Kinoseminar Filmpropaganda: „Kolberg“, Veit Harlan 1945

„Kolberg“, Deutschland 1945. Regie: Veit Harlan.

9. Dezember 2010, Murnau Filmtheater Wiesbaden. Einführung und Analyse durch Horst Walther, Institut für Kino und Filmkultur


„Kolberg“, der von Joseph Goebbels angeordnete Großfilm von Veit Harlan, ist ein großer Film. Schon der Anfang überwältigt: Unglaubliche Massen von Menschen, Tausende davon in historischen preußischen Uniformen, weitere Tausende in historischer Zivilkleidung, in den Straßen einer pommerschen Stadt, wie Wellen läuft der Gleichschritt durch die Menge, eine immense Ansammlung von Köpfen: das ist ein wirklicher Volkskörper, den wir da sehen; und den wir hören, denn sie singen ein schmissiges Lied, dessen Text sich langsam im Kopf des Zuschauers festsetzt: „Ein Volk steht auf, der Sturm bricht los…“ Später dann sieht man Unmengen an Soldaten in quadratischen Abordnungen aufs Schlachtfeld marschieren, das erstreckt sich bis zum Horizont – das sind gewaltige, majestätische Bilder vom historischen Napoleonfeldzug, und man spürt: Krieg ist nichts Unmenschlich-Schreckliches, sondern die natürliche Ordnung der Dinge, der man sich unterwerfen muss.

Das reißt mit; man kann nichts machen, außer diese Flut von Bildern, die über einen hinwegrauschen, auf einer zweiten Schiene im Kopf zu reflektieren: doch das ändert natürlich nichts an ihrer Kraft, an ihrer Wirkung. „Kolberg“ ist einer dieser Filme, in denen Veit Harlan genau weiß, wie er den Zuschauer zu packen hat. Und ja: einer der Filme, die ihre Botschaft plakativ vor sich her tragen, das „Haltet durch!“, das „Kämpft bis zum letzten Mann!“, das Glorifizieren von Heldentum und Opferbereitschaft. „Kolberg“, das ist der große Durchhaltefilm, der die Heimatfront stärken sollte, als eigentlich alles schon verloren war. Uraufführung war am 30. Januar 1945, am zwölften Jahrestag der „Machtergreifung“ Hitlers, und zwar in der umkämpften U-Boot-Festung La Rochelle; in die belagerten Städte Königsberg, Breslau, Danzig wurde der Film kurz darauf ausgeliefert.

„Kolberg“: Das ist eine wahre Materialschlacht, allein die Quanität dessen, was man sieht, erschlägt einen: tausende Soldaten wurden eingesetzt, um hier als Statisten zu fungieren, (mindestens) mehrere hundert Frauen und Kinder spielten mit, alles in aufwändigem historischem Umfeld; mit 8,8 Millionen Reichsmark war „Kolberg“ der teuerste Film der Nazi-Zeit, und in jedem Einzelbild sieht man, wohin dieses Geld geflossen ist. Und in jedem Einzelbild sieht man die Sorgfalt – soll man sie liebevoll nennen? –, die Harlan diesem Film zuteil werden lässt. Weil er nicht nur mit Menschenmassen auf der Leinwand umzugehen weiß, sondern auch mit den Massen an Zuschauern vor den Leinwänden, die er mit Emotion und Ideologie zuschüttet.

Lieber unter den Trümmern Kolberg tot und begraben sein, als vor den Franzosen zu kapitulieren: das ist der Wahlspruch des gewählten Bürgerverteters Nettelbeck, der sein Volk in den Kampf gegen den übermächtigen Feind führt. Das ist die eine Linie des Films, die militärische, zu der auch der junge Festungskommandant von Gneisenau gehört und der Rittmeister Schill mit seinem Freikorps. Die stehen für die neue, moderne Kriegsführung, die das Volk mit einbezieht, die den Krieg als Störung des öffentlichen Friedens von außen, als Beleidigung des gesund-patriotischen Gefühls der Masse verstehen und die gegen den Feind die große öffentliche Empörung setzen, die sich in allgemeiner Wehrpflicht, in Einbindung ziviler Kräfte zum Schutz der Heimat und zur Abwehr des Gegners setzt; die den vernünftigen Kampf jenseits aller Standesdünkel wollen, das heißt: Zivilbewaffnung, Volkssturm, totaler Krieg.

