Grindhouse-Nachlese April / Mai 2022: „Switchblade Sisters“ und „Rebellion der lebenden Leichen“, „Die Engel von St. Pauli“, „Coffy“ und „Shock Waves“
Grindhouse Double Feature, Samstag 23. April 2022, Cinema Quadrat Mannheim:
„Die Bronx-Katzen“ / „Switchblade Sisters“ / „The Jezebels“, USA 1975, R: Jack Hill
„Rebellion der lebenden Leichen“ / „Blutrausch der Zombies“ / „Die Beschwörung des Teufels“ / „La rebelión de las muertas“, Spanien 1973, R: Léon Klimovsky
Grindhouse Triple
Feature, Samstag, 21. Mai 2022, Cinema Quadrat Mannheim:
„Die Engel von St. Pauli“, D 1969, R: Jürgen Roland
„Coffy – Die Raubkatze“ / „Coffy“, USA 1973, R: Jack Hill
„Shock Waves – Die aus der Tiefe kamen“ / „Zombies – Die aus der Tiefe kamen“ / „Die Schreckensmacht der Zombies“ / „Nazi Bloodstorm“ / „Shock Waves“, USA 1977, R: Ken Wiederhorn
Aus Zeitmangel kann man seiner Chronistenpflicht nicht immer nachkommen; das bedeutet Nacharbeit: Der April hat ein weiteres der irren Paul Naschy-Werke gebracht, „Rebellion der lebenden Leichen“, das diesmal standesgemäß in London spielt, dort, wo es dolle Grabstätten gibt und vor allem, wo das Erbe des alten, großen Empires zurückschlagen kann. Denn es erstehen durch Voodoo-Zauber die Toten aus ihren Gräbern und begehen auf Befehl eines geheimnisvollen Geheimmagiers böse Mordtaten, in die eine junge Frau hineingezogen wird, die wiederum einen Freund hat, den sie aber für einen indischen Guru für ein paar Tage verlässt, um in dessen Landhaus erschreckliche Entdeckungen zu machen, denn dieser Guru ist zwar der Gute, aber er hat einen Bruder, der böse ist und auch völlig verstellt durch ein Feuer damals, in ferner Vergangenheit, in der indischen Heimat – es ist dies auch eine Geschichte der Rache einer Ex-Kolonie an der englischen Oberschicht. Die beiden Brüder werden von Paul Naschy dargestellt, der hat auch das Drehbuch geschrieben, es ist daher gewohnt willkürlich und gewohnt verworren. Aber dafür guckt man sich diese Filme ja an! Die Zombies sind übrigens nicht die „modernen“ Zombies von Romero und Epigonen, sondern einfach Tote, die wiederauferstehen und hirntot töten. Der böse Bruder will die Welt beherrschen als Voodoo-Weltbeherrscher, der gute Bruder sitzt hilflos da, und die gute Elvira weiß nicht ein noch aus, es ist wie immer bei Naschy: Atmosphäre wie bei den Hammer-Studios, aber mehr Titten (so einstmals Boris, der verdienstvolle Gründer der Grindhouse-Reihe.
Boris hat damals die Reihe ja erfunden, um Gelegenheiten zu bieten, die Filme zu sehen, die Herr Tarantino so verehrt und denen er in seinen eigenen Filmen, in Kunst überführt, Referenz erweist. Daher lief im November 2008 schon einmal „Switchblade Sisters“ (Kämpferin mit Augenklappe! Tarantino ist großer Fan!); und er wurde nun noch einmal aufgeführt, weil er schlicht wichtig ist bei der Beschäftigung mit dem Grindhouse-Filmgenre: Jack Hill präsentiert hier nämlich nicht einfach Frauen als Anhängsel der Männerwelt im Film, oder als Eyecatcher für die Männerwelt im Kinosaal, sondern als eigenständige Wesen mit eigenständigem Willen und eigenständigem Handeln. „Switchblade Sisters“ ist ein Girl-Gang-Film, der mit auffallend wenig Nacktheit – und wenn, dann nicht im erotisierenden Sinn – die Selbstermächtigung einer Frauengruppe in den mean streets der Großstadt zeigt; insbesondere die Emanzipation von der Männergang, der die Bande um Lace zunächst als hübsches Anhängsel, quasi springmesserbewehrte Cheerleadergruppe, angehängt ist.
