest München - Fahrradjungs

Zu meinen kurzen Anmerkungen zu "Michael" wäre zu ergänzen, dass er mal von einem Auto angefahren wird. Gips, Gehirnerschütterung, Krankenhaus - und wir hoffen so sehr, dass für seinen geheimen Gefangenen genug 5-Minuten-Terrinen im Kellerverließ vorrätig sind...
Autounfälle sind sowieso ein Leitmotiv des Festivals, dauernd wird einer umgerannt. In "Henry & Julie" wird Henry von Julie auf der Straße angefahren, so lernen sie sich kennen - Keanu Reeves und Vera Farmiga sind das, naja, der Film - ein schräges Heist-Movie inkl. Theatermilieu - könnte witziger und spritziger sein. Zu Anfang von "Kleine wahre Lügen" eine lange, ungeschnittene Sequenz, die mit einem Knall endet - der Anfang einer französischen Familienensemble-Komödie, die perfekt getimt stets die richtige Nuance für einen Lacher ausreizt. Da waren noch mehr Unfälle in verschiedenen Filmen, hätte man sich als getreulicher Berichterstatter eigentlich merken sollen.

Auf jeden Fall hat der dreizehnjährige TJ in "Hesher" von Spencer Susser dauernd irgendwelche Unfälle, am Anfang wird er vom Auto angefahren, zwischendrin umgefahren, am Ende auf dem Schrottplatz vom Kran aus einem Autowrack herausgeschüttelt... Er ist die Hauptfigur, die Titelfigur aber wird gespielt von Joseph Gordon-Levitt: Ein langjahriger, vergammelter Typ, Mischung aus Mephistopheles, Pale Rider und Otto der Busfahrer, der sich im Haus von TJs Oma einnistet; wo TJ und sein depressiver, dauerschlafender Papa wohnen.

Könnte eine Geschichte sein von der Heilung einer derangierte, erschütterten Familie - TJs Mama ist bei einem Unfall (!) ums Leben gekommen, und sie müssen sich jetzt ein neues, ertragbares Leben einrichten. Dieses Motiv des Feelgood-Schräge Komödien-Genres aber wird völlig desavouiert durch Hesher, der die reine Destruktion, die reine Anarchie, das reine Es verkörpert. Mit einem unglaublich witzigen Effekt; warum kam der Film eigentlich nicht schon längst in die deutschen Kinos (Premiere war beim Sundance 2010)? Wo doch sogar Natalie Portman eine Nebenrolle übernommen hat, die den Film auch mitproduziert hat?

TJ jedenfalls flitzt dauernd mit dem Fahrrad rum; so wie der junge Cyril in "Der Junge mit dem Fahrrad" von den Dardenne-Brüdern, Eröffnungsfilm von München 2011. Der wohnt im Heim, will Kontakt zum Papa, der aber nichts von ihm wissen will, findet dafür Samantha, die ihn am Wochenende bei sich aufnimmt und als gute Fee ihn auf den rechten Weg bringen will. Trotz seiner Tobsuchtsanfälle, Trotzigkeiten, Rotzigkeiten, seiner Bekanntschaft mit einem Kriminellen, der ihn für üble Zwecke einspannt; obwohl Samantha dafür ihren Freund vor die Tür setzen muss. Außer Samantha - Cécile de France - sind alle Rollen Dardennetypisch mit Laien besetzt; das ist durchaus kraftvoll und hervorragend inszeniert, wirkliche Authentizität will sich aber nicht einstellen, zu konstruiert und ausgedacht wirkt alles. Nicht einmal, dass Samantha ein unendlich geduldiger guter Engel ist, die das reine Gute verkörpert; die Sache zwischen Cyril und dem Vater, oder zwischen ihm und Wes, dem älteren Gauner: die sind nur Funktionen auf dem Weg von Cyril aus dem Niemandsland seines bisherigen Lebens ans rettende Ufer.

Anders "Hesher", der im Grunde genau die gleiche Geschichte erzählt, nur als Anarchokomödie. TJ und Cyril rasen ziellos mit dem Rad rum, der eine vermisst Mutter, der andere Vater; der kümmert sich in beiden Fällen nicht um sie; Hesher ist ein mythisch-dunkler, Samantha ein mythisch-heller Engel, der zu einer gewissen Seligkeit führt. Nur wo bei den einen eine soziale Botschaft vorherrscht, gehts bei den anderen ums Asoziale, das einen weiterbringt.

Harald Mühlbeyer

Filmfest München - Täterfilme

Ist es ein Zufall, dass aus Österreich zwei Filme über Straftäter kommen? Wobei der eine von ihnen nur in diesem schnitzelförmigen Nachbarland hat entstehen können, das ist klar. Der andere heißt "Atmen" von Karl Markovics, dem markanten Schauspieler (u.a. "Die Fälscher"), der hier sein Regiedebüt gibt. Und das kann er sehr gut: Von Kogler erzählen, dem 19jährigen Insassen einer Sonderstrafanstalt für Jugendliche. Ganz in sich gekehrt, ohne Regung, die Außenwelt abblockend sitzt er die Zeit ab, sucht sich einen Job bei seinen Freigängen, kommt beim großen Bestattungsunternehmen unter, und ist dabei zunächst völlig antriebslos, obwohl im nächsten Monat die Anhörung wegen Bewährung ansteht.
Markovics weiß dabei genau umzugehen mit Beobachtungen, Blicken, ruhigen Momenten, die der Figur Raum lassen - Raum, der im klar geregelten Strafvollzug fehlt, Raum, durch den man der Figur nahekommt. Irgendwann, ohne dass dahinter ein eigener Beschluss stünde, beginnt Kogler freier zu atmen; zeigt Reaktionen; arbeitet richtig mit, fügt sich ins Außenleben einer Gesellschaft ein, die er frei nie hat erleben können als Heimkind und Sträfling.
Nicht zuletzt bietet der Film genaue, eindringliche Blicke dahin, wo man normalerweise nicht hinkommt: Ins Gefängnis und in die Bestattungsindustrie, wo der richtige Tote im richtigen Sarg zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss. Schnell, effizient und doch mit einem gewissen Respekt. Zumindest, wenn Außenstehende dabei sind.

Wohin man niemals kommt: Darum geht es auch in Markus Schleinzers "Michael", der das Thema, mit dem Österreich in die internationalen Schlagzeilen gekommen ist, aufgreift. Einer der besten Filme des Jahres, im Übrigen: in dem man hinter die Kulissen bei einem ganz normalen Versicherungsangestellten blickt, der in seinem Keller einen vielleicht acht, neun Jahre alten Jungen gefangen hält für seine abendlichen Vergnügungen. Ein Film, der niemals weggeht von diesem pädophilen Psychopathen, der auch niemals wertet, der einfach zeigt. Man quält sich bei diesem Film, der so grausam blickt, der so dabei so genau arbeitet: Weil er den Alltag des Unaussprechlichen, des Unvorstellbaren zeigt mit einer (auch psychologischen) Präzision, die an die Nieren geht. Für den gefangenen Jungen ist das ja alles normal, er kennt nichts anderes. Hat sein Spielzimmer hinter dickem Riegel, geht mit dem Täter auch mal in den Streichelzoo und wirkt dann wie ein Sohn beim Ausflug mit dem Papa. Ein schrecklicher, unheimlicher, großartiger Film.

