Festival des deutschen Films: Armenier und Albaner
Ja, ich weiß: Ein Millionenpublikum hat sich schiefgelacht bei "Almanya", wie die türkische Familie über Generationen sich an der deutschen Integration abarbeitet... Aber eigentlich war "Almanya" total mies, eine auf Comedy getrimmte Volksbelustigung, die ihr Thema kaum und ihre Figuren schon gar nicht ernst nahm.
Anders "Anduni - Fremde Heimat" von Samira Redsi, der hier beim Ludwigshafener Filmfestival lief. Das ist keine Komödie, sondern eine eher tragische Geschichte um die junge Belinda, ihren deutschen Freund, ihre Familie, ihre Wurzeln in der fremden Heimat; was nicht heißt, dass kein Witz darin stecken würde. Bezeichnenderweise ist die größte Schwachstelle der "Almanya"eske Gastauftritt von Peter Millowitsch als original Kölscher Beamter, der sich so sehr einfühlen kann in die Probleme von Ausländern in der Fremde, weil's ja, hahaha, seiner Frau genauso geht, die ist aus, lachdichtot, Detmold.
Redsi wirft den Zuschauer direkt hinein ins Leben von Belinda; bzw. in den Tod von ihrem Vater, der nach einem Saufabend als Leiche im Vorgarten liegt. Also muss Belinda das Studium stecken und in der Schneiderei der Tante, die sie zudem mit diversen Nachbarn verkuppeln will. Zugleich bemüht sie sich für die Mutter um den Antrag auf Witwenrente; und hat Trouble mit ihrem deutschen Freund (Florian Lucas), den sie vor ihrer Familie verschwiegen hat.
Dass es sich bei der Sippe nicht um Türken, sondern um Armenier handelt, erschließt sich erst recht spät, als ein orthodoxer Grieche auftaucht; und erst noch später wird das überhaupt erklärt, gegenüber einem besoffenen Partygast: Armenier haben eine eigene Sprache, eigene Kultur, eigene Religion, auch wenn sie aus der Türkei stammen. Was ungewöhnlich ist, und was den Zuschauer ernst nimmt: Weil ihm nicht von vornherein alles mundgerecht präsentiert wird, weil man mitdenken muss, auch und gerade, was das Grundsätzliche angeht.
Da haben wir schon erlebt, wie die Tante auf Familie setzt, wie sie die armenische Gemeinschaft auch in Köln zusammenhalten will, wie sie die Deutschen mit ihrer laxen Moral und den vagen Werten verachtet; wie sie alle gängelt und dabei alle liebt. Schön konturiert Redsi die Armenier-Gemeinschaft inmitten von Deutschland, ihr Denken, ihr Fühlen, ihre Vorbehalte gegen die Deutschen, vor allem auch gegen die Türken, ihren Stolz und ihre Würde. Und den Kampf, den das alles bedeutet für Belinda, die ihr eigenes Leben führen will; und dabei erst herausfinden muss, was das für ein Leben ist. Der Weg der Selbstfindung führt nach Armenien, zusammen mit ihrem Onkel, den seltsamerweise Tilo Prückner spielt; und es geht auf einen mythischen Berg, auf dem sie das findet, was ihr Leben vielleicht ausmachen wird - das ist ein etwas zu holterdipolter durchgeführter Wechsel der Ebenen vom Konkreten zum Mystisch-Metaphysischen; und auch die eingestreuten, unpassenderweise mit englischen Lyrics versehenen Popsongs stören. Ansonsten aber ein gelungenes Debüt.
Weit gelungener aber, und beinahe rundweg perfekt, ist Johannes Nabers "Der Albaner", Gewinner des Max Ophüls Preises in Saarbrücken, über den auch Kollege Zywietz schon geschrieben hat; und man kann ihm eigentlich nichts hinzufügen.
"Der Albaner" besticht durch seinen durchgängigen Stil, der der Hauptfigur Arben folgt, sich mit ihr aber nicht gemein macht, der in großen, ausgesuchten Bildern das Glück zeigt, das er mit seiner Geliebten Etleva fühlt, und das Elend, in das er sich stürzt als illegaler Immigrant in Deutschland, um 10.000 Euro Brautgeld aufzutreiben, nachdem seine Etleva schwanger wurde... Das könnte Melodram werden, Immigrationsdrama, ist aber nichts von allem - am Ende vielleicht sogar noch am ehesten ein Gangsterfilm, denn Arben lässt sich, weil er das Geld dringend braucht, auf Schleppergeschäfte ein, die ihn in den Sumpf von Kriminalität und blutigem Handwerk führen; und er schlägt sich tapfer, haut sich durch, bekommt sein Geld; und hat in der Heimat doch alles verloren.
Wie fein Nader das durchkomponiert hat, die verzweifelten Versuche Arbens, das Geld zu verdienen, das er für sein Liebesglück braucht, und dabei gleichzeitig die Ahnung, dass alles vergebens ist, weil die Heimat zu fern und die Nachrichten von der Geliebten zuwenige sind: das ist auf beglückende Weise niederschmetternd. Als alle das Kino mit ernstem Gesicht verließen, mutmaßten die draußen auf den nächsten Film Wartenden, der Film müsse ja furchtbar schlecht gewesen sein. Nein, war er nicht; ganz im Gegenteil.
Harald Mühlbeyer