Kinoseminar Filmpropaganda: „Hitlerjunge Quex“

„Hitlerjunge Quex. Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend“. D 1933. Regie: Hans Steinhoff.
Mit Einführung und Analyse von Horst Walther, Institut für Kino und Filmkultur.


1933 kamen sie an die Macht, schnell verboten sie die politische Konkurrenz von Kommunisten und Sozialdemokraten; doch ins Innere des deutschen Volkskörpers, zu seinem Herz mussten sie mit anderen Mitteln vorstoßen. Dazu diente den Nationalsozialisten die Propaganda, deren Zukunft Joseph Goebbels richtig im Filmbereich erkannte. Heute gilt „Hitlerjunge Quex“ als ein sogenannter Vorbehaltsfilm, der nur mit Experten-Einführung, mit Filmanalyse und anschließender Diskussion gezeigt werden darf.

Als einer der erste NSDAP-Werbefilme kam „Hitlerjunge Quex“ im September in die Kinos; konzipiert und gedreht 1933, spielt der Film irgendwann in den Jahren zuvor, als der Konflikt zwischen Nazis – sprich: Hitlerjugend – und Kommunisten in der ganz heißen Phase war. Darin verwickelt: Heini Völker, 12 Jahre, aus kommunistischem Arbeitermilieu stammend, der zum Entsetzen des Vaters zur HJ tendiert. Botschaft: Die Kommunisten sind liederlich, bösartig, verbohrt und gewalttätig, gut, dass wir das überwunden haben; und, gemünzt auf die noch Unentschlossenen des Jahres 1933: die Nazis, pars pro toto dargestellt durch die Jugendorganisation, sind für alle offen – kommt und macht alle mit!

An sich und an erster Stelle ist der Film eine Werbeveranstaltung für die HJ, damit für die NSDAP; also anders als „Jud Süß“ nicht von vornherein negativ. Der Konflikt, die Diskrepanz zwischen Nazis und Kommunisten, die der Film darstellt, ist auch gar nicht so bösartig, wie man es erwarten könnte; denn, darauf wies Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur hin: man wollte die, die vor ’33 zur Linken tendierten, ja nicht verprellen, sondern ihnen mit der NSDAP eine Alternative zur bisherigen Lebens-, Welt- und Politikanschauung bieten. Mit dem perfiden Kniff, dass damit den Zuschauern eine Wahl suggeriert wird, als hätten sie die Option einer anderen Meinung, was natürlich ab der sog. „Machtergreifung“ nicht mehr der Fall war.

Das zweite, das der Film bietet – ein Aspekt, der sich nicht nach außen, an die Nochnichtnationalsozialisten, richtet, sondern nach innen, zu den Anhängern der Partei –, ist eine Heiligenlegende, eine Märtyrergeschichte der Hitlerjugend, angelehnt an den realen Fall des Hitlerjungen Herbert Norkus, der im Januar 1932 tatsächlich von Kommunisten beim Flugblattaustragen ermordet wurde. Eine Legendenbildung also, eine Art Gründungs- und Begründungsmythos, mit der der Film die Trauer über den gefallenen Kameraden in die Zukunft richtet. Stets mit dabei: Das von Reichsjugendführer Baldur von Schirach getextete Lied „Unsre Fahne flattert uns voran“, in schmissigem Marschrhythmus ein richtiger Ohrwurm: In diesem Film wird das Lied erstmals präsentiert, das zum Kampflied der HJ werden sollte. „Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not / Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.“ Und: „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit! / Ja, die Fahne ist mehr als der Tod!

Die Fahne: sie symbolisiert den Mehrwert der NSDAP gegenüber allen anderen, Horst Walther führte das an einem kleinen Dialogdetail des Filmes aus: Der Jugendführer der Kommunisten, der Hauptfigur Heini für sich gewinnen möchte, erzählt von all den wichtigen Werten, für das sie kämpfen: gegen Hunger und Not, für Gleichheit und Gerechtigkeit. Und Heini, inzwischen Hitlerjunge, entgegnet: Ja, dafür kämpfen wir ja auch; aber wir haben auch eine Fahne.
Das wirkt heute erstmal lächerlich, ebenso wie die Freude in Heinis Gesicht, als er endlich endlich seine eigene HJ-Uniform bekommt. Fahne und Uniform, das sind Fetische der Vergangenheit, heutigentags Symbole ohne Wert; doch sie machen den entscheidenden Unterschied aus, und damals wurde das sehr genau verstanden.

Einmal, noch recht am Anfang, nimmt Heini an einem Zeltlager der Kommunistischen Jugend teil, und er fühlt sich dort unwohl. Das Essen wird einem zugeworfen, mit Kartenspiel und Alkohol kann er nichts anfangen, die Mädels sind aufreizend, die Jungs zotig – diese Welt pubertärer Späße ist nichts für ihn, er ist zu jung, er sehnt sich nach anderem. Und das findet er ein paar Meter weiter durch den Wald, am See, wo die HJ ihre Zelte aufgebaut hat, schön ordentlich nebeneinander, in Reih und Glied stehen sie beim Appell stramm, Mädels und Jungs zusammen im Zeltlager, aber geschlechtergetrennt, die Suppe wird mit Schöpfkelle geordnet ausgeteilt; und dann marschieren sie los, die uniformierten Jugendlichen, und unwillkürlich bewegt Heini seine Beine im Rhythmus mit, „Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not…“ Hier hat er seine Berufung gefunden, hierher muss er, das ist seine Welt.