Konfus dagegen der japanische "Confessions". Darin rächt sich eine Lehrerin an ihrer Klasse voller pubertierender, selbstbezogener Gören; speziell an den beiden, die ihre Tochter aus purer Lust und Laune umgebracht habe. Was ein schöner Ansatz ist, und die erste halbe Stunde, in der die Lehrerin vor der Klasse ganz freundlich von ihrem Leiden an ihren Schülern erzählt, ist auch wirklich gut. Doch es ist eben nicht nur ihr Geständnis, auch die einiger anderer beteiligten, weshalb dann die Perspektive wechselt, immer wieder; Täter, Möchtegerntäter, Eltern, die die Täter decken, kommen zu Wort, und das führt zu einigen Redundanzen, die nichts Neues bringen. Zudem schwankt der Film zwischen überspitzter Karikatur und ganz ernst erzähltem Porträt einer egoistischen, gewaltbereiten, ungebildeten Klassengemeinschaft, in der Leben nichts bedeutet. Wäre der Film etwas überzogener: er wäre eine schöne Satire geworden. So aber wirkt der Nihilismus, den er zeigt, aufgesetzt, und das ganze Setting mit grausamen Schülern, die willkürlich morden, und einem allzu komplizierten Racheplan völlig unauthentisch.
Österreichische Täter sind interessanter.

Harald Mühlbeyer

Filmfest München

I. Trend verschlafen?

Gestern angekommen. Akkreditierung abgeholt - nicht mehr eine Plastikkarte mit Magnetstreifen, sondern ein perforiertes Papierdings, was man so rausreißen und dann in ein Plastikding reinpfriemeln muss: Rückschritt in alte Zeiten? Oder Zeichen von Outsourcing, Individualisierung und sonstigen soziologischen Themen, die die performative Gestaltung des Alltags umfassen?
Listen mit den Pressevorführungsterminen lagen auch nicht aus. Muss man sich online runterladen und selbst ausdrucken, hieß es, weil sich da jederzeit was ändern kann und dann eine Menge Papiermüll anfällt. Und schon fühlt man sich irgendwie altmodisch, ein Relikt aus haptischen Zeiten, ein analoger Dinosaurier.
Dann, bei McDonald's, der Verkäufer: Sie kennen sich aus mit Kino? Ja klar. Das ist mein Fachgebiet. Ich setze bejahend zum geistigen Höhenflug an und werde prompt wieder runtergeholt: Was ist denn 4D-Kino? Das habe ein Gast zuvor gefragt, ob's in München ein 4D-Kino gibt - und da muss ich passen. Und werde noch weiter gedemütigt: Die Kollegin weiß Bescheid: Das ist mit Bewegung! 3D mit wackelnden Sitzen!
Ich fühle mich noch mehr out of date. Habe offenbar eine Menge verschlafen.

Bzw., bei näherer Ansicht: Das ist ja doch schon ein alter Huhttp://www.blogger.com/img/blank.gift. Sowas hatten wir doch vor zwei Jahren, am William-Castle-Abend vor dem Filmfest '09! Bin also doch wieder mit mir selbst versöhnt.

II. Einklang von Inhalt und Form


Am nächsten Tag fast ein neuer Schock: Ich hatte nicht aufgepasst. Die Karten, die ich mir geholt hatte, nicht nachgeprüft. Weshalb eine fehlte, wie ich zehn Minuten vor Filmbeginn bemerkte. Schnell zur Kasse, eine neue holen - Riesenschlange. Zum Glück ganz vorne: Kollegin K., mit deren Hilfe ich mich elegant vordrängen konnte. Um dann eine Karte für die falsche Vorstellung ausgedruckt zu bekommen! Nochmal das ganze, Akkreditierungsbarcode einscannen, ausdrucken, das dauert... ich habs geschafft, zu Beginn des (neu gestalteten) Filmfesttrailers im Kino zu sitzen.

"Damals war Schwerkraft überall" / "Gravity Was Everywhere Back Then" von Brent Green. Einer der Filme, für die man Filmfestivals besucht. In die man sonst kaum kommen würde, und die man von hier aus aller Welt empfehlen kann.
Erstens ein atemloser Voice-Over-Sermon, essayistisch-persönlich gehalten von jemandem, der der Filmemacher sein kann. Er erzählt von Leonard, von dessen Kampf gegen die Krebskrankheit seiner Frau, wie er diverse Heilungsmaschinen baute, große, schräge, bunte Skulpturen im Garten. Schließt im weiteren Verlauf poetische Betrachtungen über Gott, Tod, Gerechtigkeit, Wunder und Glaube an (Konzepte, die er mehr oder weniger pauschal verwirft). Und natürlich erzählt er die Geschichte einer großen Liebe.
Die in den Bildern nachgestellt wird, auf experimentelle Weise. Die häufigen Unterbrechungen durch Schwarzblenden erinnern an einen Diaabend, nur dass die Bilder sich bewegen; die Bilder selbst sind quasi per Stopptrick aufgenommen, die Darsteller haben sich offenbar langsam bewegt und wurden dann mit Zeitraffer aufgenommen. Was einen faszinierenden Effekt hat, zittrig, sprunghaft, wie (schlecht/handgemacht) animiert. Zwischendurch tatsächlich Animationselemente im Handlungsverlauf; und außerdem handgeschriebene Zwischentitel wie im Stummfilm.
Leonard und Mary lernen sich auf skurrile Weise bei einem Autounfall kennen, lieben sich, und sie bekommt Krebs. Leonard arbeitet, will ein Wunder erwirken: indem er ihr ein Vogelhaus baut, in dem sie wohnt, indem er Skulpturen/Maschinen zur Heilung baut. Doch vergebens. Eine große Liebe, aber er hatte ihr Leben nicht in der Hand. Und das sei tatsächlich passiert, 1972, noch 1985 habe Leonard (der nach normalen Maßstäben schlichtweg verrückt genannt werden muss) seiner Mary einen verzweifelten Liebesbrief geschrieben.

Ganz einfach gemacht, eine einfache Handlung, billig dargestellt, originell zwar, aber auch zu Anfang sehr gewöhnungsbedürftig - und doch sehr berührend, je weiter es geht. Weil in der selbstgebastelten Machart, in der Animation mit menschlichem Darstellermaterial mit dem Bastelfimmel im Film korrespondiert. Leonards Verzweiflung an der Krankheit von Mary, die sich am fieberhaften Heimwerkeln an sinnlosen Gerätschaften ausdrückt, überträgt sich auf die Form, was dem Film etwas dringendes gibt, als sei er selbst ein höchst persönliches Projekt - eine selbstgebastelte Maschine zur Heilung von was auch immer. Wenn man sich auch wenig mit den Darstellern identifizieren kann - das Schauspiel kommt zu kurz, wenn man sich superlangsam bewegen muss: Auf Film in seiner bizarr verzerrten Harmonie aus Form und Inhalt kann man sich emotional einlassen.

