FILMZ 2010: Nachlese



Jetzt ist es fast schon wieder eine Woche rum, der 10. Geburtstag des FILMZ – Festival des deutschen Kinos in Mainz. Zeit, das Filmfest nochmal Revue passieren zu lassen und einen Blick vor allem auf einige noch nicht erwähnte Höhepunkte zu werfen. Und auf ein paar Niederungen…

Den Hauptpreis, das Mainzer Rad, gewann MEIN LEBEN IM OFF, was uns nicht nur deshalb freut, weil wir ihn hier schon vorab empfohlen haben. Sondern weil es eine sympathische kleine Komödie von einem jungen, sympathischen Filmemacher ist (Drehbuch und Regie: Oliver Haffner), die sich leichtfüßig gegen ebenfalls sehenswerte bis herausragenden Langfilmwettbewerbsbeiträge wie dem Historiendrama POLL von Chris Kraus (bei dem meine Meinung auch von der unseres Redakteurs Harald Mühlbeyer, der den Film bereits in Hof gesehen hat, stark abweicht).



Oder dem faszinierenden UNTER DIR DIE STADT des „Berliner Schülers“ Christoph Hochhäusler (MILCHWALD, FALSCHER BEKENNER), der auf eine derart ganz besondere Weise GUT ist, bei der man sich manches Mal einfach nur staunt, wie er da was jetzt einem eigentlich gezeigt und erzählt hat. Wer meint, WALLSTREET 2 erkläre ihm was über die Finanzwelt, der soll sich UNTER DIR DIE STADT anschauen. Nicht, weil UNTER DIR DIE STADT wirklich ein Mehr an Innensicht in den Finanzsektor brächte (was Hochhäuslers Film freilich so elegant NICHT tut, dass er gerade dadurch verblüffend viel von den Strukturen und psychologischen Stimmungen hinter den Bankfassaden preisgibt): Nein, vielmehr spricht UNTER DIR DIE STADT allem Gewäsch in Sachen „Ausbeutung“ hier und „Humankapital“ da mit seiner amour fou zwischen dem Bankchef Cordes (fesselnd: Robert Hunger-Bühler) und der einsamen, eigen- wie feinsinnigen jungen Svenja, Ehefrau eines seiner niederen neuen Angestellten (großartig ungreifbar: Nicolette Krebitz) Hohn. Die gegenseitigen Anziehungen und Abstoßungen, Manipulationen und Abhängigkeiten lassen all den kapitalistischen Mechanismen so simpel sein, wobei sich Hochhäusler zugleich auch nicht in einen reduzierenden Psychologismus und Individualismus rettet. Denn natürlich ist ebenso viel Bank in Cordes wie Cordes in der Bank und beides steckt, weder noch, in Svenja, die weniger Gegen- [z.B. als Modell „Kunst“] als eher ein Anti-Prinzip darstellt.



Auf die Weise, wie Cordes – der gar Svenjas Mann ins gefährliche Fernostasien schicken kann, um ihn aus dem Weg zu haben – sich in seinem Begehren nach ihr und mehr noch in der Befriedigung dieses Begehrens selbst verzehrt, gemahnt UNTER DIR DIE STADT in seiner existentiellen Intensität und Verlorenheit durchaus an Lynchs LOST HIGHWAY, einem Klassiker des Kinos des verzweifelten identitätsbestimmenden Erreichen- und Besitzen-Wollens. Am 31. März 2011 startet UNTER DIR DIE STADT in den Kinos; schauen Sie ihn sich an, dann wissen Sie, dass das hier kein Geschwurbel ist, sondern die simple Wahrheit.

