Filmfest München - Bodycount
Taxifahren ist teuer; Taxifahrer sein auch, kostet meist das Leben, zumindest die Freiheit: In Schweden ist der junge JW Taxifahrer, um seinen teuren Lebensstil zu finanzieren, in Chino, rechts oben, da, wo's an Russland und Korea stößt, kutschiert Gu-nam herum, kann aber trotzdem seine Schulden nicht bezahlen. Mahjonggspielen kann er auch nicht gut genug, irgendwann steht er mit 60.000 Yuan in der Kreide und muss sich auf die Mafia einlassen: Nach Korea einreisen, einen Typen erschießen; nebenbei hat er vielleicht auch noch Zeit, seine Frau zu suchen, die vor Monaten als Gastarbeiterin nach Seoul gefahren ist und von der er seit Monaten nichts gehört hat.
In Schweden lässt sich JW auf die Drogengang von Abdulkarim ein, das verspricht Geld: Er studiert Wirtschaft, stammt aber aus einer armen Familie in der Provinz, und fühlt sich nicht standesgemäß, wenn er nicht mit teuren Anzügen, teuren Parties und teurem Gebaren protzt. Dass er sich auch noch in ein Oberschichtmädel verliebt, macht die Sache nicht besser, und ehe er sichs versieht steckt er irgendwo zwischen den Albanern, den Spaniern, den Deutschen und den Serben; letztere kontrollieren den Kokainhandel, erstere wollen im Verbund das Geschäft an sich reißen - JW soll das Geschäftliche, das Buchhalterische übernehmen, und er macht sich ans Werk, ganz raffiniert: Er weiß da eine Bank, die in Schwierigkeiten steckt; wenn man die übernimmt, ist die Geldwäsche kein Problem...
Gu-nam hat das designierte Opfer nicht umgebracht; andere sind ihm zuvorgekommen. Immerhin hat er den Daumen des Opfers, damit dürfte der Auftraggeber zufrieden sein. Wenn er sich noch für ihn interessieren würde. Die illegale Überfahrt zurück nach China war auch nur ein Schwindel, er sitzt fest. Und wird gejagt: vom Kompagnon des Mordopfers und von seinem Auftraggeber, und irgendwo ist auch noch die Polizei.
"Easy Money" von Daniél Espinosa und "The Yellow Sea" aka "Hwanghae - The Murderer" von Na Hong-Jin sind mal so richtig schöne Actionthriller; effektvolle Genreware, die nur wegen der exotischen Herkunft - Schwede, Korea - hierzulande als Arthouse durchgeht. Gewalt, Schießereien, Spannung, auch Sex sind die Zutaten, mehr braucht man ja auch nicht (Anmerkung am Rande: Was soll das eigentlich für Kunstkacke sein, was André Techiné mit "Impardonnables" bietet: eine verschwundene Frau, deren ermittelnder Vater ein Krimiautor ist, eine Privatdetektivin, ein Drogenhändler, Zu-Fuß-Verfolgungen durch Venedig - und das alles inszeniert als blasierte Langeweile, mon dieu!).
"Easy Money" ist zu Beginn verwirrend, die verschiedenen Handlungskoordinaten werden hart gegeneinander geschnitten, mitunter mit Vorausblenden vermischt; man braucht eine Weile, bis man richtig durchblickt, wer wer ist, aber dann erkennt man die Struktur: JW auf der einen Seite, der Geld braucht für seinen Lebensstil, Mrado auf der anderen mit der neunjährigen Tochter, die ihm urplötzlich vom Jugendamt überstellt wird, der zurück will nach Belgrad und sich deshalb selbständig macht: eine Parallelsetzung der verschiedenen Parteien, die zu einer Verlinkung führt in diesem komplexen Spiel um Geld und kriminelle Macht. Und die natürlich nicht gut enden kann, für keinen, obwohl sich alle abstrampeln: Freundschaft kann verraten werden, Vertrauen missbraucht; und nur an sich zu denken - wie es sowohl die Mafiagangster wie auch die gewieften Wiwis in JWs Freundeskreis tun - führt auch niemals zu irgendeiner Lösung.
Gu-nam hat keinen anderen, an den er denken könnte, er ist allein. Und er kämpft sich durch. Und was für Kämpfe: mit Messern vornehmlich, gerne auch mit Äxten, auch Schraubenschlüssel tun ihren Dienst und zur Not auch schwere abgenagte Rinderknochen, mit denen die Gegner brutal erschlagen werden. "The Yellow Sea" ist eine Orgie der Gangstergewalt, mit vielen, vielen Toten und einer unglaublichen Menge an kaputten Autos in den großartigen Verfolgungsjagden. Wenn ein LKW umkippt, nimmt er natürlich als Bonus auch noch ein paar harmlos parkende Autos mit...
"Easy Money" ist weniger explizit, was Gewaltdarstellung angeht, dafür eher emotional suspensevoll, weil es um Versteckspiele, um Verrate, um Geheimnisse geht - am Schluss natürlich trotzdem ein schöner Showdown: Du hast mir doch versprochen, dass keiner verletzt wird! - Hättest ja sonst nicht mitgemacht.
"The Yellow Sea" verliert sich am Ende ein wenig, die verschiedenen Parteien verwirren sich etwas, warum wer wo mit wem was macht ist nicht ganz klar. Vielleicht wurden da tatsächlich 17 Minuten rausgeschnitten, die Laufzeit von 140 Minuten (wie er auch in Cannes gelaufen ist) ist viel kürzer als die 157 Minuten, die der München-Katalog und imdb angeben; und ein paar im Presseheft beschriebene Szenen fehlen in der Fassung, die gelaufen ist... Aber das macht nichts, interessiert auch nicht, ob einer jetzt irgendwen trifft, den er kennt, oder ob einer weiß, was ein anderer vorhat oder nicht - weil sowieso keiner auf der Leinwand mehr lange leben wird.
Wenn ein Film dann nachts um 2 Uhr aus ist - dann fahr ich nicht Taxi. Dann lauf ich 30 Minuten durch Münchner Regen - und lese am nächsten Tag in den Schlagzeilen diverser Zeitungen von Rekordregen und Monsunüberschwemmungen in ganz Südbayern...
Harald Mühlbeyer