In Laces Girl-Gang „Dagger Debs“ wird die selbstbewusste Maggie aufgenommen, zum Missfallen von Laces Freundin und rechten Hand Patch. Mit Maggie beginnt der Prozess der Selbstermächtigung, insbesondere, weil die Silver Daggers – mit Macho und Lace-Freund Dom an der Spitze – einen Hahnenkampf-Beef hat mit der Konkurrenzgang um den dandyhaften Crabs. Der tritt auf, als hätte er ein paar Mal zu oft „Clockwork Orange“ geguckt, und er will die High School übernehmen, über die Dom und Co. bisher das Sagen haben. Nebenbei findet Dom Maggie, die Neue, gut, und vergewaltigt sie. Während Lace merkt, dass sie von Dom schwanger ist.
Jack Hill blickt auf die Details der Figurenkonstellation, auf die Kleinigkeiten der Beziehungen, wo Täuschungen und Selbsttäuschungen und Freundschaft und Eifersucht und List und Verrat und Liebe und Treue wild durcheinanderschwingen; und er blickt auf die Action auf den Straßen, die von Dom und von Crabs beansprucht wird, und zwischendrin die Dagger Debs. Es gibt natürlich die Szenen, die sein müssen: die Gang im Jugendknast mit einer lesbisch-sadistischen Wärterin, die überwältigt wird; die Bewährungsprobe zum Einstieg in die Gang; die Konfrontation der Rivalen, ums Revier und um die Girls; der große Kampf, in diesem Fall in der Rollschuhhalle, ein Überfall auf die Gegner, der sich als Falle herausstellt mit einigen Toten – aber diese Standards untergräbt Hill durch das Agieren der Frauengang, in der Maggie, mit ihren modernen Ideen der weiblichen Selbständigkeit auch im kleinkriminellen Bereich, mehr und mehr Oberwasser bekommt. Sie kennt auch die richtigen Leute, nämlich eine Black Women-Gang, politisiert, aber bereit, Crabs auszuschalten: der nämlich unter dem Vorwand der Wohltätigkeit Essen verteilt, tatsächlich aber vor allem Drogen vertickt im Viertel. Straßenkampf! – und das mitsamt einem Panzer, provisorisch um ein Auto geschweißte Stahlplatten inkl. Schießscharten; dagegen kommt keine Jungsgang an. Aus der Mädchengang „Dagger Debs“, die bei den großen Jungs mitläuft, werden die „Jezebels“, eigenständig, cool, benannt nach der Bibel: die Frau, die eigene Entscheidungen trifft. Und die fürs Patriarchat als böse gilt.
Max, das Mastermind der Grindhouse-Reihe, freute sich sehr: Endlich konnte er einen Film präsentieren, in dem Frauen im Mittelpunkt stehen, die nicht von einer sexistischen Kamera den lüsternen Blicken eines männlichen Publikums vorgeworfen werden. Und der nicht einfach nur ein weiterer in der Reihe der Grindhouse-Filme ist, nicht einfach ein Vergnügen auf der Leinwand, sondern tatsächlich etwas in der wirklichen Welt bewirkte, nämlich das Streetart-Projekt „Girl Gangs against Harrassment“ – woraufhin sich ein Herr aus dem Publikum meldete. Und Max’ Ausführungen ergänzte. Denn dieses Projekt: Cutouts an dunklen Plätzen mit Abbildungen wehrhafter Frauen – es ist nicht nur in Mannheim konzipiert worden, es ist nicht nur inspiriert von dem Film, sondern es ist direkt aufgrund der erstmaligen Grindhouse-Vorführung von 2008 entstanden, bei der die Initiatoren die „Switchblade Sisters“ entdeckt haben! Und das ist natürlich ein Grund zur großen Freude, dass die Grindhouse-Reihe die Welt zu einem besseren Ort macht.