Ein weitere Preisträger: LIVE STREAM von Jens Wischnewski, der als bester mittellanger Film ausgezeichnet wurde. Fünfundvierzig Minuten geht der Film, und war damit noch im Rahmen dessen, was auf dem FILMZ als „mittellang“ gilt, nämliche Filme mit einer Lauflänge zwischen 20 und 45 Minuten. Wie albern das ist (weil z.B. sich der nicht mal halb so lange HEIMSPIEL, der beim diesjährigen Max Ophüls Preis im KURZFILMwettbewerb lief, in Dresden als bester KURZfilm von der deutschen Filmkritik prämiert wurde und auch sonst überall als KURZFILM gezeigt wurde, mit LIVE STREAM messen musste / sollte, der entsprechend eine ganz andere Dramaturgie und einen ganz anderen, nun ja, „Flow“ erzeugt), ja das wollen wir hier gar nicht ausbreiten.



HEIMSPIEL und LIVE STREAM haben aber gewisse Ähnlichkeiten, vor allem: ein „Lehrer“ mit Doppelleben. In LIVE STREAM ist es Prof. Hoffmann (Matthias Brandt), der der ausgelassenen, bisweilen manischen Selbstinszenierung seiner Studentin Anne (Anna Maria Mühe) auf deren Videoblog folgt. Er selbst ist ein kalter unnahbarer Doktor Spaßlos der gestrengen Sorte, doch der großartige Brandt mit seinen wässrig-verletztlichen Augen verlieht diesem kontaktgestörten Akademiker die perfekte Ambivalenz, die den Zuschauer zwischen Mitleid und Verachtung festsitzen lässt. Dazu gesellt sich dann noch ein Schaudern und Peinlich-Berührtsein, wenn der Akademiker selbst zu Element-of-Crime-Songs eigene anonyme Videonachrichten für seine „Miss Bingo“ dreht, dabei z.B. seinen mit Lippenstift geschminkten Bauch singen lässt. Lächerlich, traurig und „spooky“ in einem.

Aber auch Anna ist eine verletzte kranke Seele (und mit der großen kleinen Mühe ebenfalls mustergültig besetzt). Das Bravouröse an LIVE STREAM ist aber, dass seine Geschichte nicht nur diverse Vorhersagbarkeiten vermeidet (z.B. am BLAUEN ENGEL gottseidank vorbeischrammt), sondern auch mit dieser Anna wunderbar vage und damit tiefgründiger bleibt, bis dass man zuletzt bei ihr nicht mehr mit Bestimmtheit weiß, was von dem, was sie tut und sagt, eine Lüge ist oder eine Show, wann es Ernst ist, Plan oder Affekt – wann sie sich noch selbst glaubt oder als Kunstfigur sieht. Der Film ist damit letztlich mehr, als die übliche Parade der psychisch oder gesellschaftlich „Kranken“. Viel mehr. Danke nach Ludwigsburg, wo dieser Film, was war’s, dem dritten Jahr? entstand.

Fünfundvierzig Minuten geht LIVE STREAM – gefühlt hätte es auch Langfilmlänge sein können, im bestgemeinten Sinne, denn so dicht und spannend gerät dieses fein inszenierte und geschriebene Stück.

Übrigens: LIVE STREAM kommt im Fernsehen, am Mittwoch, den 8. Dezember um 23.10 Uhr im SWR!!

Was gab es noch so auf dem FILMZ?

Richtig, Dokumentarfilme! Von denen der Verfasser dieser Zeilen zu seiner Schande keinen gesehen hat, schon gar nicht: Heike Bacheliers FEINDBERÜHRUNG, die dafür mit dem brandneuen Dokufilmpreis (gestiftet vom internationalen High-Tech-Glaskonzern Schott mit Hauptsitz in Mainz) ausgezeichnet wurde.

