Grindhouse-Nachlese: Schwertkampf und Höllendämonen
18. Dezember 2010, Cinema Quadrat, Mannheim:
„Xin du bi dao“ / „The New One-Armed Swordsman“ / „Das Schwert des gelben Tigers“, Hongkong 1971, Regie: Cheh Chang.
„Hellraiser“, GB 1987, Regie: Clive Barker.
Wieder mal waren Überraschungsfilme angekündigt; das gibt Boris Becker, der die Filmreihe organisiert, freie Hand zu zeigen, was ihm beliebt, ganz nach Laune kann er aus seinem Filmbestand was aussuchen. Im Monat zuvor, am 27.11., waren das zum Beispiel Filme gewesen, über die ich nicht hatte schreiben sollen; aus verschiedenen Gründen, juristisch wie persönlich… wenn ein Zombie im Krematorium verfeuert wird und der Rauch einen ganzen Friedhof erweckt, oder wenn in New York einer mit Entenstimme rumläuft und Mädels aufschlitzt, ist es halt nichts für zarte Screenshot-Leser.
Für Dezember hatte Becker mündlich angekündigt, wieder etwas Abstand zum Horror der letzten Monate zu nehmen, und folgerichtig kam als erster Film ein Klassiker des Hongkong-Schwertkampf-Films, der, so Becker, Anfang der 70er in Deutschland so richtig die Welle der Martial Arts-Filme losgetreten hat, noch vor Bruce Lee: „Das Schwert des gelben Tigers“, oder besser: „The New One-Armed Swordsman“ aus den Shaw-Brothers-Studios, inszeniert von Cheh Chang (der schon vier Jahre zuvor einen Vorgänger-„One-Armed Swordsman“ gedreht hatte). Gezeigt wurde die deutsche Synchro, und das macht natürlich gleich noch doppelt Spaß, zusätzlich zu den vielgestaltigen Schwertkämpfen, bei denen die Hiebe immer sichtlich dezimeterweit am Gegner vorbeirauschen, der dann aber doch tödlich getroffen mit großer Geste hintüberfällt; wirkt natürlich nur, wenn auch schön überlaute Geräusche drübergelegt sind.
Li Lei ist ein legendärer Schwertkämpfer, wird aber vom bösen Lung reingelegt und in einen Kampf verwickelt, den er nur verlieren kann. Weil Lung nämlich eine teuflische Waffe hat, gegen sein Kettenstab-Rumgefuchtel können, so die (beinahe zu späte) Erkenntnis, eigentlich nur drei Schwerter helfen; mit zwei Armen nicht zu machen, mit einem schon gar nicht. Und einen Arm verliert Li Lei bei diesem fiesen Kampf gegen Lung, haut ihn sich selbst ab als Buße, weil er unterlegen war; schwört dem Kämpfen ab und dient fortan als trauriger Kellner in einer Gaststätte.
Lung, der Bösewicht in der Tigerburg, lässt seine Räuberbande Terror verbreiten, und die haben es auch auf Pa Chiao abgesehen, in die Li Lei heimlich verliebt ist. Da er nicht kämpfen will, meinen die Herren, sie könnten alles mit ihm machen! Und da er nicht kämpfen will, entwickelt sich eine Freundschaft mit Chen, einem Schwertkämpfer, der die Gleichmut von Li Lei bewundert; während der die Kampfkunst von Chen hoch achtet. Chen legt sich mit Lung an, unterliegt, und jetzt liegt es in dem einen Arm von Li Lei, den Freund zu rächen, gegen Hundertschaften von Schurken…
Die Story ist genau das, was man von einem Schwertkämpferfilm erwartet; sie könnte genauso in einem Samuraifilm oder in einem Italowestern vorkommen, nur, dass da ein bisschen anders gekämpft wird. Cheh Chang erzählt seinen Film aber überraschend flott, gleich zu Anfang metzelt Li Lei diverse Reiter nieder, man weiß gar nicht warum, aber dass er der Held ist, das weiß man. Dann setzt eine erklärende Voice Over ein, die den Film historisch einordnet und als Legende präsentiert, und dann ein erstes Schlachtfeld mit vielen Toten, in rotes Kunstblut getunkt, beinahe als statueske Kunstinstallation: wie da einer erstochen wurde, als er gerade selbst einen anderen ersticht, im gegenseitigen Sterben für immer vereint, als erstarrte Skulptur mitten aus dem Kampf gerissen… Und da zeigt sich eben auch, was der Film die ganze Zeit über verhandelt: Kampf oder Nichtkampf, Gewalt oder Pazifismus, Aggression und Duldung: dem Kampfe abschwören, sich absolut friedlich verhalten – oder doch: sich wehren, sich rächen, dem Bösen Einhalt gebieten?
