Filmfest München - Traurige Ballade
Von gedemütigten Fraun zum gedemütigten Clown: Alex de la Iglesias "Balada Triste de Trompeta" ist ein Zirkusfilm, wie es noch keinen gab.
Zirkusfilm: Das bedeutet normalerweise zwei Artisten in Rivalität um eine Frau, melodramatisch aufgezogen und mit Nervenkitzel wegen der potentiell gefährlichen Arbeit im Milieu - hohe Trapeze, wilde Tiere, gefährliche Shows - ausgestattet. Mitunter geht das stark in Richtung Horror, man denke an die wunderbaren Lon-Chaney-Filme der 20er Jahre, die heute kaum mehr einer kennt, etwa an "He Who Gets Slapped" von Victor Sjöström (ein Demütigungs-Melodram mit einigen Toten) oder an "The Unknown" von Tod Browning (eine groteske Geschichte um einen armlosen (!)Messerwerfer).
De la Iglesia nimmt die Zutaten des Zirkusfilms und verdreht sie, lässt sie ins Leere laufen und treibt sie weit über die Grenzen hinaus. Ein Prolog führt ins Madrid des Jahres 1937, Spanischer Bürgerkrieg, die Artisten eines Zirkus werden rekrutiert für den Kampf gegen die Faschisten (wobei die Republikaner kaum harmloser oder "besser" wirken). Was dazu führt, dass ein Clown mit Bart und blonder Frauenperücke per Machete einen ganzen Trupp Feinde im Alleingang metzelt. Später wird er beim Bau des Franco-Monuments Valle de los Caidos getötet - zuvor hatte er seinen Sohn Javier auf Rache eingeschworen und darauf, kein lustiger, sondern ein trauriger Clown zu werden.
1973 steht der dem lustigen Clown Sergio gegenüber und dessen Geliebter Natalia - die brutal misshandelt wird, wenn Sergio getrunken hat (jeden Abend), und die Javier reizt, provoziert, beflirtet. Wodurch das Unheil seinen Lauf nimmt, irgendwo zwischen Liebeskomödie und Splatterfilm. Wobei hier schon klar ist, wie die Grenzen verschwimmen, dass es eben nicht um die übliche Dichotomie Gut-Böse geht oder um das Klischee vom traurigen und lustigen Clown. Auf einem Rummelplatz feiern Javier und Natalia ihre Liebe und die Abwesenheit des jähzornigen Sergio, sie tanzen fröhlich, Javier klaut einem Kleinkind fröhlich zu Zuckerwatte, als Sergio dasteht, Natalia über die Straße prügelt, Javier, den traurigen, pausbäckigen, naiv-unschuldigen Rivalen, auf einen Hau den Lukas packt und ihm mit dem Hammer auf den Bauch haut, bis [...] und das Gesicht zerfetzt mit der filmtitelgebenden Trompete, woraufhin Sergio von einem Tierarzt (!) zusammengeflickt werden muss und Javier halbnackt (!) in einen Wald flieht.
Nun also tatsächlich Horror zum Melodram, mit einem tatsächlichen Monster, dem übelst aussehenden Sergio - doch wir wenden uns Javier zu, der sich ebenfalls zum Monster macht, auf dem Jagdschlösschen eines mit Franco befreundeten Generals. Entsetzlich, wie er sich mit Säure und Bügeleisen zurichtet, und irrsinnig witzig zugleich: Angetan in clowneskem Bischofsgewand mit völlig zerstörtem Gesicht killt sich Javier durch Madrid (und durch die Ereignisse der spanischen Geschichte von Terror und Verbrechen), Natalia, halb Hure, halb Heilige, steht irgendwann zwischen diesen beiden Monsterclowns, es kommt zum blutigen Finale auf dem hohen Steinkreuz des Tal der Gefallenen-Monumentalmausoleums...
Ein gewaltiger Film mit gewaltigen Bildern, der die Erwartungen des Zuschauers regelmäßig und mutwillig unterläuft. "La Balada Triste de Trompeta" bürstet alles gegen den Strich, stülpt alles um und ist daher eine harte Herausforderung für den Zuschauer: Eine Aufgabe, eine Prüfung, für die es keine Lösung gibt. Weil es gegen jede melodramatische Regel niemanden gibt, an den man sich halten kann, mit dem man sympathisieren kann; weil der Wahnsinn alle gleich befällt und daher gegen jede Horrorregel man um niemanden fürchten kann; weil die Trompete ein Mordwerkzeug ist und zugleich ein schmalziger Song des spanischen Schnulzensängers Raphael; weil alle Bilder so gewaltig sind, so überdimensioniert, dass sie schon wieder über die Klippe des (bewusst) Lächerlichen stürzen. Ein Film, der auf komische Art verstört - ein Film, der über sich selbst lacht: die Eingangstitel der Produktionsgesellschaften sind mit Kinderlachen unterlegt.
Harald Mühlbeyer