Harald Mühlbeyer

Festival des deutschen Films: Böse Spielchen

Eine Frau besucht ihre Schwester. Die Tür ist nicht richtig zu. "Hallo?? Karin?!?" - Das Arbeitszimmer ist durchwühlt. Am Türrahmen Blut. Auf dem Boden die blutüberströmte, übel zugerichtete Leiche von Karin... Ein Geräusch. Groß im Bild ein bluttriefendes Messer; ein schemenhafter nackter Mann jagt die Frau durch die Wohnung, höchste Panik, vollkommener Terror. Schreiend schafft sie es auf den Balkon - Titeleinblendung: "Spuren des Bösen".

Ein Thriller der harten Sorte, der mit drastischen Bildern dem Bösen auf die Spur kommt - und ein Fernsehfilm des ZDF und des ORF, der Ende des Jahres um 20.15 Uhr laufen soll, entweder samstags auf der Krimi- oder montags auf der Fernsehfilmschiene. Allerdings: Keine leichte Kost, mit brutalen Bildern, und schon deshalb sehenswert, ob nicht doch etwas Blut für die Fernsehausstrahlung herausgeschnitten wird...

"Spuren des Bösen" ist ein Ausnahmefilm im deutschen Fernsehen, mit das Beste aus den letzten Jahren, ein nervenzerfetzender Film. Wenn später die Überlebende des Anfangs in einem Geheimversteck von vier Polizisten bewacht wird, und das Funkgerät nicht mehr richtig funktioniert, und einer rausgeht zu den Kollegen, die sich nicht melden: dass weiß man, dass das niemals gut ausgeht, dass es keine Versöhnung geben kann.

Dazu Heino Ferch als Psychologe, der als Verhörspezialist zu dem Fall hinzugezogen wird, es geht um Korruption in einem Baukonzern. Ferch soll der Polizei helfen, die Kommissarin (Nina Proll) ist alles andere als begeistert. Und es wird persönlich: Der Chef der Baufirma ist ein alter Schulfeind von Ferch, es kommt zum psychologischen Duell, während sich die Leichen häufen.

Die Handlung an sich ist durchzogen von den üblichen Trendsachen: eine etwas schräge Ermittlerpersönlichkeit - Ferch sammelt alte Uhren, isst monomanisch immer im selben Caféhaus, hat Probleme mit der Tochter, einer Polizeianwärterin -, emotionale Spannungen im Ermittlerteam, persönliche Verbindung zu einem der Täter etc. Doch wie das ausgeführt ist, mit welcher Konsequenz: das ist außergewöhnlich. Ferch war von Anfang an gesetzt, auf ihn ist die Rolle zugeschnitten. Martin Ambrosch hat sein Drehbuch äußerst effektiv angelegt, Andras Prochaska inszeniert mit Blick fürs Detail und mit Gespür für den Thrill.
Im Herbst wird ein zweiter Film mit demselben Team um denselben Verhörspezialisten gedreht werden; keine neue Krimireihe, eher eine Fortsetzung, ein Weiterschreiben soll das werden, sagte der ZDF-Redakteur Feindt. Und wenn das klappt, wäre es ein Glücksfall.

Auch in Marc Bauders "Das System" geht es um Korruption, diesmal angelehnt an die Wirklichkeit des Baus einer Gaspipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee. Dahinter spinnt der Film seine Fiktion, behauptet ein Netzwerk alter DDR-Genossen, die ihre Fähigkeiten der Manipulation, des Strippenziehens im modernen Lobbyismus, in der Korruption des Kapitalismus ausleben. Und das ist klug gedacht: denn es gibt dieses dumpfe Gefühl, dass das westliche Wirtschaftssystem nicht mehr funktioniert, nicht zu Unrecht, Globalisierung, Finanzkrise, Eurokrise: Die Verunsicherung am realen System nutzt "Das System" für seine spannende Konstellation.

Mike, 1989 geboren und ohne Bezug zur DDR, gerät in die Fänge von Herrn Böhm. Der war Ende der 80er mit Mikes Vater in der DDR-Devisenbeschaffung zugange, sprich: Embargohandel, sprich: Waffenschiebung. Er kümmert sich jetzt um Mike; und der ist fasziniert von den Möglichkeiten, die Böhm hat. Der ist mephistophelisch manipulativ, er kriegt alles, was er will; und er ist eine Chance, etwas über die Vergangenheit zu erfahren, über die sich Mikes Mutter beharrlich ausschweigt - auch über den Tod des Vaters.

Geschickt verknüpft Bauder das private Drama mit dem politischen Thriller; etwas mehr Bedrohung von außen hätte vielleicht mehr Spannung gebracht - doch darum geht es nicht: Bauder beschreibt eine Welt, in der das unmenschliche System der DDR in den Köpfen und im Handeln der damaligen Eliten auch heute weiterlebt: Das Unbehagen an der Gegenwart.

Harald Mühlbeyer

Filmfest München 2011 -

Das Filmfest München ist ein sehr, sehr schönes Festival. Acht Tage lang, über 200 Deutschlandpremieren, von Nahost bis US-Independents, mit deutscher, französischer, spanisch-lateinamerikanischer Reihe, mit einem Schweden-Spezial, vielen Stargästen, Sonne satt und fünf, sechs, vielleicht sieben Filmen am Tag: Man hat dort einiges vor, und man muss einen sehr guten Plan erstellen, um nicht allzuviel zu verpassen...

Harald Mühlbeyer wird auch in diesem Jahr tägliche Blogberichte verfassen, soviel Zeit muss sein während dem Frühstück.
Freuen Sie sich auf das Beste des deutschen und internationalen Kinos, und erleben Sie die Freuden und Leiden des Herrn Mühlbeyer mit... Am Freitag, 24.6., geht es los, bis Samstag, 2.7. Danach erstmal Urlaub.

Festival des deutschen Films: Heimat

"Der Brand" von Brigitte Bertele ist ein Heimspiel in Ludwigshafen. Die Handlung spielt in Mannheim, gedreht wurde teilweise in Ludwigshafen - direkt auf der Parkinsel, man kommt an den Drehorten vorbei auf dem Weg vom Parkplatz zum Festival. Unwohl wird es einem nicht, es sind zuviele Leute unterwegs - im Film aber ist das gefährlich: hier wird Judith nach einem Tanzabend brutal vergewaltigt, von Ralf Wester, der zuvor so charmant zu ihr gewesen war. Ein Martyrium.

Zuvor hatte Bertele Regie geführt bei "Nacht vor Augen", ebenfalls über die Nachwirkungen eines Traumas: ein Film über einen Afghanistan-Kriegsheimkehrer, der aber wirklich schlecht war in seiner Psychologisierung, in seiner oberflächlichen Einfühlung, in seiner populistischen Vereinnahmung des Themas offenbar ohne jede substantielles Erfahren und Erleben. "Der Brand" ist anders: Er folgt Judith im Versuch, die sexuelle Gewalterfahrung aufzuarbeiten, und geht dabei recht behutsam und nachvollziehbar vor. Wie sie nicht vergessen kann. Wie in ihr Scham und Wut, Hilflosigkeit und Rachegefühle aufleben. Wie sich die Umwelt nicht mit ihren Gefühlen identifizieren kann.