Im Mai brachte dann das Grindhouse Triple Feature einen weiteren Film von Jack Hill, einen früheren: „Coffy“ brachte Pam Greer 1973 ganz groß raus – erneut ein Film mit selbstbewusster Frau im Mittelpunkt, der über das übliche Revenge-Schema hinausgeht. Greer spielt Ms. Coffin (!), genannt Coffy, „Coffee is the color of your skin“, singt es aus dem Titellied, spätere Lyrics eines weiteren Songs: „Coffy baby – sweet as a chocolate bar“: Das sind die Überbleibsel der sexistisch-patriarchalischen Filmemacherei, der sich der Film natürlich nicht gänzlich verschließen kann – aber er setzt mit Coffy eben eine Frau in Szene, die weit mehr ist als Männerfantasie und Männerblickfang. Coffy ist Krankenschwester, typischer Frauenberuf – aber vor allem lernen wir sie kennen, als sie sich durch einen Dealer einem Drogenboss anbieten lässt: Sie macht alles, was du willst, sie wartet im Auto… Coffy, zwei Männer, eine Wohnung – der eine am nächsten Schuss interessiert, der andere will zum Schuss kommen, aber schießen tut Coffy, sie hat eine große Wumme dabei. Danach ist sie fix und fertig. Sie hat Nachtschicht. Sie zittert, sie weint, bei der OP kann der Arzt sie in dem Zustand nicht brauchen.
Emotionen nach dem Mord werden selten thematisiert im Film, und noch seltener so sehr als existentielle Krise: Weil Coffy sich selbst nicht wieder erkennt, alles war wie ein Traum, der aber nun ja vorbei ist – denkt sie. Ist er aber nicht.
Sie hat die beiden Drogenheinis erschossen, weil diese für die Heroinsucht von Coffys elfjähriger Schwester verantwortlich waren. Die ist seit langem im Rehab, auf dem langsamen Weg zur Besserung – aber die beiden Händler sind ja nicht die, die die Drogen ins Land gebracht, im Land verteilt haben. Coffy hat einen Freund, der ist Polizist, mit ihm war sie mal zusammen, der erklärt, dass so etwas wie Selbstjustiz nicht funktioniert bei Drogen, weil nicht das ganze System zerstört werden kann – es bahnt sich beinahe so etwas wie eine Romanze zwischen den beiden an; zumindest ist vollkommen klar, dass Officer Carter für sie der richtige Mann wäre – und auf keinen Fall der aufsteigende Politiker Brunswick, in den Coffy so sehr verliebt ist. Den erleben wir, vor dem Rendezvous mit Coffy, bei der Korruptionsbesprechung mit dem Polizeipräsidenten, danach aber als liebevoller Liebhaber… Brunswick wird der nächste Kongressabgeordnete werden, steckt mitten im Wahlkampf und verspricht, den Drogenhandel, den das politische System zur Unterdrückung der schwarzen Community billigt oder gar fördert, auszumerzen. Ja, klar.
Carter ist der einzige saubere Cop. Er macht Coffy schöne Augen. Er wird so brutal zusammengeschlagen, dass sein Hirn nur noch Gemüsebrei ist. Auf einen Schlag hat Jack Hill die Konventionen des Genres, die Konventionen von Hollywood zertrümmert: Dass eine Frau noch so stark sein kann, noch so sehr für die Gerechtigkeit kämpfen kann und noch so sehr sich alleine durchschlagen kann, ihr zur Seite steht irgendwo ein Prince Charming, mit dem sie ihr Glück finden wird. Hier nicht. Hier ist Coffy wirklich allein, und sie wird immer einsamer. Immer verzweifelter. Und immer hartnäckiger, weil sie nicht nachlässt, weil sie ihre Tränen herunterschluckt. Weil sie sich geschickt einschleicht, tief hinein in den Sumpf aus Drogen und Prostitution, aus Macht und Gewalt.
