Filmfest München - Täterfilme
Ist es ein Zufall, dass aus Österreich zwei Filme über Straftäter kommen? Wobei der eine von ihnen nur in diesem schnitzelförmigen Nachbarland hat entstehen können, das ist klar. Der andere heißt "Atmen" von Karl Markovics, dem markanten Schauspieler (u.a. "Die Fälscher"), der hier sein Regiedebüt gibt. Und das kann er sehr gut: Von Kogler erzählen, dem 19jährigen Insassen einer Sonderstrafanstalt für Jugendliche. Ganz in sich gekehrt, ohne Regung, die Außenwelt abblockend sitzt er die Zeit ab, sucht sich einen Job bei seinen Freigängen, kommt beim großen Bestattungsunternehmen unter, und ist dabei zunächst völlig antriebslos, obwohl im nächsten Monat die Anhörung wegen Bewährung ansteht.
Markovics weiß dabei genau umzugehen mit Beobachtungen, Blicken, ruhigen Momenten, die der Figur Raum lassen - Raum, der im klar geregelten Strafvollzug fehlt, Raum, durch den man der Figur nahekommt. Irgendwann, ohne dass dahinter ein eigener Beschluss stünde, beginnt Kogler freier zu atmen; zeigt Reaktionen; arbeitet richtig mit, fügt sich ins Außenleben einer Gesellschaft ein, die er frei nie hat erleben können als Heimkind und Sträfling.
Nicht zuletzt bietet der Film genaue, eindringliche Blicke dahin, wo man normalerweise nicht hinkommt: Ins Gefängnis und in die Bestattungsindustrie, wo der richtige Tote im richtigen Sarg zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss. Schnell, effizient und doch mit einem gewissen Respekt. Zumindest, wenn Außenstehende dabei sind.
Wohin man niemals kommt: Darum geht es auch in Markus Schleinzers "Michael", der das Thema, mit dem Österreich in die internationalen Schlagzeilen gekommen ist, aufgreift. Einer der besten Filme des Jahres, im Übrigen: in dem man hinter die Kulissen bei einem ganz normalen Versicherungsangestellten blickt, der in seinem Keller einen vielleicht acht, neun Jahre alten Jungen gefangen hält für seine abendlichen Vergnügungen. Ein Film, der niemals weggeht von diesem pädophilen Psychopathen, der auch niemals wertet, der einfach zeigt. Man quält sich bei diesem Film, der so grausam blickt, der so dabei so genau arbeitet: Weil er den Alltag des Unaussprechlichen, des Unvorstellbaren zeigt mit einer (auch psychologischen) Präzision, die an die Nieren geht. Für den gefangenen Jungen ist das ja alles normal, er kennt nichts anderes. Hat sein Spielzimmer hinter dickem Riegel, geht mit dem Täter auch mal in den Streichelzoo und wirkt dann wie ein Sohn beim Ausflug mit dem Papa. Ein schrecklicher, unheimlicher, großartiger Film.
Konfus dagegen der japanische "Confessions". Darin rächt sich eine Lehrerin an ihrer Klasse voller pubertierender, selbstbezogener Gören; speziell an den beiden, die ihre Tochter aus purer Lust und Laune umgebracht habe. Was ein schöner Ansatz ist, und die erste halbe Stunde, in der die Lehrerin vor der Klasse ganz freundlich von ihrem Leiden an ihren Schülern erzählt, ist auch wirklich gut. Doch es ist eben nicht nur ihr Geständnis, auch die einiger anderer beteiligten, weshalb dann die Perspektive wechselt, immer wieder; Täter, Möchtegerntäter, Eltern, die die Täter decken, kommen zu Wort, und das führt zu einigen Redundanzen, die nichts Neues bringen. Zudem schwankt der Film zwischen überspitzter Karikatur und ganz ernst erzähltem Porträt einer egoistischen, gewaltbereiten, ungebildeten Klassengemeinschaft, in der Leben nichts bedeutet. Wäre der Film etwas überzogener: er wäre eine schöne Satire geworden. So aber wirkt der Nihilismus, den er zeigt, aufgesetzt, und das ganze Setting mit grausamen Schülern, die willkürlich morden, und einem allzu komplizierten Racheplan völlig unauthentisch.
Österreichische Täter sind interessanter.
Harald Mühlbeyer