Als bester Kurzfilme wurde WATTWANDERER von Max Zähle prämiert. Der war nett und gut, aber --- …

Okay, geschwiegen werden sollte davon, und das würde es auch, wäre nicht dieselbe sanfte Kritik auch von anderen Festivalgästen geäußert worden. Drum:

Die Auswahl der Kurzfilme im Hauptwettbewerb am Sonntag wie die lokalen am Samstag war nicht gerade, sagen wir’s mal so: „optimal“. Experimentelles und Formspielerisches dominierte, und was vielleicht früher mal zu kurz kam, kam nun im Übermaß. Die Qualität der Werke war in der Gänze gar nicht zu bemängeln, doch weshalb die Computeranimation eine Kugel und ein Musikvideo bei den Rhein-Main-Shorts gezeigt wurden, blieb schlicht rätselhaft. Zumal wenn vorab in der Anmoderation verkündet wurde, für jeden sei etwas vorbei. Sehr bezeichnend, dieser kleine nette Irrtum. Dass nicht Herzeigbares an Konventionell-Erzählerischem unter den über 200 Einsendungen gewesen ist, mag ich persönlich nicht glauben. Wie heterogen hier die Jury also auch tatsächlich gewesen sein mag: Das Kurzfilmauswahl der beiden genannten Veranstaltungen wirkten ein einziger Einzelgeschmacks. Einer mit Schlagseite. Ganz so schlimm war es bei Kurzfilmwettbewerb nicht, aber auch hier spürte man die Tendenz, die mit den traditionell narrativen Werken, die man dann doch bot, eher noch bestärkt wurde: WEITER LAUFEN von Jan Bolender hantierte wunderbar gefilmt mit allzu dick klischierten Vorstellungen einer allzu entmenschlichten Lebenswirklichkeit einer Unternehmensberaterin, der (und uns) von der Freundesunfähigkeit bis zum „nicht erreichbaren“ Vater wenig erspart bleibt, auch nicht der böse Blick des One-Night-Ständers, der flugs das Hotelbett verlässt. Und wie WATTWANDERN blieb auch DAS PAKET nett und lustig, aber letztlich bloß eine Momentepisode. Die beide, so fair muss man sein, erzählerisch auch nicht mehr bieten wollen. Und trotzdem 2010 hatte doch sicher mehr zu bieten – und dem FILMZ sicherlich eingeschickt.

Kurzum: Mutig war die Kurzfilmjury (und das FILMZ), durchaus, und Hut ab dafür. Aber so richtig Freude hat dieser Mut eben nicht gemacht, sorry. Nein, wer eine Kurzfilmrakete haben wollte, war besser mit den Vorfilmen bedient – oder der Best of FILMZ-Gala: Klassiker und solche, die auf dem besten Weg dahin sind, gab es, von STABLERFAHRER KLAUS über 37 OHNE ZWIEBELN bis DER CONNY IHR PONY.

Ansonsten, liebe FILMZ-Organisatoren: Bitte bitte nach dem Stimmzetteleinsammeln des Kurzfilmwettbewerb eine kurze Pause einlegen und nicht direkt weiter mit der Preisverleihung. Viele Leute gingen, andere kamen und der Rest hatte sich nach zwei Stunden ein Show-Durchatmen verdient. Entsprechend herrschte Trubel, Unterhaltung und Spaziergang, kurz: Unaufmerksamkeit im voll erleuchteten Residenz-Kinosaal; und im Mainzer Hauptbahnhof zur weihnachtlich-wochenendlichen Stoßzeit wäre die Drehbuch-Pitch-Prämierung (oder was da sonst gerade so verliehen wurde) nicht weniger unerfreulich und unwürdig untergegangen. Nur 30 Prozent passten auf, 10 Prozent hätten es gerne, konnten aber nicht, vor lauter Kommen, Stehen und Gehen. Wäre ich Preisstifter oder gewinner gewesen, wäre ich mir ziemlich doof vorgekommen.

Darum vielleicht nächstes Jahr einfach eine zehnminütige Pause fürs Nachhause-, Aufs-Klo-, Zigaretterauchen- oder Getränkeholen-Gehen und danach mit Stil weiter. Soviel Zeit muss sein und soviel Souveränität hat FIMZ in seinem Alter verdient. Und alles in allem auch tatsächlich gezeigt.


(zyw)