Sie bietet sich dem schwarzen Drogenboss der Stadt an, als Hure; der sie an den italienischen Oberboss des Staates weiterleitet, der heftig sadistische Adern hat: Auf die Knie, schwarzes Miststück, da, wo du hingehörst… – leider missglückt der Mordanschlag. Und für die Machomänner im Gangstertum ist klar, dass eine Frau allein sowas nicht zustande bringen könnte – also, die Männer zu verarschen und nach ihrem Leben zu trachten. Wer steckt dahinter? Sicher ihr Lover Brunswick, der politische Zweig der Drogenwelt, der ihnen hinterrücks…
Coffy wird unterschätzt, weil sie eine Frau ist, und sie unterschätzt sich lange selbst, bis sie anfängt, zu erkennen, was sie kann: Nicht nur ihre Schwester rächen, sondern darüber hinaus als echte Vigilantin für das Gute zu kämpfen, das alle anderen längst aufgegeben haben, wenn sie nicht sowieso im Bösen ganz tief drinstecken. Sie tötet. Sie kann es nun. Sie ist allein, und sie wird immer verzweifelter, und sie wird immer zielbewusster; dass Brunswick sie nur als Fickstück benutzt hat, ist nur noch der letzte Push für sie.
Jack Hill und Pam Greer: Weibliche Ermächtigung gegen alle Widerstände; wobei der Film zwar von dem weiblichen Kampf erzählt, Hill aber dennoch – mehr als im späteren „Switchblade Sisters“ – die Kamerablicke über Greers volle nackte Brüste gleiten lässt, weil ja immerhin das Genre, die Kinos ganz in männlicher Zuschauerhand sind. Zwangsläufig, der Film muss ja auch laufen, muss Greer sich einlassen auf die männlich geprägte Ästhetik, zumindest szenenweise; aber die Waffe, das Leben der Männer, ihr eigenes Leben, das alles hat Coffy fest in der Hand, in der eigenen.
Fest die Zügel in der Hand haben „Die Engel von St. Pauli“ – das ist sind die Verbrecherbosse, das Kartell der Gangster in Hamburgs Sündenviertel in Jürgen Rolands sehr genauem Kriminalstück direkt aus der deutschen Unterwelt. Horst Frank als Jule Nickels ist der Obergangster, oder, wie er im Voice Over zu Anfang sagt, der „Klassensprecher“. Ein Leichenzug bewegt sich durch St. Pauli, eine der Großen im Gewerbe wird zu Grabe getragen, am Sarg ein Kranz: „Letzter Scheidegruß von deinen Kolleginnen“; Horst Frank erläutert: Das sind die Damen, die ihre Liegenschaften im Liegen erwirtschaften – ein bisschen Kalauer, ein bisschen Herrenwitz muss sein in dem Film, und das Besondere ist, dass Jürgen Roland diese Schmierigkeit nicht übernimmt, während er sie zeigt. Roland geht hinein in die Strip- und Bumslokale, in die Hinterzimmer, zu den Nutten und ihren Freiern, er erzählt aus den Tiefen der Vergnügungsmeile, anhand eines Krieges zwischen den alteingesessenen Hamburgern und den neuen Wienern – Herbert Fux ist Horst Franks Konkurrent um die Häuser, um die Frauen, um die Bars, Drohungen werden zum Überfall auf eines der Freudenhäuser, aus dem Frauen wie Freier rausgeschmissen werden; dann brennt einer der Stripclubs, dann wird geprügelt. Irgendwann gibt es einen Toten: „Schwuli“ wird vor die Gleise der U-Bahn geworfen, das kocht den Gangsterkrieg nochmal so richtig hoch, die Polizei mischt auch mit, nun wirklich: Eigentlich gibt es ein gewisses Stillhalteabkommen zwischen Kommissar und Nickels, die Gangster stören die öffentliche Ordnung nicht, die Polizei guckt nicht so genau hinter die Kulissen.