Zwar gibt es hier einige Holperer, was Dramaturgie und Zeichnung der Nebenfiguren angeht, einiges Unglaubwürdiges, einige scharfe Wendungen. Maja Schöne als Judith aber hält es zusammen, und Wotan Wilke Möhring als ihr Peiniger ist ein richtiges Ekel, der brave Familienvater, der sich hinter seinem Ruf als unbescholtener, hochangesehener Chriurg versteckt...
Der Anwalt aber, Florian David Fitz, ist von Anfang an als arroganter, inkompetenter emotionaler Krüppel gezeichnet - über merkwürdige Schlingungen wird er dann ihr Tröster, nicht nur im juristischen Sinn. Ihr Freund (Mark Waschke), zunächst einfühlsam und verständig, lässt sie mehr und mehr im Kalten stehen; auch das nicht ganz nachvollziehbar.
Judith wird vom Gesetz alleingelassen, es steht Aussage gegen Aussage - Ironie der Klatschspalengeschichte, dass Mannheim auch der Schauplatz des Kachelmann-Prozesses war. Und sie geht allein gegen ihren Vergewaltiger vor, macht sich mit dessen Ehefrau bekannt... Ob das ein ausgefeilter Vergeltungsplan ist, oder nur ungeplante, spontane Handlungen aus einer irre gewordenen Psyche heraus, bleibt ambivalent, das hat was für sich. Ob es allerdings sein muss, dass Judith sich "untenrum" immer wieder mit Eiswürfeln kühlen muss... das ist zwar eine schöne Metapher zum Filmtitel "Der Brand", der in ihr gelöscht werden muss. Wirklich logisch (oder auch psychologisch (im Sinne auch vom Kaleu in "Das Boot)) ist es doch nicht.

Immerhin hat sich Brigitte Bertele filmisch stark verbessert.

Eher schlimm ist ein zweiter "Heimat"-Film: "Das große Comeback" von Tomy Wigand, ein ZDF-Fernsehfilm von vor ein paar Jahren, war kein so großer Wurf für die Ehrung von Andrea Sawatzki, die mit dem Preis für Schauspielkunst des Festivals ausgezeichnet wurde. Seltsam auch, dass in Dr. Kötz Ansprache der Verweis auf den schönen "Vom Atmen unter Wasser" fehlte, in dem vor ein paar Jahren Sawatzki sehr intensiv eine trauernde Mutter spielte und der damals hier auf dem Festival lief...

Im "Großen Comeback" spielt sie eine stets besoffene Redakteurin eines Unterschichtenfernsehsenders mit dem anspielungsreichen Namen TL4, die eine weitere Niveaudrehung nach unten unternehmen muss, um ihre Karriere zu retten. Also stürzt sie sich auf Hansi Haller, erfolgloser Schlagerstar mit dem Wunsch nach einem Comeback und einigen wenigen Fans: sein Fanclub residiert in einem Kuhkaff mit dem anspielungsreichen Namen Bad Böhlen, da, wo daheim noch daheim ist. Uwe Ochsenknecht spielt ihn, er sieht aus wie Bohlen, haha. Ochensknecht ist natürlich nicht gut, wie könnte er; doch nur wenig unterscheidet sich Sawatzki von ihm, überdreht und überkandidelt spielen sie beide; was ja keine allzu große Leistung ist. Unter Wiegands Regie geht eh jede mögliche Subtilität flöten. Dann wird eine Liebesgeschichte zwischen Ochsenknecht und Valerie Niehaus behauptet, die sich nie entwickelt hat, und eine Freundschaft zwischen Ochsenknecht und einer alten Oma, die auch nie Zeit hatte zu wachsen, sondern einfach da war, weils im Drehbuch stand. Satire gegen Billig-TV bleibt auf wohlfeilem Niveau, und wenn man schärfer gegen die falsche Welt des Schlagers vorgegangen wäre, hätte das ZDF ja seine Stammkundschaft verprellt. So bleibt der Film von vorne bis hinten ziemlich gleichgültig; genau wie die Musik: da macht sich der Film einerseits leise über die billigen Schlager von Hansi Haller lustig, behauptet aber dann eine innere Wandlung, die sich in einem neuen Hit ausdrückt - der sich aber genauso falsch und verlogen anhört wie alles vorherige, auch in den Metaphern (die Sonne, die sich schämt...). Und die originale Filmmusik hört sich zudem noch genauso einheitsbreimäßig an...
Das war recht arm.

Harald Mühlbeyer

Festival des deutschen Films: Armenier und Albaner

Ja, ich weiß: Ein Millionenpublikum hat sich schiefgelacht bei "Almanya", wie die türkische Familie über Generationen sich an der deutschen Integration abarbeitet... Aber eigentlich war "Almanya" total mies, eine auf Comedy getrimmte Volksbelustigung, die ihr Thema kaum und ihre Figuren schon gar nicht ernst nahm.

Anders "Anduni - Fremde Heimat" von Samira Redsi, der hier beim Ludwigshafener Filmfestival lief. Das ist keine Komödie, sondern eine eher tragische Geschichte um die junge Belinda, ihren deutschen Freund, ihre Familie, ihre Wurzeln in der fremden Heimat; was nicht heißt, dass kein Witz darin stecken würde. Bezeichnenderweise ist die größte Schwachstelle der "Almanya"eske Gastauftritt von Peter Millowitsch als original Kölscher Beamter, der sich so sehr einfühlen kann in die Probleme von Ausländern in der Fremde, weil's ja, hahaha, seiner Frau genauso geht, die ist aus, lachdichtot, Detmold.

Redsi wirft den Zuschauer direkt hinein ins Leben von Belinda; bzw. in den Tod von ihrem Vater, der nach einem Saufabend als Leiche im Vorgarten liegt. Also muss Belinda das Studium stecken und in der Schneiderei der Tante, die sie zudem mit diversen Nachbarn verkuppeln will. Zugleich bemüht sie sich für die Mutter um den Antrag auf Witwenrente; und hat Trouble mit ihrem deutschen Freund (Florian Lucas), den sie vor ihrer Familie verschwiegen hat.
Dass es sich bei der Sippe nicht um Türken, sondern um Armenier handelt, erschließt sich erst recht spät, als ein orthodoxer Grieche auftaucht; und erst noch später wird das überhaupt erklärt, gegenüber einem besoffenen Partygast: Armenier haben eine eigene Sprache, eigene Kultur, eigene Religion, auch wenn sie aus der Türkei stammen. Was ungewöhnlich ist, und was den Zuschauer ernst nimmt: Weil ihm nicht von vornherein alles mundgerecht präsentiert wird, weil man mitdenken muss, auch und gerade, was das Grundsätzliche angeht.

Da haben wir schon erlebt, wie die Tante auf Familie setzt, wie sie die armenische Gemeinschaft auch in Köln zusammenhalten will, wie sie die Deutschen mit ihrer laxen Moral und den vagen Werten verachtet; wie sie alle gängelt und dabei alle liebt. Schön konturiert Redsi die Armenier-Gemeinschaft inmitten von Deutschland, ihr Denken, ihr Fühlen, ihre Vorbehalte gegen die Deutschen, vor allem auch gegen die Türken, ihren Stolz und ihre Würde. Und den Kampf, den das alles bedeutet für Belinda, die ihr eigenes Leben führen will; und dabei erst herausfinden muss, was das für ein Leben ist. Der Weg der Selbstfindung führt nach Armenien, zusammen mit ihrem Onkel, den seltsamerweise Tilo Prückner spielt; und es geht auf einen mythischen Berg, auf dem sie das findet, was ihr Leben vielleicht ausmachen wird - das ist ein etwas zu holterdipolter durchgeführter Wechsel der Ebenen vom Konkreten zum Mystisch-Metaphysischen; und auch die eingestreuten, unpassenderweise mit englischen Lyrics versehenen Popsongs stören. Ansonsten aber ein gelungenes Debüt.

