Filmfest München - Deutsch
Viel, viel gesehen; bis spät in die Nacht; ohne viel Zeit zum Bloggen; oder gar zum Nachdenken; doch soviel ist klar: Es gibt hier in München einige Highlights - "Hesher" oder "Michael", der Trash (auf anderer Ebene gut), Kaurismäkis "Le Havre" - eine schöne, märchenhafte, regisseurstypische Komödie über einen alten Schuhputzer in Le Havre und einen dreizehnjährigen Jungen aus Gabun, der illegal nach London will -, "Willkommen in Cedar Rapids" - demnächst im Kino: ein tumber, naiver, gehemmter Versicherungstyp wird auf einer beruflichen Konferenz fürs Leben geöffnet, Ed Helms und John C. Reilly sorgen für die nötige Albernheit -, und auch aus der deutschen Reihe gibt es einiges Gutes zu berichten:
"Hell" von Tim Fehlbaum (nach einem Drehbuch, an dem Ex-Mainzer-Filmwissenschaftler Oliver Kahl mitgeschrieben hat) ist ein apokalyptischer Thriller, in dem die Sonne die Erde verbrennt: Das Klima hat sich um 10 Grad erwärmt, man kann nicht mehr raus, ohne sofort Sonnenverbrennungen zu bekommen, es gibt kein Wasser mehr und kaum noch Menschen. Vier der Überlebenden sind unterwegs, vielleicht gibts in den Bergen noch Trinkwasser: Hannah Herzsprung, Lars Eidinger, Stipe Erceg und Lisa Vicari haben aber nicht nur gegen Hitze, Durst, Hunger und Elend zu kämpfen, sondern auch gegen kannibalistische Fallensteller. Wenn es um den Weltuntergang geht, ist natürlich R. Emmerich nicht weit, der hier als Executive Producer fungiert (weil er, wenn ichs richtig verstanden habe, zwei Leute miteinander bekannt gemacht hat, die dann den Film ins Rollen brachten). Doch statt Pathos-Überdosis setzt der Film sein geringes Budget effektvoll ein, um großartige Bilder einer untergehenden, hell überstrahlten Welt zu schaffen. "Hell" ist eine Mischung aus "The Road" (Filmfest München 2010) und dem texanischen Kettensägenmassaker, ohne Abklatsch zu sein.
Ben von Grafenstein hat sich mit "Kasimir und Karoline" eines Stückes von Ödön von Horvath angenommen: An einem lustigen Abend auf dem Oktoberfest geht nicht nur eine Liebe den Bach runter. Was als eine Art Beziehungskomödie beginnt - Kasimir ist seit neuestem arbeitslos (und deshalb impotent) und folgt doch seiner Karoline aufs Oktoberfest, um zweijähriges Jubiläum ihrer Beziehung zu feiern - endet unweigerlich in der Katastrophe, weil der Schürzinger mit der Karoline flirtet und Kasimir seinen asozialen, kriminellen Freund Merkl trifft...Von Grafenstein hat seinen Film sehr dicht gestaltet, jongliert gekonnt mit den verschiedenen Handlungssträngen, mit den verschiedenen Figuren, und entwickelt eine bezwingende Dynamik. Denn langsam gleitet die Komödie in die Tragödie hinein, keiner kann was dafür, außer, dass er so ist, wie er ist, und die Verhältnisse so sind, wie sie sind.
Für "Hell" gab es den Förderpreis Deutscher Film in der Kategorie Regie, für "Kasimir und Karoline" in der Kategorie Schauspieler für Kasimir-Darsteller Golo Euler.
Harald Mühlbeyer