Doch während die Chose am Hochkochen ist, schleicht einer rum übern Strich, will eine der Vergnügungsdamen haben, die lehnen ab, er landet bei der taubstummen Lisa. Kriegt bei ihr aber keinen hoch, zuviel Hasch. Wird wütend. Will sein Geld zurück. Er und sie kämpfen. Irgendwann liegt sie tot da – nein, sie atmet noch – er raus, aus dem Fenster übern Hinterhof – sie stirbt in den Armen von Nickels. Außen, an der Feuertreppe, steht gerade Hollek, der Wiener Obergangster, er will Nickels ausspionieren – seine und des Mörders Blicke treffen sich – der Mörder ist ab. Und Hollek und Nickels müssen zwangsläufig gemeinsame Sache machen, denn ein Mord außerhalb des Gangstertums, das ist noch schlimmer als würde irgendwer auf Gleise gestoßen.
Roland macht einen auf Fritz Lang, wie in „M“ gehen die Gangsterbanden auf die Suche nach dem Mörder, der ihre Kreise stört – dass die Gangster sich gegenseitig belauern, sich gegenseitig zu Fall bringen wollen; dass ein Polizeispitzel schlau sein will und der Staatsgewalt wie auch den Gangster wie auch dem Nuttenmörder zuarbeitet, immer mit schön Geldkassieren, macht die Sache nicht einfacher, aber spannender – und spannend ist der Film auf jeden Fall, hochinteressant auch, weil er das Hamburg Ende der 60er ganz deutlich zeigt, weil er hineingeht in die Eingeweide, da, wo Fleischeslust zu Einkommen umfunktioniert wird, für Frauen kaum, für die Gangsterbosse umso mehr. Roland geht hinein, er zeigt, wie St. Pauli funktioniert, er zeigt die nackten Frauen, wie sie sich räkeln für die Vergnügungssüchtigen, er zeigt einen Striptease vor Nickels, als Casting für die Eignung der Dame – und das Besondere ist, dass diese Blicke auf die Nacktheiten, die Blicke auf die Lüsternheit nicht die der Kamera selbst sind, sondern dass der Film schlicht registriert, nach welchen Waren und Währungen hier alles funktioniert.
Nazizombies: Da denkt man an tiefsten Trash. „Shock Waves“ bietet Nazizombies, ist aber nicht wirklich Trash – da wird der geneigte Besucher an der Nase herumgeführt von diversen Neo-Meta-Grindhousefilmen, die seit etlichen Jahren im Schwange sind, die den Geist der 70er umformen in filmischen Spaß über die 70er – Herrgott, „Iron Sky“ lief ja sogar auf der Berlinale!
1977 aber kam ein echter Grindhousefilm raus, in dem es um eine untote SS-Brigade geht: Die wurden damals gezüchtet, um unempfindlich gegen Schmerz und Mitleid den Tod zu bringen – leider aber überzüchtet, mit so heftigem Tötungstrieb, dass sogar die Nazis sie lieber wieder loswerden wollten und in einem alten Frachter im Meer versenkten. Nur sind sie eben keine Menschen mehr – die Organtransplantation war in Nazideutschland viel weiter als heute! –, deshalb gibt es den ganzen Trouble.