Die also als historisches Vorbild dienen dafür, was 1944/45 in Deutschland vorzugehen hat: als die Jungen, die Frauen, die Alten gerade stehen mussten gegen den Anmarsch der Russen und Amerikaner, als die Heimatfront mit Herannahen des Krieges zur wirklichen Front wurde, als jeder Einzelne sein Leben für Deutschland zu opfern aufgefordert wurde; als die Schutzfunktion des Staates für seine Bürger auf diese selbst verlegt wurde. „Kolberg“, der im Film ausgewalzte Mythos um die Stadt, in der Bürger und Soldaten gemeinsam den überstarken napoleonischen Truppen getrotzt haben: „Kolberg“ ist das Gleichnis für die deutsche Situation in den letzten Kriegsmonaten, als offiziell noch der Endsieg angepeilt wurde, unter anderem natürlich durch die Zivilbevölkerung als Kanonenfutter…

Niemals verbirgt „Kolberg“ diese Propagandabotschaft, und die kommt auch oftmals recht platt rüber. „15 Jahre hab ich in dem Haus gewohnt“, sagt Bürgerführer Nettelbeck, als es unter dem Kanonenbeschuss der Franzosen verbrennt, „und jetzt ist es hin. Naja: Das Leben geht weiter“. Aber dann, in der nächsten Szene, zeigt Heinrich George all sein Können, wenn er aus ganzer Seele den gebrochenen Mann gibt, wenn er seine Patentochter Maria tröstet, die ihren gefallenen Bruder betrauert: da fehlen ihm fast die Worte, und auch, wenn er ganz fest daran glaubt, bringt er die Durchhalteparolen nur bruchstückhaft heraus. Und das hat eine berührende Authentizität, wie er mit ihr trauert und doch um die Notwendigkeit ihrer Opfer weiß.

Maria, Kristina Söderbaum, trägt die zweite Schiene des Films. Sie verliert im Verlaufe alles, nach und nach. Den heimatlichen Bauernhof, Familienbesitz seit ewig, muss sie opfern, weil er der Militärstrategie im Weg steht; der Vater stirbt angesichts dieses Verlustes. Den verweichlichten Bruder Klaus muss sie betrauern, er lief im Leichtsinn in die Kugeln des Feindes; der andere Bruder fiel heldenhaft im Kampf; und ihren Geliebten, den Rittmeister Schill, muss sie am Strand verabschieden, er schifft sich ein in der Pflichterfüllung seiner militärischen Aufgaben, und sie weiß, dass er niemals wiederkehren wird. An ihr manifestiert sich das unendliche Leid des Volkes im Deutschland der mittvierziger Jahre, ihre Leidensgeschichte ist die Leidensgeschichte des Volkes; und sie hält es aus, weil sie es aushalten muss. Unendlich traurig zwar, einsam, innerlich gebrochen; aber unverrückt steht sie da: denn es war nicht umsonst, „der Tod ist verschlungen in den Sieg“, weiß Nettelbeck, „das Größte wird mit Schmerzen geboren. Und wenn einer die Schmerzen für uns alle auf sich nimmt, dann ist er groß.“

Pathos? Aber ja. Kitsch? Vielleicht. Aber: Man muss mitbedenken, dass alles und jeder in Harlans Filmen mit größtmöglichem symbolisch-metaphysischem Gepäck beladen wird; und das macht seine Filme groß, dass sie alles Leid in sich aufnehmen und ins Positive – und sei dies auch der durch Sieg errungene Tod – wendet. Wobei „Kolberg“ sogar noch Hoffnung im Diesseits beinhaltet: Denn Kristina Söderbaum, ganz gegen ihre Gewohnheit, stirbt am Ende des Films nicht.