Weit gelungener aber, und beinahe rundweg perfekt, ist Johannes Nabers "Der Albaner", Gewinner des Max Ophüls Preises in Saarbrücken, über den auch Kollege Zywietz schon geschrieben hat; und man kann ihm eigentlich nichts hinzufügen.
"Der Albaner" besticht durch seinen durchgängigen Stil, der der Hauptfigur Arben folgt, sich mit ihr aber nicht gemein macht, der in großen, ausgesuchten Bildern das Glück zeigt, das er mit seiner Geliebten Etleva fühlt, und das Elend, in das er sich stürzt als illegaler Immigrant in Deutschland, um 10.000 Euro Brautgeld aufzutreiben, nachdem seine Etleva schwanger wurde... Das könnte Melodram werden, Immigrationsdrama, ist aber nichts von allem - am Ende vielleicht sogar noch am ehesten ein Gangsterfilm, denn Arben lässt sich, weil er das Geld dringend braucht, auf Schleppergeschäfte ein, die ihn in den Sumpf von Kriminalität und blutigem Handwerk führen; und er schlägt sich tapfer, haut sich durch, bekommt sein Geld; und hat in der Heimat doch alles verloren.

Wie fein Nader das durchkomponiert hat, die verzweifelten Versuche Arbens, das Geld zu verdienen, das er für sein Liebesglück braucht, und dabei gleichzeitig die Ahnung, dass alles vergebens ist, weil die Heimat zu fern und die Nachrichten von der Geliebten zuwenige sind: das ist auf beglückende Weise niederschmetternd. Als alle das Kino mit ernstem Gesicht verließen, mutmaßten die draußen auf den nächsten Film Wartenden, der Film müsse ja furchtbar schlecht gewesen sein. Nein, war er nicht; ganz im Gegenteil.

Harald Mühlbeyer

Festival des deutschen Films: Die Eröffnung

Ich bin etwas missmutig; und deshalb vielleicht auch ungerecht, was den Eröffnungsfilm "Schenk mir dein Herz" von Nicole Weegmann angeht. Nicht etwa, weil der Regen gestern das Sommerfeeling des Festivals des deutschen Films, in Zelten untergebracht, im Park am Rhein gelegen, zunichte gemacht hätte - das Ludwigshafener Festival hat immer viele Regentage, alles ganz normal also. Auch nicht, weil für den Eröffnungsfilm, auf 19 Uhr angesetzt, erst um sieben Uhr abends die Kinozelttüren geöffnet wurde, folglich eine Verspätung von 25 Minuten schon von Beginn an eingebaut war - das Festival fühlt sich als Star und hat seine Allüren, sprich: die Verspätung soll den Glanz des Abends veredeln, denn die vorgeschobene Begründung der Verzögerung (zu viele Besucher, Überbuchung) war ja nicht anderes als kokette Eitelkeit. Auch das wie immer. Ebenso das viertelstündige Referat von Festivalleiter Michael Kötz, in dem er sich in einer Schneewittchenallegogie erging, weil sein Festival ja zum siebten Mal stattfindet: Das FddF (wie Kenner es abkürzen) als wunderschönes Schneewittchen, die Stadt Ludwigshafen als sieben Zwerge, die es hegen und pflegen, die anderen Festivals der Republik als neidische böse Königinnen - was einem halt so durch den Kopf purzelt, wenn man eine Eröffnungsrede zusammenbastelt.

Alles war also, wie es in jedem Jahr ist. Was heftig störte: Die schreckliche Projektion per Beamer über 30 Meter Zeltlänge, offenbar von DVD: Das Filmbild war aus riesigen Pixeln zusammengesetzt, Bewegungen der Kamera oder vor der Kamera verwischten zu Schlieren, Hintergründe - etwa das Laub der Bäume - flimmern, als stünden sie unter Starkstrom. OK: Sowas Ähnliches sahen wir auch in "Fluch der Karibik 4", wegen völlig unzureichender 3D-Umrechnung. Das macht es aber nicht besser: Ein guter Beamer und hochauflösendes Filmmaterial - BluRay oder 35mm - wäre eigentlich Pflicht für ein Festival, das sich der Filmkunst, der Kunst der Bilder, verschrieben hat. Zumal "Schenk mir dein Herz" Anfang Mai seinen Kinostart hatte und von das Filmmaterial von daher kaum allzu schwer aufzutreiben sein müsste.

Das furchtbare Geblinkel auf der Leinwand hat mir der Film jedenfalls gründlich vergällt; zum Glück ist er fernsehgerecht genug inszeniert, so dass es keine Totalen gab, bei denen man weit in der Ferne etwas hätte erkennen müssen; was ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.

Drehbuchautorin ist Ruth Toma, eine ausgezeichnete Gebrauchsschreiberin, die genau weiß und danach handelt: Wenn man denkt, es geht immer weiteer, kommt von irgendwo ein Konfliktchen her. Alexander Ludwig (Peter Lohmeyer), arrogant-arschiger Schlagersänger, war nach einem Herzinfarkt sauerstoffunterversorgt und hat Gedächtnisstörungen: die letzten zehn Jahre sind weg, und sein Kurzzeitgedächtnis ist ziemlich alle. Dass er trotzdem perfekt sein Smartphone bedienen kann, stört keinen großen Geist: Wichtig sind die beiden Handlungsstränge: Da ist einmal seine Frau Maria (Mina Tander), die er nicht mehr kennt, und seine Ex-Frau Edda, die er einst schmählich verlassen hat und die die einzige ist, an die er sich erinnert. Und da ist Paul Kuhn als Heinrich Mutesius, nach einem Schlaganfall in derselben psychotherapeutischen Klinik wie Alexander, der über die Swingmusik einen Zugang zum vormaligen Schlagerstar erhält; und ihn in seiner Band mit lauter alten Säcken unterbringen will, um einen Jazzclub zu retten, der allzusehr auf sein Ü80-Publikum setzte und jetzt pleite ist.
Alles fügt sich dabei schön zusammen, und immer wieder taucht ein neuer kleiner Konfliktherd auf, etwa Alexanders Sohn, der ihn hasst, oder Edda, die eine Chance sieht, ihn finanziell auszunehmen, oder Maria, die ihn daraufhin (etwas unmotiviert) verlässt; und seine alten Fans, die Kuschelschlager hören wollen, sind total sauer, als er mit Blues anfängt. Dass er immer seine Ehefrau vergisst, dass er die Klinik für ein miserables Hotel hält: das sind die Running Gags. Paul Kuhn fällt irgendwann unangekündigt ins Koma, und weil das Jazzklubrettungskonzert im Radio übertragen wird, wacht er wieder auf und lässt sich von der Krankenschwester eine Zighttp://www.blogger.com/img/blank.gifarette anzünden. Das erinnert frappant an Helge Schneider, bei dem Lieutenant Körschgen im Krankenhaus stangenweise Zigaretten raucht: Solange man lebt, soll man rauchen. Abgesehen davon ist natürlich auch der Jazzklub ein schneidersches Motiv - das ist die große Belustigung, die ich aus dem Film gezogen habe; weil bei seltsamen Hirnassoziationen die Bildqualität keine Rolle spielt.