Diese Backstory erfährt man allmählich im Filmverlauf; zunächst geraten wir ins Hochseeabenteuer von ein paar Urlaubern auf Karibik-Kreuzfahrt. Wobei „Kreuzfahrt“: Sie schippern übern Ozean in einem alten Kahn, der Kapitän kennt sich aus, ist aber knorrig (John Carradine spielt ihn), der Smutje hängt am Suff, der Maat ist eher von der nachlässigen Sorte. Und die Urlauber sind bunt gemischt, vor allem der eine nörgelt an allem rum, voll der Spießboomer. Nachmittags aufgewühltes Meer, trübe Sonne, alles in düsteres Ocker-Licht gehüllt: ein Seebeben? Der Kapitän beruhigt, auch sich selbst, in der Nacht aber wird der alte Klapperkutter, der kaum je als Jacht zu bezeichnen wäre, gerammt von einem fetten Dampfer – und schiffbrüchig müssen sich die Kreuzfahrtler auf eine Insel retten.
Vor der Insel ein altes Wrack – es ist über Nacht aufgetaucht. Auf der Insel ein riesiges schlossartiges Anwesen, ein altes Hotel? Darin ein einzelner Mensch, Peter Cushing: Er spielt den vormaligen SS-Kommandeur, der nun erkennen muss, dass sein Werk aus der Nazizeit aus der Tiefe wieder hervorbricht: Unter Wasser schwere schwarze Stiefel, die durch das Wrack marschieren, dann tauchen sie auf, großgewachsen, blond, in den typischen enganliegenden, schmucken Uniformen, die den Nazis diesen ganz speziellen Stil-Appeal geben. Sieht sehr gut aus, wie ein Rammstein-Video, ist aber tödlich – sie verbergen sich unter Wasser, atmen müssen sie ja nicht, sie schleichen sich schnell von hinten an, zack ist man tot.
Die unbedarften Urlauber wie die unbedarfte Crew werden mehr und mehr dezimiert, Peter Cushing irrt halb verzweifelt, halb dement durch die Sümpfe – er wirkt ein bisschen wie Ur-Dracula Bela Lugosi in Ed Woods „Plan 9“, tatterig und halb im Grab; na ja, alsbald voll tot, gekillt von seinen eigenen Geschöpfen.
Es hört sich sehr mies an, ist es aber eigentlich gar nicht; gut, Logik ist nicht die Sache des Films – Küche und Kühlkammer sind leer, wovon lebt eigentlich Cushings SS-Kommandeur über die Jahre? Und wie ist das noch mit den enganliegenden Fliegerbrillen, die die SS-Untoten tragen – warum fallen sie um und verwesen, wenn man ihnen die Brille runterzieht? Aber das ist ja wurscht, schon viel Größere sind an Wahrscheinlichkeiten in ihren Filmen gescheitert – was Regisseur Ken Wiederhorn schafft, ist eine sehr sehr schöne Atmosphäre, zuerst in der Enge des Schiffs, dann in der Weite der Insel, im weitläufigen Schloss, in den urwaldartigen Sümpfen… Und er weiß zu inszenieren, seine Darsteller zu führen, die Produktionswerte herauszustellen, hat Sinn fürs Visuelle und für Dramatik. Eine der besten Szenen: Verzweifelt am Abend verbarrikadieren sich die Überlebenden in der Kühlkammer, die Türe ist dick und fest, und während die SSler das Anwesen überfallen und übernehmen, bekommt in der Kammer einer die Panik: Platzangst, da kannst du nichts dagegen machen – aber sein Anfall gefährdet alle, er will raus, darf aber nicht, schließlich flieht er, schießt auch noch eine Leuchtrakete ab im Handgemenge, und nicht nur müssen jetzt alle räumen, auch ist eine von ihnen blind… Sehr gut herausgespielt, und allein dafür schon mal Hut ab.
Erzählt wird alles aus Sicht von Rose, gespielt von Brooke Adams, als eine lange Rückblende über die schockierend-traumatischen Ereignisse; Adams wird ein Jahr später in Terrence Malicks „Days of Heaven“ neben Richard Gere und in Philip Kaufmans „Die Körperfresser kommen“ neben Donald Sutherland die weiblichen Hauptrollen übernehmen. Hier spielt sie fragil und zart diejenige, alles bezeugen kann; mehr oder weniger.
Harald Mühlbeyer