TV-Nachschau: Der Staat und andere Erpresser oder: Steuerfahndung, ick hör dir trapsen…


Nachgereicht aus dem Fernsehen: Kommissarin Lucas: Gierig (15)

Eine Frauenleiche wird aus der Donau gefischt. Ihr Handy führt Kommissarin Lucas zu Steuerfahnder Klaus Merdinger (Herbert Knaup). Karoline Roth war Angestellte einer Privatbank und wollte ihm für 1,8 Millionen Euro Schweizer Bankdaten verkaufen. Ihr Computer und die Daten bleiben zunächst verschwunden, doch wenig später meldet sich ihr Kollege Christian Wittbach (Devid Striesow) und bietet seinerseits die Daten zum Verkauf. „Ich will Merdinger sprechen“, sagt Wittbach nur im Verhör, die Bilder von der Wasserleiche will er sich gar nicht erst antun und guckt weg. Doch potenziell verdächtig ist auch die Bank, die ihre Geschäfte schützen will und der Großunternehmer Schupp (Christian Doermer), der derart viel Geld am Fiskus vorbeigeschleust hat, dass er nun alles verlieren könnte. Merdinger nutzt die Chance Wittbach freizubekommen, um endlich den Kuhhandel durchzuziehen. Die Kommissarin bleibt hart (wie so oft) und lässt Wittbach und seine Frau Luise (Jeanette Hain) überwachen, sie ist sich sicher, dass er der Täter ist.

Regisseur Ralf Huettner liefert nach VINCENT WILL MEER einen vielschichtigen Fernsehkrimi, der den staatlichen Ankauf von gestohlenen Bankdaten zum Fall macht. „Hier geht es um mehr als Mord, hier geht es um Steuergerechtigkeit“, das ist Merdingers Prämisse. Sind 1,8 Millionen Euro nicht die vielen Millionen wert, die der Staat daran verdient? Nur Ellen Lucas tritt ihm kompromisslos entgegen, denn mit Mördern macht man keine Geschäfte. Punkt. Die Wut der Kommissarin ist berechtigt, denn sie muss erkennen, dass Merdinger die Polizeiarbeit systematisch behindert und ihr Vorgesetzter Boris (Michael Roll) Beweismaterial zurückhält.

Gierig sind alle Beteiligten in diesem Fall: Die Privatbank, die dem deutschen Unternehmer gerne bei der Steuerhinterziehung behilflich ist, ebenso wie im Kleinen der einzelne Bankberater, der in der Nebenhandlung Ellen Lucas‘ Schwester Rike (Anke Engelke) ein Fischrestaurant in der Regensburger Altstadt schmackhaft machen will (was für eine Idee!?). Der Unternehmer Schupp, der durchgehend am Rande des Herzanfalls wütet und schimpft, aber sich nicht selbst anzeigen will, wie es ihm seine Tochter (Petra Kleinert) rät. Merdinger, der nach dem Mord an seiner Informantin auch dem potenziellen Mörder das Geld geben würde, wenn der nur die Daten herausrückt. GIERIG macht klar, dass sich die politischen Interessen „von ganz oben“ nicht unterscheiden vom Geschacher zwischen allen anderen Beteiligten – sie sind nur eine weitere Erpressung unter vielen.




Der Mord wird zur Nebensache, denn GIERIG verlässt oft die Ermittler und zeigt dem Zuschauer die Zusammenhänge schon lange, bevor diese ihnen auf die Spur kommen. So entfaltet sich inmitten des strengen Krimiplots der Konflikt zwischen Wittbach und seiner Frau Luise – die intensivste Szene des Films. „Das hier, das macht uns frei!“, sagt er und hält ihr die CD unter die Nase. Während er im Kinderzimmer sitzt und die Daten kopiert – alle anderen Computer wurden beschlagnahmt – fragt sie ihn, ob er eine Affäre mit Karoline Roth hatte. Er schnaubt genervt – Auch das noch! – aber beteuert seine Unschuld. Und die Tickets nach Kapstadt für zwei Personen? „Ich musste die irgendwie beruhigen. Die wollte aussteigen. Dabei waren wir fast fertig“, sagt Wittbach, als wäre das die blödeste Idee von allen. Wofür ein Risiko eingehen, wenn sich das nicht lohnt? Die Kommissarin wundert sich nicht umsonst im Verhör, wie er nur so kalt sein kann. Devid Striesow spielt Wittbach gewohnt stark, überheblich und kühl – das erinnert thematisch passend an seine Figur in Dieter Wedels GIER (2010) und seinen Trickbetrüger in Alexander Adolphs SO GLÜCKLICH WAR ICH NOCH NIE (2009). Wittbach ist ein Verführter und realisiert nicht, dass seine Chance auf einem Verbrechen fußt. Er muss erst am starken Ende erkennen, dass er zwar alles gewonnen, aber gleichzeitig viel mehr verloren hat.

Huettner liefert einen komplexen Krimi mit einer starken Darstellerriege ab, der den Standard der Reihe hoch hält. Am Ende wird auch die Kommissarin böse und klatscht Luise Wittbach die Emails zwischen ihrem Mann und seiner Geliebten vor die Nase. Er hat sie angelogen. Und das kommt ihm am teuersten zu stehen. Das Ende bleibt zwiespältig, denn viele haben zum Tod von Karoline Roth beigetragen. Luise Wittbach gesteht, aber war es doch nicht. Wittbach ist entkommen, doch der Koffer voller Geld kostet ihn die Familie. So holt den Davongekommenen die poetische Gerechtigkeit des Krimis doch noch ein. Und auch Boris bekennt noch rechtzeitig Farbe, so kann die Aufklärung der Tat auch die Ordnung des Ermittlungsapparates wiederherstellen. Nur Ellen Lucas wird ihm das so schnell nicht verzeihen, dass er sie angelogen hat. Das macht neugierig auf den nächsten Fall.

Mathias Grabmaier

ZDF, 04.06.2011
mit: Ulrike Kriener, Devid Striesow, Jeanette Hain, Herbert Knaup, Petra Kleinert, Christian Doermer, Alexander Beyer, Johannes Terne, Michael Roll, Florian Stetter, Alexander Lutz, Tilo Prückner, Anke Engelke

Buch: Florian Iwersen, Stefan Holtz, Ralf Huettner
Regie: Ralf Huettner
Kamera: Sten Mende
Prod: Olga Film