Ebenfalls von DVD gebeamt: die Klassiker-Sommerkomödie "Zur Sache, Schätzchen", 1967, von May Spils; produziert vom gerade verstorbenen Peter Schamoni, der weit mehr geleistet hat als den Küblböck-Knaller "Daniel, der Zauberer". Ich hatte gedacht, ich kenn den Film schon! Aber nein: Die Bilder, die ich im Kopf habe, müssen wohl vom Nachfolger "Nicht fummeln, Liebling" stammen...
"Zur Sache, Schätzchen" jedenfalls ist umwerfend komisch: Martin, ein Herumlungerer, sein Freund Henry, kaum besser, und die Zufallsbekanntschaft Barbara, die sich ihnen anschließt beim süßen Nichtstun - das ist sehr leicht, sehr spielerisch, sehr locker und unernst inszeniert, genau dem entsprechend, was die Protagonisten vorleben. Martin, Werner Enke, ist an nichts interessiert, vor allem nicht am morgendlichen Aufstehen; ein Einbruch in der Nacht, der ihm den Schlaf geraubt hat, bringt etwas Ärger mit der Polizei, der er gleich verdächtig ist, insbesondere, weil er sie beim Verhör kräftig verarscht. Barbara, Uschi Glas, reißt ihn aus der zutiefst genossenen Tristesse im Schwimmbad, er führt parodierend Schwimmstile verschiedener Spießer vor. Im Zoo klauen sie ein Zicklein und einen Kinderwagen, auf einer Brücke erklärt er ihr seine Pseudophilosophie: die muss ernsthaft betrieben werden, richtig trainiert mit Spikes und Sportdress, und am wichtigsten ist, dass dabei nichts herauskommt.


Alles ist Spiel, das mit Ironie betrieben werden muss, alles mushttp://www.blogger.com/img/blank.gifs einfallsreich auf einen flotten Spruch gebracht werden, und wenn man jemanden mag, dann macht man am besten vor, wie man auf keinen Fall fummeln darf - man sieht es auf dem nebenstehenden Foto -, oder wie andere sich um die Liebe einer Frau bemühen. An sich ran lassen darf man jedenfalls nichts, man muss bissig sein, skeptisch, bedürfnislos und natürlich, die Provokation ist Lebensstil, aggressiv vorgetragen, parodistisch in extremer Bildersprache und derber Anschaulichkeit - und was der Wikipedia-Artikel zum Kynismus noch so alles an Schlagworten hergibt. Nicht zu verwechseln mit Zynismus übrigens - Kynismus: das ist das, was Diogenes vorgelebt hat.

Bei all dem Spaß, bei all der demonstrativen Lustlosigkeit am Leben, die er so lustvoll zelebriert, bei all dem spielerisch.ironisch-uneigentlichen Gerede in "Zur Sache, Schätzchen" musste ich mitunter so lachen, dass ich das noch schlimmer als beim vorherigen Eröffnungsfilm verpixelte Bild oft genug vergaß. Wahrscheinlich war dieser über 40 Jahre alte Film der Höhepunkt des Festivals. Was nicht heißt, dass nicht noch viele tolle Filme kommen werden, wenn sie denn nur richtig projeziert werden.

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Double Feature, 28. Mai 2011, Cinema Quadrat, Mannheim: Zombies und Karatekids

„Geisterstadt der Zombies“ / „E tu vivrai nel terrore – L'aldilà“ / „The Beyond“, Italien 1981, Regie: Lucio Fulci.

„Black Belt Jones“, USA 1974, Regie: Robert Clouse.


Lucio Fulci hat’s irgendwie mit den Augen. Wir erinnern uns an den starrenden Priesterzombie (der, der am Glockenseil hing), dehttp://www.blogger.com/img/blank.gifssen Opfer aus den Augen zu bluten anfängt, um dann die Innereien auszukotzen… In der Geisterstadt der Zombies treibt es Fulci noch viel weiter: Da werden Augen ausgeätzt, herausgedrückt, eine blinde Seherin taucht auf, Vogelspinnen befallen ein Opfer und fressen zuerst seine Augen… Und natürlich geht es um das Bild, dieses eine Bild von dem Maler in Zimmer 36 des Hotels in den US-Südstaaten, dieses Hotel, das schon 1927 Unheilvolles barg und das auch 55 Jahre später noch ein Tor zur Hölle ist.http://www.blogger.com/img/blank.gif

Damals hatte ein Dorfmob eben jenen Maler aus der 36 geschnappt, mit Nägeln an die Wand geschlagen, ihm mit (lt. Wikipedia) ungelöschtem Kalk das Gesicht zerätzt. In der Jetztzeit lässt Lisa, die Erbin, das Hotel renovieren; schlimm, dass dabei einer der Malerarbeiter vor Schreck vom Gerüst fällt, weil er durchs halbblinde Fenster im leeren Haus schrecklich starrende, böse Augen gesehen hat… Ein Klempner soll im Keller die lecke Wasserleitung reparieren und stößt hinter der Mauer auf weitere Räume, gekennzeichnet durch ein sichtlich böses Zeichen – ein Kreuz mit angehängter Schleife –, und bei einem weiteren Mauerdurchbruch wird er gepackt, und böse Hände drücken ihm die Augen ein… Und mitten auf der Fahrbahn steht eine Blinde mit ihrem Hund, sie weiß etwas, sie will Lisa warnen, sie von dem Bösen wegführen – und wir wissen noch immer nicht genau, was los ist, seltsame Prophezeihungen aus dem Buch Eibon werden verlesen, Worte von sieben Öffnungen zur Hölle, und auf einem dieser bösen Punkte steht das Hotel…

Fulci baut seinen Film gekonnt mählich auf, schaltet auch mal ins Krankenhaus, wo die Leiche des Klempners und die von dessen Mörder liegen; und dessen Gehirn lebt weiter, wir sehen es am Aufzeichnungsgerät der Hirnwellen; und die Klempnerwitwe wird getötet, und die Tochter bleibt verstört. Der Arzt findet Lisa attraktiv, glaubt ihr aber nicht – sie sieht den toten Maler an die Wand des Badezimmers von Nr. 36 genagelt. Die Hausangestellten – die schon immer da waren in diesem Hotel – benehmen sich seltsam, und sie werden erst von jedem Verdacht entlastet, als die hagere, undurchsichtige Martha Opfer des toten Klempner wird, der im schlammigen Badewasser liegt. Woher die Vogelspinnen im Katasteramt kommen, ist unklar, wie das Buch Eibon auftauchen und verschwinden kann, ebenso: das abgrundtief Böse kann alles bewerkstelligen.