Veit Harlan einer der ganz großen deutschen Filmregisseure, und einer der ganz großen Nazis; auch wenn er nie in der Partei war, auch wenn er danach alle möglichen Gerichtsprozesse gewann, die seinen „Jud Süß“ vom Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit freisprachen: einen besseren Transporteur für Nazibotschaften an die breite Masse konnte sich Goebbels nicht wünschen. Nicht nur wegen der Kunst seiner Bildfindungen, seiner Inszenierung, seiner Charakterisierungen; nicht nur wegen der mal offenen, mal versteckteren Verkündigung der NS-Ideologie in seinen Filmen; nicht nur wegen der emotionalen Überwältigung, die er in seinen Filmkunstwerken bewerkstelligen konnte; nicht nur wegen der Schauwerte, die er wie kein zweiter bot; sondern vor allem, weil alles, alles vollkommen durchdrungen war von nazistischem Wollen, so dass man dem gar nicht entkommen konnte, wenn man einen der Filme sah. Weil es ihm gelang, Mainstream-Emotionskino zu schaffen, in der die politische Botschaft bis ins Skelett der Filme hineingeimpft war.

Und: Weil er die Menschen stets dort abholte, wo sie standen. Und das war 1945: Die Trümmerlandschaft Deutschland, die er in seinem Film nicht verschweigt. Unglaubliche Szenen gibt es da, wie die Franzosen Kolberg zusammenschießen: Feuerwehr auf der Straße vor einem brennenden Haus, eines dieser Patrizier-Bürgerhäuser, die so eng aneinanderstehen; und oben, aus einem Fenster im brennenden ersten Stock, mit dem Feuer schon nebenan, springen ein Mann und eine Frau ins Sprungtuch. Das sind keine CGI-Bilder, keine Modelle, keine Puppen: Das ist echt. Und das ist echt heftig, wie die Bilder des zerstörten Kolberg denen der zerbombten deutschen Städte gleichen.
Angeblich wurden die krassesten Szenen im Nachhinein herausgeschnitten, Bilder von Toten etwa; doch was wir hier sehen, beschönigt die Lage nicht. Und – das ist die goebbelsch-harlansche Dialektik: das Desaster wird umgewendet ins große, metaphysische Positive. Das Opfer und das Leiden macht uns stark, und es erhebt uns über die anderen, die Schwachen: „Was würde aus den Menschen werden, die sagen: Ach, Napoleon, du bist sowieso stärker als wir, komm und besetze uns? Was würde aus ihnen werden? Na: die würden sich doch selbst ausrotten. Und sie gehörten auch ausgerottet!“

Denn es geht um die Werte, um den Anstand, um das, was den starken Menschen stark macht, in erhebt und erhaben macht – das ist das Fundament des harlanschen Kinos. Und dann, wenn man diese Einsicht gewonnen hat, wenn man diesen Status des Erhabenen erreicht hat, dann ist der Unterschied zwischen Glück und Unglück, zwischen Leben und Tod irrelevant. Wichtig ist dann nur noch: Sieg oder Niederlage – auch moralisch –; und dass man sich durch das leidvolle, opferreiche, heldische Leben seinen anständigen Tod verdient hat.

Wobei diese mythisch-mystischen Schichten geschickt übertünchen, dass es in „Kolberg“ ums gleiche geht wie in einer LaMotta-haften Boxer-Geschichte, der so viele Schläge des Gegners einsteckt, ohne umzufallen, bis dessen Arme erschlaffen.

Harald Mühlbeyer


„Kolberg“, Deutschland 1945. Regie, Produktion: Veit Harlan. Buch: Buch: Veit Harlan, Harald Braun. Kamera: Bruno Mondi. Musik: Norbert Schultze.
Mit: Heinrich George (Nettelbeck), Kristina Söderbaum (Maria), Paul Wegener (General Louadou), Horst Caspar (Kommandant von Gneisenau), Gustav Diessl (Leutnant Schill), Otto Wernicke (Bauer Werner).