Li Lei, der alles einsteckt, was ihm an Demütigung widerfährt, ist nicht glücklich als Hilfskraft im Wirtshaus, aber Chen, der Schwertheld, sieht in ihm ein Vorbild für das gute, richtige Leben. „Du bist halt ein Krüppel, da hassen dich alle“, heißt es einmal sinngemäß; und Chen träumt davon, zusammen mit Li Lei eine kleine Farm aufzubauen, irgendwo weit weg, sie beide zusammen… (Sehr seltsam und unfreiwillig komisch mutet diese Freundschaft an, die eigentlich Verliebtheit ist, stockschwul – offenbar ganz ungewollte Zwischentöne in diesem Film, der nur mit etwas dramaturgischer Mühe über die verehrte Pa Chiao wieder das männliche Hetero-Weltbild zurechtrücken kann.)
Am Ende jedenfalls zwei große Kämpfe: Chen, der mies herausgefordert wird und sich mit seinem Kämpferherz nicht zurückhalten kann, um dann mit einem fiesen Trick entzweigerissen zu werden. Und Li Lei, der von seinem Schwur der Gewaltlosigkeit abrückt und die bösen Räuber zu Hunderten niederstreckt, um dann wieder Lung gegenüberzustehen, auf einer von Toten übersäten Brücke; Lung mit seiner unüberwindlichen Waffe, und Li Lei mit seiner als Kellner geschulten Fingerfertigkeit, mit nur einem Arm für nur ein Schwert, aber auch mit einer Erkenntnis, die das Dilemma des Films – Kampf oder Friedlichkeit auflöst. „Gegen Mörder kämpft man nicht. Man bestraft sie“, weil Li Lei, und das tut er. Weil er eben auch einarmig mit drei Schwertern umzugehen weiß. Und weil er das erreicht hat, was die Voice-Over-Stimme zu Anfang von den aufrechten Schwertkämpfern gefordert hat: nicht für eigene Zwecke, für Profit oder Hass zu kämpfen, sondern als Weg zu wahrer innerer Erleuchtung – was halt so an pseudophilosophischer Tünche über derartige Filme gegossen wird.
Ja: „Das Schwert des gelben Tigers“ ist Grindhouse pur, schöner Trash, mit Action, Kampf und dem gewissen Witz; und mit einem deutschen Titel, wie er schöner kaum hätte erfunden werden können. Der zweite Film des Abends war dann ebenfalls ein Klassiker – allerdings ohne trashigen Humor, sondern eine erneute Rückkehr zum Horrorgenre, mit direkter, unmittelbarer Wirkung auf den Zuschauer. Böse, sehr böse ist „Hellraiser“ von Clive Barker.
In seiner ganzen, ungeschnittenen Pracht entfaltet „Hellraiser“ ein Panorama des Teuflischen, das eine Metaebene der Ironie, des Verlachens, der reflexiven Distanz nicht mehr zulässt. Im Mittelpunkt, als Grundimpuls: die „Box“, ein goldgeschmücktes Kästchen, mit dem man die Tore zu einer anderen Welt öffnen kann; eine Box, nach der Frank strebt, der sie zu Anfang des Films von einem orientalischen Händler ersteht; und dieser weiß: sie hat schon immer Frank gehört.
Frank experimentiert, und er gerät in die Hölle. Das wird nur in kurzen, aufflackernden Schreckensbildern gezeigt, Frank an Ketten gelegt, mit Fleischerhaken kopfüber aufgehängt, dann in seine Einzelteile zerlegt, die ein Dämon wie ein Puzzlestück zusammensetzt… Die Dämonen, Cenobites genannt, das ist das Zweite im Film, das ihn satanisch werden lässt. Die sind Wesen aus erweiterten Erfahrungsbereichen, schrecklich gepiercte, mit Nadeln durchstochene, kahle, entstellte, scharf bezahnte, böse Wesen, die den, der mit der Box spielt, in ihr Reich holen. Ein Reich sadomasochistischer Rituale, wo Schmerz und Lust unauflöslich miteinander verbunden sind, ein Reich des Bösen, des Untergründigen; ein Reich, das der Film nie zeigt, das man sich aber umso lebhafter vorstellen kann.
