Festival des deutschen Films: Böse Spielchen

Eine Frau besucht ihre Schwester. Die Tür ist nicht richtig zu. "Hallo?? Karin?!?" - Das Arbeitszimmer ist durchwühlt. Am Türrahmen Blut. Auf dem Boden die blutüberströmte, übel zugerichtete Leiche von Karin... Ein Geräusch. Groß im Bild ein bluttriefendes Messer; ein schemenhafter nackter Mann jagt die Frau durch die Wohnung, höchste Panik, vollkommener Terror. Schreiend schafft sie es auf den Balkon - Titeleinblendung: "Spuren des Bösen".

Ein Thriller der harten Sorte, der mit drastischen Bildern dem Bösen auf die Spur kommt - und ein Fernsehfilm des ZDF und des ORF, der Ende des Jahres um 20.15 Uhr laufen soll, entweder samstags auf der Krimi- oder montags auf der Fernsehfilmschiene. Allerdings: Keine leichte Kost, mit brutalen Bildern, und schon deshalb sehenswert, ob nicht doch etwas Blut für die Fernsehausstrahlung herausgeschnitten wird...

"Spuren des Bösen" ist ein Ausnahmefilm im deutschen Fernsehen, mit das Beste aus den letzten Jahren, ein nervenzerfetzender Film. Wenn später die Überlebende des Anfangs in einem Geheimversteck von vier Polizisten bewacht wird, und das Funkgerät nicht mehr richtig funktioniert, und einer rausgeht zu den Kollegen, die sich nicht melden: dass weiß man, dass das niemals gut ausgeht, dass es keine Versöhnung geben kann.

Dazu Heino Ferch als Psychologe, der als Verhörspezialist zu dem Fall hinzugezogen wird, es geht um Korruption in einem Baukonzern. Ferch soll der Polizei helfen, die Kommissarin (Nina Proll) ist alles andere als begeistert. Und es wird persönlich: Der Chef der Baufirma ist ein alter Schulfeind von Ferch, es kommt zum psychologischen Duell, während sich die Leichen häufen.

Die Handlung an sich ist durchzogen von den üblichen Trendsachen: eine etwas schräge Ermittlerpersönlichkeit - Ferch sammelt alte Uhren, isst monomanisch immer im selben Caféhaus, hat Probleme mit der Tochter, einer Polizeianwärterin -, emotionale Spannungen im Ermittlerteam, persönliche Verbindung zu einem der Täter etc. Doch wie das ausgeführt ist, mit welcher Konsequenz: das ist außergewöhnlich. Ferch war von Anfang an gesetzt, auf ihn ist die Rolle zugeschnitten. Martin Ambrosch hat sein Drehbuch äußerst effektiv angelegt, Andras Prochaska inszeniert mit Blick fürs Detail und mit Gespür für den Thrill.
Im Herbst wird ein zweiter Film mit demselben Team um denselben Verhörspezialisten gedreht werden; keine neue Krimireihe, eher eine Fortsetzung, ein Weiterschreiben soll das werden, sagte der ZDF-Redakteur Feindt. Und wenn das klappt, wäre es ein Glücksfall.

Auch in Marc Bauders "Das System" geht es um Korruption, diesmal angelehnt an die Wirklichkeit des Baus einer Gaspipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee. Dahinter spinnt der Film seine Fiktion, behauptet ein Netzwerk alter DDR-Genossen, die ihre Fähigkeiten der Manipulation, des Strippenziehens im modernen Lobbyismus, in der Korruption des Kapitalismus ausleben. Und das ist klug gedacht: denn es gibt dieses dumpfe Gefühl, dass das westliche Wirtschaftssystem nicht mehr funktioniert, nicht zu Unrecht, Globalisierung, Finanzkrise, Eurokrise: Die Verunsicherung am realen System nutzt "Das System" für seine spannende Konstellation.

Mike, 1989 geboren und ohne Bezug zur DDR, gerät in die Fänge von Herrn Böhm. Der war Ende der 80er mit Mikes Vater in der DDR-Devisenbeschaffung zugange, sprich: Embargohandel, sprich: Waffenschiebung. Er kümmert sich jetzt um Mike; und der ist fasziniert von den Möglichkeiten, die Böhm hat. Der ist mephistophelisch manipulativ, er kriegt alles, was er will; und er ist eine Chance, etwas über die Vergangenheit zu erfahren, über die sich Mikes Mutter beharrlich ausschweigt - auch über den Tod des Vaters.

Geschickt verknüpft Bauder das private Drama mit dem politischen Thriller; etwas mehr Bedrohung von außen hätte vielleicht mehr Spannung gebracht - doch darum geht es nicht: Bauder beschreibt eine Welt, in der das unmenschliche System der DDR in den Köpfen und im Handeln der damaligen Eliten auch heute weiterlebt: Das Unbehagen an der Gegenwart.

Harald Mühlbeyer