Grindhouse Nachlese Januar 2023: Frankfurt Kaiserstraße und El Santo in Spanien
Grindhouse Double Feature, Samstag, 28.1.2023, Cinema Quadrat Mannheim
Frankfurt Kaiserstraße, D 1981, R: Roger Fritz
Santo contra el doctor Muerte, Mexiko/Spanien 1973, R: Rafael Romero Marchent
Roger Fritz stammt aus
Mannheim; und wenn er einen Film mit der Produktionsgesellschaft Lisa-Film
dreht, dann ist dies doch wunderbar passend für den Grindhouse-Januartermin.
Lisa-Film, die mit Sexkomödien ihr Geld machte und dann, ein paar Jahre später,
mit Tommy&Mike – und Roger Fritz, der immer einen Drang zur Wirklichkeit
hat, die er fotografisch einfängt, eben nicht als Wirklichkeit, aber als
echt. Frankfurt Kaiserstraße ist ein Milieufilm, ein Charakterfilm, eine
Liebesgeschichte: Susanne und Rolf lieben sich. Sie, Metzgerstochter in einem
hessischen Provinzkaff, ist gerade mit der Schule fertig, er muss bald zum
Bund. In seiner Bude erleben sie das Erste Mal; und das ist so zärtlich
gefilmt, so innig in der Zweisamkeit, wie man es von einem Werk mit diesem
Titel und dieser Produktionsgesellschaft nicht erwarten könnte. Fritz lässt
nicht reißerisch die Nacktheit vor dem Zuschauer aus, sondern inszeniert die
Intimität, und die beiden haben uns sofort für sich eingenommen, in ihrem
Schwur, für immer beieinander zu bleiben.
Dann platzt Rolfs Papa ins Zimmer, ist entsetzt, was sollen die Leute denken, und überhaupt, was wird der Metzger dazu sagen!!! Der ist natürlich sauer, seine Tochter mit diesem Jungen, und Doppelmoral lässt er sich schon gar nicht vorwerfen, nur weil er mit der Verkäuferin liebesspielt, er ist schließlich lange schon Witwer. Die Tochter haut ab, nach Frankfurt, in die berüchtigte Kaiserstraße, da wohnt Onkel Ossi. Zu diesem Schwulen will sie!
Das Provinzleben ist,
außer was das Liebespaar betrifft, durchaus karikaturesk gezeichnet, mit
breitem hessischen Dialekt und breiten Ressentiments der Alten gegen die
Jungen. Das Leben in der Kaiserstraße ist bunt, da steht Ossis Blumenladen
zwischen Peepshow, Stripclub und Billardsalon, und Ossis Freund Tony,
US-Amerikaner, empfängt Susanne freundlich. Und bereitet so den Boden für den
großen Auftritt von Kurt Raab, der als tantenhafte Tunte die Rampensau
rauslässt. Er spielt als Onkel Ossi ganz überdreht alle Schwulenklischees rauf
und runter, als Transvestit und Travestiesänger, und das wirkt sonderbarerweise
auch heute nicht wirklich homophob, sondern als liebevollen, wenn auch kruden
Gruß an die Community. Naja, okay. Heute könnt man das nicht mehr machen. Und
ein bisschen Klamauk muss halt sein.
Susanne in Frankfurt – um
sie herum das Laster, das sie nun jugendlich neugierig betrachtet. Wobei immer
das Menschliche hinter dem Laster sichtbar wird. Sie wird umschwärmt vom
Gemüsejungen, arbeitet an der Bratwurstbude. Im Billardsalon haben die
Handlanger des Unterwelt-Großmufti Johnny – ein Wiener! – dem Besitzer Aldo
eine explosive Billardkugel untergejubelt. In der Kaserne wird Rolf von seinem
Feldwebel heftig gedrillt, der hat ihn auf dem Kieker, wie er alle Neuen auf
dem Kieker hat. Und die Kantine wird geleitet von einer jungen Frau, die weiß,
was (und wen) sie will, die sich nimmt, was (und wen) sie will, und die
klarmacht, dass das nicht bedeutet, dass jeder sie haben kann. Sie fährt
Motorrad, und das findet Rolf dufte.
Rolf wird ins Leben geworfen. Dazu gehört, dass auch Susanne ins Leben geworfen wird, in ein anderes als seines. Das Leben auf der Kaiserstraße wird bestimmt von Johnny. Und der sieht in Susanne Potential, in einer Karriere als große, gewinnbringende Hure. Was sie erstmal nicht erkennen will. Diese Grundhandlung des Films ist flankiert von vielen kleinen Nebenepisoden, die nicht angepappt wirken, sondern als Bereicherung dieser Welt. Aldo, der sich zu wehren versucht gegen die Unterweltrivalen. Die ehelichen Probleme zwischen Ossi und seinem Tony. Wie Susanne Freundschaft schließt mit einer Kollegin. Nebenbei Einschüchterung, Schutzgelderpressung, Zuhälterei, Mord. Und spätnachts labert einer Rolf voll, stockbetrunken brabbelt er davon, wie er einen anderen in den fünften Stock gekickt hat, der’s verdient hat…
Santo, der
silbermaskierte Wrestler aus Mexiko – wir kennen ihn aus „Los campeones
justicieros“ https://screenshot-online.blogspot.com/2015/09/grindhouse-nachlese-juli-2015-amoklauf.html
–, ist Weltmeister in seiner Kunst, und zum Sport hat er den Film addiert. Hunderttausend
Filme hat er gedreht, plusminus, als edler Kämpfer für das Gute, und als fairer
Kämpfer im Ring. 1973 verschlägt es ihn nach Spanien, aus seiner mexikanischen
Heimat, wo die Filme um Ringkämpfer, die das Verbrechen bekämpfen, höchste
Publikumsgunst genießen. Und wo es gar nicht weiter auffällt, dass Santo und
Co. bei allem, was sie tun, ihre Ganzkopfmaske aufhaben. Auch im Anzug, auch
bei der Ankunft am Flughafen. Völlig normal, man fragt ja auch nicht, warum
Buster Keaton einen flachen Hut aufhat und Harold Lloyd eine runde Brille.