Larry und seine Frau Julia kehren heim, ins Haus seiner Familie ziehen sie, und Larry ist begeistert, wieder in der Heimat zu sein. Julia ist zögerlich, distanziert, das Haus ist ihr fremd; und sie ist der Knotenpunkt für die weiteren Geschehnisse. Ein Nagel in der Wand reißt Larrys Hand auf, Blut tropft auf die Bodendielen eines leeren Dachbodenraumes, das erweckt Frank, der hier gelitten hat, entkörperlicht wurde. Knochen, Muskelfetzen, ein paar Organe erstehen auf, aus den Holzbohlen, und Julia verfällt Frank; verfällt ihm wieder, sie hatte eine Affäre mit ihm gehabt, die Lust hat sie an ihn gebunden, bindet sie noch immer an ihn. Er kann über sie verfügen. Und sie tut, was er verlangt: er braucht Blut, zur Wiederherstellung seines Körpers, für Muskeln, Nerven, Haut. Sie bringt ihm Blut, liest in Bars Männer auf, nimmt sie mit nach Hause, doch kein Fick, sondern der Tod erwartet sie. Julia erschlägt sie mit dem Hammer, Frank, das Körperfragment, macht sich über sie her. Und mit jeder Szene sind ihm mehr menschliche Formen gegeben. Eklig ist das, und brutal auch, wie sich hier, in den dämonischen Horrorplot eingebettet, eine Serienkillerhandlung einbaut.
Ein Drittes gibt es, neben der Box und den Cenobites, ein drittes Element des Unheimlichen, das man nicht einschätzen kann, das sich unserem Begreifen, unserer Erfahrung entzieht: ein verlotterter, schmutziger, wildbärtiger Penner, der immer wieder auftaucht und starrt. Einmal frisst er in einer Zoohandlung Spinnen, viele kleine Spinnen aus einem Terrarium, und wahrscheinlich sind sie giftig… Dieser Mann weiß etwas, ist er Satan? Ist er ein rettender Engel? Ist der der unbewegte Beweger hinter dem bösen Spiel der Cenobites?
Kirsty begegnet ihm, sie ist Larrys Tochter, sie ist die Unschuld, die jeder Horrorfilm braucht. Ging es zu Anfang um Frank als Hauptperson, wechselte das Zentrum dann zu Julia, so steht nun Kirsty im Mittelpunkt der Verstrickung der Neurosen, die „Hellraiser“ darstellt. Frank, der unbeständige, untergebutterte, fiese Typ, der neue, weitere Erfahrung sucht im Bösen; Julia, die sexuelle frustriert ist, die Frank hörig ist, weil er ihr Erfüllung gegeben hat, die ihren Mann Larry hasst und gegen Kirsty eifersüchtig ist; die erst angewidert, und dann lustvoll Männer tötet… Und Kirsty, die die Männer anzieht, die vom Vater bemuttert wird, von Frank – als Monster, aber wohl auch schon in seinem echten Leben – angemacht wird, vielleicht missbraucht wurde, die versucht, normal zu leben in der unnormalen Welt, in der sie sich findet, die von inneren Dämonen gequält wird, die sich dann in der Wirklichkeit manifestieren. Sie träumt von Babyschreien, von einer leintuchbedeckten Leiche, von Blut… und das wird wahr, als sie sich von Frank die Box erobert, als die Cenobites nach ihr gieren, als sich hinter einer Wand ein unheimlicher Gang auftut, Babyschreie, und dann dieses Monster, teils Skorpion, teils Piranha, ein grässlicher, höllenhündischer Dämon…
„Hellraiser“ kehrt das Innere nach außen, was seine Figuren im Inneren quält, das greift sie von außen, aus einem unbestimmten, schrecklichen Jenseits an; und, das ist das Abgründige: sie ergeben sich dem Höllenhaften lustvoll, denn das Böse, das Grauenhafte ist auch verführerisch. Angst, Schock und Horror, Schmerz und Leid gehen einher mit Lust, mit innerem Verlangen, mit Eros- und Todestrieb, die sich hier Bahn brechen. Das Faszinosum des Bösen, das die Figuren im Film erfahren, ist auch das Faszinosum des Horrorfilms für den Zuschauer; und konsequent ist am Ende, durch Fortbestand von Box, Cenobites und dem Lumpenkerl, auch die filmische Fortsetzung von „Hellraiser“ gesichert.
Dennoch war es bei den Grindhouse-Nächten in letzter Zeit doch zuviel des Bösen, seit Monaten nun schon Horrorfilme in allen Schattierungen… für Januar, wenn es wieder Überraschungsfilme gibt, will Becker sich mal wieder etwas anderes aussuchen: „Gediegene Action vielleicht, Blaxploitation; vielleicht auch mal ein Porno, irgendwas für die ganze Familie“. (Aber diese Ankündigungen sind die letzten Monate ohnehin nie eingetroffen…)
Harald Mühlbeyer