Ein geradezu künstlerischer Zombiefilm von Fulci sei dies, erklärte der Organisator der Grindhouse-Reihe Boris Becker in seiner Einführung. Doch etwas zu sehr zusammengeklittert wirkt der Film, insbesondere die Spinnenszene ist aufgesetzt, auch die vielen Zombies in der Klinik am Ende sind vor allem Zugeständnis an die Genreerfordernisse; was die erhoffte Wirkung des unbehaglichen Grauens schmälert. In anderem ist er durchaus effektvoll, dass die Mythologie hinter dem Höllenloch nur angedeutet wird, dass sinistre Gestalten wie die Hausangestellten oder der Klempner ambivalent bleiben, oder die Vagheit im Ausdruck der blinden Seherin. Das kann Fulci: verschiedene Horrormythen, verschiedene Genreversatzstücke wirkungsvoll verknüpfen, ohne sie auszuerzählen, sie dramaturgisch geschickt steigern, um damit die Welt, wie wir sie kennen, als instabil und brüchig zu zeichnen (eine Strategie, die freilich in „Ein Zombie hing am Glockenseil“ besser funktioniert hat). Das Ende belässt Fulci ganz im Rätselhaften, traumhaft wandelt sich die Szenerie, und plötzlich ist alles nur noch Bild, eine Landschaft der Toten, in der der Mensch gefangen ist. Das kann Philosophie sein, vielleicht auch nur eine effektive Schlusspointe.

Im Ganzen ein sehr gelungener Beitrag – zum Zombiegenre ebenso wie zur Grindhouse-Reihe – in dem sich aus den Vorgaben des Genres originelle Konsequenzen ergeben. Der nicht nur was fürs Auge, sondern auch fürs Ohr ist: wie im Keller hinter den Ziegelmauern ungenannte, ungeahnte Dämonen knurren, rumoren, stöhnen, jaulen, grölen. Oder wie die blinde Seherin einmal aus dem Hotel flieht und auf den Holzbohlen des uralten Bodens keinen Laut hinterlässt, ebenso ihr Blindenhund, wie sie auf leichten Füßen dahinschweben, wo Lisas Schritte knarzen und krachen…

Dass der Ton die Musik macht, wird ganz klar in „Black Belt Jones“,http://www.blogger.com/img/blank.gif laut Wikipedia der achtunddreißigst-schlechteste Film der Welt. Was sicherlich nicht richtig ist für die deutsche Synchro, die auf grandiose Weise mit den 70er-Jahre-üblichen flotten Sprüchen, die den unübersetzbaren Slang des Originals transportieren soll, die komischen Tendenzen des Films aufnimmt und verstärkt.

Die Mafia auf dem Weingut, eine Karateschule, die Kellerkneipe eines Drogenbosses sind die Schauplätze, diese drei bilden das Koordinatensystem des Films: Die Mafia will die Karateschule haben, auf diesem Gelände soll ein großes Kulturzentrum gebaut werden, was die Grundstückspreise in die Höhe treiben wird; die ganze Nachbarschaft haben sich schon die Kommunalpolitiker unter den Nagel gerissen, Don Steffano braucht das Grundstück. Und heuert Pinky an, den Drogenboss des Viertels: der soll die Karateschule von Papa Byrd übernehmen, egal wie.Mit der Karateschule assoziiert: Black Belt Jones, den Jim Kelly ganz unbedarft gibt und ohne höhere Ambitionen, was Gestik, Mimik oder Schauspielkkunst angeht. Kelly ist auch im wirklichen Leben Karatekämpfer – dennoch sehen die Kloppereien im Film ungelenk und stümperhaft aus. Zum Glück passt alles zusammen: die Einfachheit des Plots, die Überschaubarkeit der Schauplätze, die Qualität der Schauspieler, die unchoreographierten Kämpfe – und die dufte Synchronisation.

Gleich zu Anfang, im Weinkeller: Da ist das Schwarzgeld der Mafia in einer Kiste versteckt, hydraulisch in einer Weinpresse versenkt; als sie auftaucht, kann es einer der Fuzzis nicht lassen: „Da geht doch die Caprisonne auf!“ Der weitere Verlauf dieses hochkomischen Karate-Blaxploitation-Verschnitts lässt sich locker anhand der Filmdialoge aufzeigen: „Die haben einen auf großen Otto gemacht, aber wir haben ihnen vor den Koffer geschissen“ – über den missglückten Überfall auf die Karateschule. Ein „kaffeebraunes Mäuschen“ taucht auf, nämlich Sydney, die Nichte von Papa Byrd, der der Karateschuppen überschrieben wurde, und sie ist ein Haudrauf: „Ein Weib hat hier gehaust? Der werden wir mal auf die Titten klopfen müssen!“ Die Mafiosi lassen Verstärkung kommen, hässlich aussehende Schläger aus L.A., genannt die Bogard: „Bogards? Ich kenn nur Gokarts.“ Dann wird des Öfteren „das Krause aus dem Haar“ bzw. „die Schwärze aus dem Arsch“ gehauen, am Ende kapern Black Belt Jones und Sydney einen roten Sportwagen, „Trabt vom Gehöft!“, werden die Besitzer weggejagt, der Wagen wurde ausgesucht, weil die Farbe zu Sydneys Unterhose passt. Das Finale ist spritzig: In einer Waschanlage für Müllautos unter meterhohem Schaum werden die Bösen endgültig verkloppt, irgendwo zwischen einer Peter-Sellers-Party und einem Rolling Stones-Rock’n’Roll-Video. Ein grandioser Streifen, wie man ihn sich schlechter (=besser) nicht wünschen kann.

Harald Mühlbeyer

Vom 16. bis 26. Juni: Deutsche Filme in Ludwigshafen

Heute Abend geht es los: das siebte Festival des deutschen Films auf der Ludwigshafener Parkinsel. In Zelten, unter alten Bäumen, am Strand des Rheins - ein wahres Sommer-Filmfestival.

36 Filme laufen in diesem Jahr, einige Kinderfilme, ein paar sommerliche Komödienklassiker, vor allem aber aktuelles deutsches Kino. Anspruchsvolles Autorenkino, wie die Festivalmacher um Michael Kötz gerne betonen, Kino, das auch mal sperrig sein darf, das aber stets Gehalt und Qualität bieten muss. Elf dieser neuen Filme laufen im Wettbewerb um den deutschen Filmkunstpreis, immerhin 50.000 Euro, weitere 12 Filme in der Reihe "Lichtblicke" - was der Unterschied zwischen den Reihen ist, ist nicht ganz klar, es laufen in beiden Programmschienen Filme, die ganz neu sind, andere, die schon im Kino oder im Fernsehen ausgewertet wurden; ein bisschen willkürlich vielleicht, die Programmaufteilung...
Ebenso willkürlich, wie die "Dreileben"-Trilogie zu trennen: Die drei Filme von Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler, die um ein Thema - einen Gefängnisausbrecher - auf je ganz verschiedene Weise kreisen, laufen nicht etwa (wie auf der Berlinale) nacheinander, so dass man sie vergleichend am Stück sehen kann (was den Mehrwert ausmacht im Gegensatz zur Fernsehausstrahlung im Herbst, die die Filme auf drei Wochen verteilt zeigt).

