exground 23: Hommage Ulli Lommel
Die erste Hommage in der Geschichte von exground ist niemand Geringerem gewidmet als: Ulli Lommel. „Ulli wer?“ wird sich womöglich der eine oder andre gefragt haben, ist der Name des 1944 im polnischen Zielenzig geborenen Schauspielers, Filmemachers, Produzenten, Künstlers und (neuerdings auch) Autors möglicherweise nur noch älteren Semestern sofort ein Begriff – oder eingefleischten Kennern des Neuen Deutschen Films und dem einen oder anderen Horrorfan. Als Sohn des in den 1950er und 1960er Jahren ungemein erfolgreichen Unterhaltungskünstlers Ludwig Manfred Lommel war seine Jugendzeit in Deutschland vor allem von ständigen Umzügen und Neuanfängen geprägt. Noch keine zwanzig Jahre alt, stand er bereits neben Maria Schell und der Knef vor der Kamera, bevor er – neben seiner Theaterarbeit, etwa an der Kleinen Komödie in München – sich mehr dem damals noch in der Entstehung begriffenen Neuen Deutschen Film und dessen Protagonisten zuwandte, in Filmen von Peter Schamoni oder Rudolf Thome Hauptrollen übernahm.
Eine der ersten großen, folgenreichen Begegnungen in seinem Leben war die mit einem ein halbes Jahr jüngeren Energiebündel, das bereits in der Münchner Theaterszene (auf der winzigen Bühne des Action-Theater und im 1968 daraus hervorgehenden antiteater) für einiges Aufsehen gesorgt hatte, und nach einigen Kurzfilmen endlich nun seinen ersten Langfilm in Angriff nehmen wollte: Rainer Werner Fassbinder. Daraus ergab sich für Lommel nicht nur die sichtlich an Alain Delons Jef Costelo in Melvilles „Der eiskalte Engel“ („Le Samouraï“, 1967) angelehnte Hauptrolle in Fassbinders Erstling „Liebe ist kälter als der Tod“ (1969), sondern eine ebenso fruchtbare wie aufreibende Zusammenarbeit an insgesamt 21 Produktionen über einen Zeitraum von acht Jahren hinweg. Bereits 1971 begann er zudem damit, selber Filme zu drehen, der bedeutendste in dieser frühen Phase sicherlich „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ (1973) mit Fassbindermime und -ausstatter Kurt Raab in der Rolle des berüchtigten Knabenmörders Fritz Haarmann.
1977 dann wieder eine folgenreiche Begegnung: Bei einem kurzen Aufenthalt in den USA begegnet er Andy Warhol und erzählt ihm bei einem Abendessen von einem angeblichen Filmprojekt, das er sich während des Gesprächs regelrecht aus den Fingern saugt und Warhol glauben macht, er wolle den Film in London realisieren – worauf Warhol ihm entgegnet: „Warum machst du ihn nicht hier?“ Daraus entstand dann „Blank Generation“ (1978) mit Richard Hell und Carole Bouquet, ein Jahr später folgte auch gleich „Cocaine Cowboys“ mit Jack Palance. Lommel ging drei Jahre lang in der Factory ein und aus, erlebte dort eine ganz andere Form der künstlerischen (Zusammen-)Arbeit, fernab der Fassbinder’schen Kämpfe und Passionen. Alles war wesentlich ‚cooler‘, Warhol immer ‚happy‘ und begeistert – und wenn ihm etwas nicht gefiel, verfiel er in sein berühmtes Warhol-Schweigen.
Um nicht einen weiteren bitterkalten Winter in New York mitmachen zu müssen, bricht Lommel 1979 in Richtung Westküste auf und landet schließlich in Los Angeles, wo er sich in einem Motel zwei Zimmer mietet, eines für sich, eines für seinen Schneideraum. Dort entsteht kurze Zeit später, mit vergleichsweise niedrigem Budget und mit weitgehend unbekannten Darstellern, ein kleiner Horrorstreifen, der bald vor allem aufgrund von Mund-zu-Mund-Propaganda völlig unerwartet vier Wochen lang die US-Kinocharts anführte: “The Boogeyman“. Nach Filmen wie „BrainWaves“ (1982) und „The Devonsville Terror“ (1983) drehte er in den USA bis heute insgesamt mehr als 40 Filme – und aus dem geplanten Kurztrip sind mittlerweile 33 Jahre geworden.
Aus diesem ereignisreichen Leben erzählte Lommel (meist im Beisein seiner Mutter) in den letzten Tagen in Wiesbaden, bei kurzen Einführungen in die gezeigten Filme, im Gespräch danach, bei der Ausstellungseröffnung am Samstag – und natürlich bei der Lesung aus seinem Erinnerungsband „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ (Belleville, 2010) am Sonntag in der Wartburg. Erzählte ebendort – immer wieder von kurzen Clips unterbrochen – von seinen Begegnungen mit Romy Schneider, Fassbinder, Warhol, Muhammad Ali, Truman Capote oder auch Orson Welles, mit dem er sich ein paar Monate in Los Angeles denselben Scheideraum teilte: Welles schnitt nachts, Lommel am Tag. Ab und zu begegnet man sich, Welles, mal wieder pleite, fragt den deutschen Regiekollegen, ob er nicht einen Tipp für ihn hätte, wo man schnell und leicht etwas Geld verdienen könne. Erzählte mit seiner immer noch erstaunlich jungen Stimme von seinem Besuch mit Truman Capote bei Tiffany, wo diesem der Geschäftsführer nicht abnimmt, dass er Capote ist und kurzerhand die Polizei ruft, wo sich die Geschichte relativ schnell auflöst und die Formulare schnurstracks im Mülleimer landen.