Ins Museum wird
eingebrochen. Wir sehen den Einbruch detailliert, es hat Tom Cruise-Qualitäten,
wie der Verbrecher sich vom Oberlicht abseilt hinunter in den sorgfältig
gesicherten Raum. Er versprüht was aus der Sprayflasche. Das ist der
rätselhafte Beginn von Santo contra el doctor Muerte. Es geht um einen
mysteriösen Kunstschaden: Ein Velazquez-Gemälde wurde nach einer Leihgabe von
Mexiko aus nach Spanien zurückgebracht, und jetzt ist es zerstört. Obwohl es
immer bewacht war! Zum Glück kann Dr. Mann helfen, der ist
Kunstsachverständiger und Restaurator in seinem großen Schloss. Und da wird es
noch rätselhafter, weil nicht nur eine Menge schöne Mädchen da rumhängen, die
drauf warten, dass er sie zum Modellsitzen für eine Malsession ruft, sondern
auch der blinde Bruder rumgeistert. Und irgendwo ist eine Kammer mit kranken
Frauen, und ab und an wird eine mit Gewalt rausgeholt, und dann wird operiert
und irgendwas aus ihrem Bauch geholt. Im Nebenraum werden derweil Gemälde in
großem Stil gefälscht.
Santo wird als
spezialbeauftragter Agent auf den Fall angesetzt, zumal er in Spanien ohnehin
ein paar Weltmeisterschaftskämpfe zu bestehen hat. Er fährt also zweigleisig:
abends im Ring, und tatsüber am Ermitteln. Die Ringkämpfe sind wahrscheinlich
echt, quasi dokumentarisch gefilmt, und wenn auch zu Beginn drei Kämpfe
versprochen wurden, gibt es doch nur zwei zu sehen. Wahrscheinlich, weil die
Moves sich halt doch gleichen. Aber man kann Santos Technik schön sehen, viel
Beinarbeit, Beinscheren, mit denen er die Gegner rumwirbelt, und immer wieder
Hechtsprung. Dies kommt ihm natürlich zugute im Kampf mit den Verbrechern, die
sich immer wieder drauf einlassen, ihn besiegen zu wollen. Ha, lächerlich!
Immer wieder schöne Kämpfe, es ist herrlich!
Man will ja nicht
komplett spoilern. Aber eigentlich muss ich doch, weil das ist zu hammermäßig.
Dieser Irrsinns-Plot, um sich die weltbeste Gemäldesammlung anzueignen!
Rembrandt ist schon da und Da Vinci (klar, die Mona Lisa), und jetzt kommt der
Vélazquez dazu: Die gefälschten nämlich werden zurückgegeben, die Originale
behalten, und wie wird gefälscht! Es ist höchst geheimnisvoll. Man muss wissen,
dass Dr. Mann nicht nur Kunstwissenschaftler, sondern auch Chemiker ist. Und
mit Hormonen oder so kann er in den armen Frauen in der Kammer – ach, ich
will’s nicht sagen! Jedenfalls wird gezüchtet, als geheime Zutat im
Fälschungsprozess, und dann stimmt sogar das Alter des Neudrucks, so dass die
Fälschung nicht bemerkt werden kann von den Museen. Der blinde Bruder übrigens
ist nicht blind, sondern fast noch schlimmer als der Doktor, er täuscht sie
alle und kann machen, was er will. Vor Jahren, und jetzt wird’s wirklich
kompliziert, hat er sich im Louvre als Dr. Schwarz ausgegeben, Kunstsachverständiger,
weil damals der Rembrandt ganz merkwürdig zerstört war… Der echte Schwarz
übrigens ist natürlich tot. Dr. Mann lebt, als Mastermind, mit Blind-Bruder als
Handlanger, und vielleicht hilft es beim Verständnis zu wissen, dass der Keller
des Schlosses aus tiefen, grob in Fels gehauenen Gängen besteht, mit
Geheimtüren und Geheimkammern und so, und, wie wir am Ende sehen werden, auch
mit Geheimfallen, die einen Lucas/Spielberg vor Neid erblassen ließen, weil ist
ja viele Jahre vor Indiana Jones! Nicht einfach nur ein Fels, der runterfällt,
auch MGs, die schießen, und Pfeile, die schießen, und Feuer und so!
Im Grunde ist das
vielleicht das spanische Element im mexikanischen Wrestlerfilm: Dass die
Kulissen und der irre Plot um Operationen und Dr. Tod auch aus einem Paul
Naschy-Film stammen könnten.
Santo muss sich durch das ganze Gewirr an Handlung durchringen, ein heimischer Polizeiagent und eine Spitzel-Frau im Schloss helfen, es ist eigentlich kein Problem. Und zwar wirklich nicht: Er drehte sichtlich viele der Stunts selbst, und wahrscheinlich hing er am Ende auch selber am Hubschrauber, ließ sich ins rasende Motorboot des Flüchtenden herab, und ist auch rechtzeitig rausgesprungen, bevor es explodierenderweis an der Klippe zerschellte. Santo, der silbermaskierte Meister!
Harald Mühlbeyer