Auf jeden Fall ist aber die Filmauswahl wieder gut gelungen, mit vielen interessanten Beiträgen - ich werde über einige hier auf Screenshot berichten...
Dass die Auswahl des Festivals stimmt, ist in der Region bekannt: ehttp://www.blogger.com/img/blank.gifs werden weit über 30.000 Zuschauer erwartet, und der Eröffnungsfilm "Schenk mir dein Herz" mit Peter Lohmeyer und Paul Kuhn ist schon lange ausverkauft. Paulchen Kuhn wird im Anschluss ein kleines Gratis-Swingkonzert geben - und das ist das Schöne an der Atmosphäre dieses Festivals in der Industriestadt: dass die Verbindung von Sommer und Kino so ungezwungen gelingt.

Alle Infos zum Festival unter www.festival-des-deutschen-films.de


Harald Mühlbeyer

TV-Nachschau: Der Staat und andere Erpresser oder: Steuerfahndung, ick hör dir trapsen…


Nachgereicht aus dem Fernsehen: Kommissarin Lucas: Gierig (15)

Eine Frauenleiche wird aus der Donau gefischt. Ihr Handy führt Kommissarin Lucas zu Steuerfahnder Klaus Merdinger (Herbert Knaup). Karoline Roth war Angestellte einer Privatbank und wollte ihm für 1,8 Millionen Euro Schweizer Bankdaten verkaufen. Ihr Computer und die Daten bleiben zunächst verschwunden, doch wenig später meldet sich ihr Kollege Christian Wittbach (Devid Striesow) und bietet seinerseits die Daten zum Verkauf. „Ich will Merdinger sprechen“, sagt Wittbach nur im Verhör, die Bilder von der Wasserleiche will er sich gar nicht erst antun und guckt weg. Doch potenziell verdächtig ist auch die Bank, die ihre Geschäfte schützen will und der Großunternehmer Schupp (Christian Doermer), der derart viel Geld am Fiskus vorbeigeschleust hat, dass er nun alles verlieren könnte. Merdinger nutzt die Chance Wittbach freizubekommen, um endlich den Kuhhandel durchzuziehen. Die Kommissarin bleibt hart (wie so oft) und lässt Wittbach und seine Frau Luise (Jeanette Hain) überwachen, sie ist sich sicher, dass er der Täter ist.

Regisseur Ralf Huettner liefert nach VINCENT WILL MEER einen vielschichtigen Fernsehkrimi, der den staatlichen Ankauf von gestohlenen Bankdaten zum Fall macht. „Hier geht es um mehr als Mord, hier geht es um Steuergerechtigkeit“, das ist Merdingers Prämisse. Sind 1,8 Millionen Euro nicht die vielen Millionen wert, die der Staat daran verdient? Nur Ellen Lucas tritt ihm kompromisslos entgegen, denn mit Mördern macht man keine Geschäfte. Punkt. Die Wut der Kommissarin ist berechtigt, denn sie muss erkennen, dass Merdinger die Polizeiarbeit systematisch behindert und ihr Vorgesetzter Boris (Michael Roll) Beweismaterial zurückhält.

Gierig sind alle Beteiligten in diesem Fall: Die Privatbank, die dem deutschen Unternehmer gerne bei der Steuerhinterziehung behilflich ist, ebenso wie im Kleinen der einzelne Bankberater, der in der Nebenhandlung Ellen Lucas‘ Schwester Rike (Anke Engelke) ein Fischrestaurant in der Regensburger Altstadt schmackhaft machen will (was für eine Idee!?). Der Unternehmer Schupp, der durchgehend am Rande des Herzanfalls wütet und schimpft, aber sich nicht selbst anzeigen will, wie es ihm seine Tochter (Petra Kleinert) rät. Merdinger, der nach dem Mord an seiner Informantin auch dem potenziellen Mörder das Geld geben würde, wenn der nur die Daten herausrückt. GIERIG macht klar, dass sich die politischen Interessen „von ganz oben“ nicht unterscheiden vom Geschacher zwischen allen anderen Beteiligten – sie sind nur eine weitere Erpressung unter vielen.




Der Mord wird zur Nebensache, denn GIERIG verlässt oft die Ermittler und zeigt dem Zuschauer die Zusammenhänge schon lange, bevor diese ihnen auf die Spur kommen. So entfaltet sich inmitten des strengen Krimiplots der Konflikt zwischen Wittbach und seiner Frau Luise – die intensivste Szene des Films. „Das hier, das macht uns frei!“, sagt er und hält ihr die CD unter die Nase. Während er im Kinderzimmer sitzt und die Daten kopiert – alle anderen Computer wurden beschlagnahmt – fragt sie ihn, ob er eine Affäre mit Karoline Roth hatte. Er schnaubt genervt – Auch das noch! – aber beteuert seine Unschuld. Und die Tickets nach Kapstadt für zwei Personen? „Ich musste die irgendwie beruhigen. Die wollte aussteigen. Dabei waren wir fast fertig“, sagt Wittbach, als wäre das die blödeste Idee von allen. Wofür ein Risiko eingehen, wenn sich das nicht lohnt? Die Kommissarin wundert sich nicht umsonst im Verhör, wie er nur so kalt sein kann. Devid Striesow spielt Wittbach gewohnt stark, überheblich und kühl – das erinnert thematisch passend an seine Figur in Dieter Wedels GIER (2010) und seinen Trickbetrüger in Alexander Adolphs SO GLÜCKLICH WAR ICH NOCH NIE (2009). Wittbach ist ein Verführter und realisiert nicht, dass seine Chance auf einem Verbrechen fußt. Er muss erst am starken Ende erkennen, dass er zwar alles gewonnen, aber gleichzeitig viel mehr verloren hat.

Huettner liefert einen komplexen Krimi mit einer starken Darstellerriege ab, der den Standard der Reihe hoch hält. Am Ende wird auch die Kommissarin böse und klatscht Luise Wittbach die Emails zwischen ihrem Mann und seiner Geliebten vor die Nase. Er hat sie angelogen. Und das kommt ihm am teuersten zu stehen. Das Ende bleibt zwiespältig, denn viele haben zum Tod von Karoline Roth beigetragen. Luise Wittbach gesteht, aber war es doch nicht. Wittbach ist entkommen, doch der Koffer voller Geld kostet ihn die Familie. So holt den Davongekommenen die poetische Gerechtigkeit des Krimis doch noch ein. Und auch Boris bekennt noch rechtzeitig Farbe, so kann die Aufklärung der Tat auch die Ordnung des Ermittlungsapparates wiederherstellen. Nur Ellen Lucas wird ihm das so schnell nicht verzeihen, dass er sie angelogen hat. Das macht neugierig auf den nächsten Fall.

Mathias Grabmaier

ZDF, 04.06.2011
mit: Ulrike Kriener, Devid Striesow, Jeanette Hain, Herbert Knaup, Petra Kleinert, Christian Doermer, Alexander Beyer, Johannes Terne, Michael Roll, Florian Stetter, Alexander Lutz, Tilo Prückner, Anke Engelke

Buch: Florian Iwersen, Stefan Holtz, Ralf Huettner
Regie: Ralf Huettner
Kamera: Sten Mende
Prod: Olga Film