Zu sehen waren am Samstag „Blank Generation“ und der „Boogeyman“, Lommels erster Film unter der Ägide von Warhol und Lommels bis heute erfolgreichster Streifen. Ersterer sicherlich kein Meisterwerk, aber unter den frühen US-Filmen derjenige, der dem Regisseur heute angeblich am wenigsten Bauchschmerzen bereitet. Zugegeben: Richard Hell ist die meiste Zeit mies drauf und die zum Niederknien schöne Carole Bouquet zickt die ganze Zeit nur rum, und das mit heftigem französischem Akzent. Und Lommel ist kein Godard, dem er hier sichtlich nacheifert (Lommel war auch mal drei Jahre mit Anna Karina liiert, der Schuft!). Aber allein Richard Hell und seine Mannen im legendären CBGBs performen zu sehen (wenn auch leider immer den gleichen Song, den Titelsong „Blank Generation“ vom gleichnamigen Album, das dem Film den Namen gab), das New York der ausgehenden 1970er Jahre, noch voller Schutz und Charme, bevor es später Saubermänner wie Giuliani unter ihre Fittiche nahmen, oder Warhol, der buddhagleich minutenlang im Pelzmantel im Studio sitzt, lässt einem ab und an das Herz übergehen – und macht den Film zu einer Zeitreise der besonderen Art.
Ähnliches könnte man über den „Boogeyman“ sagen, auch dies eine Art Zeitreise. Jedoch eine Reise, von der man mit ziemlichem Befremden zurückkehrt – und man merkt erneut, dass es im Grunde unmöglich ist, einen Film so zu sehen, wie ihn die Zuschauer vor vielen Jahrzehnten wahrgenommen haben mögen. Angesichts der stetig sich weiter drehenden ‚Schock- und Gewaltspirale‘ im Bereich des Horror- und Splatterfilms ein vermeintlicher ‚Makel‘, der vielen Filmen in dieser Sparte anhaftet. Wie wenig eine solche Geschichte die heutigen Kids das Fürchten lehren könnte, hat wohl der völlige Misserfolg des Remakes vor eine paar Jahren gezeigt. Man merkt dem Original (zumindest aus heutiger Sicht) an, dass die Handlung in kurzer Zeit niedergeschrieben wurde, der Film (mitfinanziert von Hauptdarstellerin, Mobil-Oil-Erbin und damaliger Lommel-Gattin Suzanna Love, die bereits in „Blank Generation“ dabei war) ist im Grunde eine zum Teil völlig sinnfreie Aneinanderreihung von Horrorversatzstücken und -klischees, darunter die obligatorischen Auftritte eines Priesters und eines Psychodoktors (B-Movie- und TV-Legende John Carradine). Und man ist schon bass erstaunt, mit welcher Konsequenz und Ernsthaftigkeit die im Grunde – pardon – irgendwie bescheuerte Grundidee durchgezogen wird, sodass der Film im Grunde ständig nahezu zwangsläufig zu seiner eigenen Parodie zu werden droht. Und am Ende scheint der Film gar dem Avantgarde- und Undergroundkino näher als einer handelsüblichen Genreproduktion, wenn man sich unvermutet in einem Kenneth Anger-artigen Szenario wiederzufinden glaubt (zumindest wenn man die Tonspur innerlich ausblendet).
Seit vielen Jahren nun dreht Lommel unermüdlich Low- und Lowest-Budget-Filme, vorwiegend mit Amateurschauspielern, die sich vor allem mit historischen Serienkillerfiguren befassen. Von Verleih und Vertrieb als genuine Horrorstreifen vermarktet, bezeichnet Lommel selbst diese eher als „experimentelle Filme“ – und sieht vor allem darin den Grund, dass ihm von vielen Seiten Kritik und Spott entgegen gebracht wurden. Wie es tatsächlich um die Qualität dieser ‚Fließbandproduktionen‘ (drei bis vier Filme pro Jahr) bestellt ist, davon kann man sich leider in Wiesbaden kein Bild machen, zumindest nicht auf der großen Leinwand. Ob dies letztlich dem mangelnden Mut der Initiatoren geschuldet ist oder tatsächlich nur der Zwang der Beschränkung maßgeblich war, sei dahingestellt. Von den neueren Produktionen war jedenfalls lediglich das obskure Küblböck-Biopic „Daniel der Zauberer“ (2004) am Sonntag zu sehen, gleich nach dem Fassbinderdebüt.
In den nächsten Tagen noch zu sehen sind allerdings die „Cocaine Cowboys“ (1979, aus der Walholphase, am Mittwoch um 22Uhr im Kulturpalast), der „Devonsville Terror“ (1983) mit Donald Pleasance (Donnerstag 22Uhr, Kulturpalast) und die NS-Farce „Adolf und Marlene“ (1976, am Freitag um 18 Uhr im Kulturpalast), von Fassbinder produziert, der selbst auch auftritt – in der Lederhose!
Christian Moises