Getrennte Lager, gegenseitige Feindschaft – doch Regisseur Hans Steinhoff bietet kein reines Schwarz-Weiß-Bild, das ist ja das „Gute“ an diesem Film, an der goebbelschen Propaganda: auch da, wo sie ganz explizit präsentiert wird, ist sie zwar eindimensional, aber nicht völlig platt. Die Inszenierung geht mit einiger Raffinesse vor, die Dramaturgie ist ausgefeilt auf Spannung und Emotion ausgerichtet. Und die Figuren sind nicht flach, nein: sie sind durchaus ambivalent gehalten, auch die Kommunisten. Gerade Heinis Vater, für den Heinrich George alle Register seiner Kunst zieht: aufbrausend und liebevoll, geistig arm und bauernschlau, brutal und zärtlich, stur und doch nachdenklich.

Klar: Ein Film, in dem H. George mitspielt, ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ein nazistisches Propagandastück, das geht von ausgesprochenen Vorbehaltsfilmen vom „Quex“ bis „Kolberg“, aber auch die frei zugänglichen George-Filme forcieren stets stark die Nazi-Ideologie. George spielt dabei – weil er ja auch ein guter Schauspieler ist – gerne differenziert, und so gibt es hier eine Szene, in der er mit Ohrfeigen seinem Filmsohn Heini die „Internationale“ um die Ohren haut, sie ihm regelrecht einprügelt, um die vorausflatternde Fahne wegzuballern; und dann, später, sitzt er auf der Parkbank und erzählt sein Schicksal von Weltkrieg, Verwundung, Arbeitslosigkeit und Depression, und er denkt nach, wie es in der Zukunft weitergehen könnte…

Die Zukunft: Dahin richtet sich der Film, das heißt: er richtet sich an die Jugend. Er ist gespickt von Anspielungen auf die damalige Popkultur, einer summt mal „Das ist die Liebe der Matrosen“ aus dem 1931er-Film „Bomben auf Monte Carlo“ – produziert zum 1933 schon emigrierten Erich Pommer, inszeniert vom Juden Hanns Schwarz (beide Filme, „Monte Carlo“ und „Quex“, mit Meister-Kameramann Konstantin Irmen-Tschet…). Heinis Mutter bringt sich um mit dem Gasherd, so wie man es zuvor im „linken“ Kino gesehen hat, in Phil Jutzis „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ – auch darauf ging Horst Walther ein, wie die Nazis nun die filmischen Positionen der Linken besetzen, wie sie das Elend der Arbeitslosen zeigen – mit dem Ausweg HJ, Fahne, Nationalbewusstsein. Wenn die Kommunisten sich mit Pfiffen verständigen, um am Ende die Jagd auf Heini zu eröffnen – sind das nicht ähnliche Pfiffe wie in Fritz Langs „M“? Und wenn die Kommunisten einen bewaffneten Angriff auf die HJ planen, dann ist das derselbe Plot wie zuvor in Franz Seitz Sr.s „SA-Mann Brandt“, mit dem der Regisseur von München aus der neuen Macht um Hitler in den Arsch kriechen wollte, einen Film hinlegte, der bald darauf verboten wurde… Die SA war nach der „Machtergreifung“ nicht mehr opportun, wo zuvor die Reihen fest geschlossen waren, flattert nun die Fahne voran; der Schuss ging für Seitz nach hinten los. „Hitlerjunge Quex“, mit praktisch ähnlichem Plot, ist die neue, verbesserte, staatlich sanktionierte 2.0-Version von „SA-Mann Brandt“; und vor allem sehr viel besser gefilmt, sehr viel besser inszeniert. Am Ende, bei der Verfolgung des Hitlerjungen über einen Jahrmarkt, wie Heini sich versteckt, wie er sich versehentlich verrät, wie er dann – im Off – erstochen wird, mit dem Taschenmesser mit acht Klingen, das er sich so sehr gewünscht hat… da ist Emotion drin, Suspense, und ja: Man wird hingezogen, hineingezogen in den Film, in die HJ.

Klar sind die Werte des Films veraltet, und die heutige Jugend würde dem Film die kalte Schulter zeigen, auch wenn er öffentlich freigegeben würde, wenn der Vorbehalt aufgehoben würde. Doch in der Diskussion nach dem Film deutete sich etwas an: ein Herr berichtete, wie er selbst, als er in der Jugend den Film sah, sich überlegte, die eigenen Eltern denunzieren zu müssen; einer erzählte, wie auch in den 50er, 60er Jahren dann und wann und durchaus ernstgemeint in Diskussionen um Kriminalität und Unmoral – die der Film ja den Kommunisten zuschreibt – geäußert wurde, dass ein kleiner Hitler wieder nötig wäre. Wenn nun dieser Film, der „Hitlerjung Quex“, der sich ursprünglich an Heranwachsenden richtete, zwar die heutige Jugend nicht mehr tangieren würde: könnte er denn nicht vielleicht das ältere Publikum durchaus zu gewissen Gedanken verführen?

Harald Mühlbeyer



Am 9. Dezember folgt in der Filmreihe „Kinoseminar Filmpropaganda“ im Murnau-Filmtheater Wiesbaden Veit Harlans „Kolberg“ von 1945.