Grindhouse-Nachlese Oktober 2015 – Hexen und Zombies made in spain
Cinema Quadrat, Mannheim, 31. Oktober 2015:
"Blutmesse für den Teufel" / "El espanto
surge de la tumba", Spanien 1973, Regie: Carlos Aured
"Die Nacht der reitenden Leichen" / "La noche
des terror ciego", Spanien 1971, Regie: Amando de Ossorio
Halloween: Diese Nacht zum Ausgang des Oktobers, alte
keltische Feier, in der die Iren mit ihren Kürbissen die umherwandelnden
Geister der Verstorbenen erschrecken, um dann amerikanischen Candy
einzusammeln… Halloween: Unheimlichkeit allerorten, auch im Kino. Auch in
Spanien. Wobei es dort natürlich nochmal extra dicke kommt. Weil in den 1970ern
dort der Horror ohnehin Teil des Alltags ist: Franco ist noch immer am Ruder,
ein faschistisches Regime mitten in Europa. Eine Wunde, aus der man schöpfen
kann, filmisch: Denn da ist noch eine andere Wunde, vielleicht fast verheilt,
die man aber aufreißen kann – die spanische Inquisition, eine andere, lang
vergangene Form autoritärer, gewalttätiger Repression. Ach, was nun aber, wenn
diese üble Vergangenheit in die üble Gegenwart hineingreift? Da kann man
sicherlich historico-soziologisch eine Menge aufarbeiten, was den spanischen
Horrorfilm so besonders macht, diese irre Mischung aus nackigen Frauen und
grausligen Untoten, diese katholischen Urgründe und die rot-rohe
Blutrünstigkeit…
"Blutmesse für den Teufel" ist ein ziemlich
treffender Titel – doch der Film beginnt im 15. Jahrhundert. Ein paar
fackeltragende Reiter, ein Ochsengespann, ein Wagen mit Mann und Frau. Ein
Baum, uralt, knorrig, und ein Urteil: Hexerei, Pakt mit dem Teufel,
Bluttrinken, Kannibalismus – die beiden Delinquenten werden getötet. Ihm wird
der Kopf abgeschlagen, der weit weg vom Körper begraben werden soll, sie wird
verkehrt herum aufgehängt, nackt – das erste Mal Nacktheit in diesem Film. Vor
der Exekution: Ein Fluch. Denn der Ankläger ist sein Bruder, der Henker dessen
Freund, und diese beiden und ihre Nachkommen will der Verurteilte für alle
Zeiten heimsuchen - - -
Jetztzeit. Zwei Pärchen. Bisschen Liebesgetingel. Und eine Séance, ach, da wackelt der Tisch, und das Medium, einealte Frau, die wie ein Medium aussieht, fällt fast in Ohnmacht, weil da dieser geisterhafte Kopf des alten Alaric durch die Luft schwebt… In dem haben wir längst Paul Naschy erkannt, der sonst so gerne den Wolfsmenschen Waldemar spielt: Hier aber in einer Doppelrolle, denn er spielt auch Hugo, den Nachfahren des verfluchten Bruders des Hexenmeisters, im heutigen Paris… Sein Freund Maurice übrigens – dessen Vorfahr wurde anno dunnemals auch verflucht. Jetzt ist er Maler, und er sieht immer nur in seinen kreativen Visionen dieses grässliche Gesicht des eifernden, geifernden Satanisten… Huch, was schreckliches Gemälde!
Man muss dem auf den Grund gehen, fährt in die tiefe
Provinz, in die alte Heimat, wo Hugos Herrenhaus steht. Unterwegs Wegelagerer –
offenbar sind wir trotz modernem Ambiente in einer mittelalterlichen
Gesellschaft. Und Lynchjustiz: Die beiden Räuber werden von herbeieilenden
Dorfbewohnern kurzerhand gehenkt – offenbar lebt die Grausamkeit der
Inquisition weiter. Im Herrenhaus der Hausmeister und seine beiden hübschen
jungen Töchter, ein bisschen verwirrt sich das Ganze jetzt mit diversen
Liebesszenen, weil wenn man Frauen am Set hat, dann sollen sie sich auch
ausziehen, sonst bringt das ja nichts. Zwischendurch gräbt man an einer
Klosterruine nach dem abgeschlagenen Kopf von Alaric. Findet eine Kiste, die
als Büchse der Pandora nur Leid bringt, wenn man sie öffnet. Was irgendwelche
Dorfdeppen natürlich alsbald tun, weil sie darinnen Gold vermuten. Den
Hausmeister kostet's das Leben, den beiden Dorfdeppen geht’s bald auch nicht
mehr so gut, alle werden nonchalant im sumpfigen See versenkt. Leider sind
jetzt Kopf und Körper wieder vereinigt, und der olle Graf hat ersteht auf und
hat wieder telepathisch-hypnotische Macht. Hausmeisters Töchterchen in der
Küche wird niedergemetzelt, während sie sich auch noch ausziehen muss. Und
diverse Frauen werden entführt, was zu einem feinen Wiedererweckungsritual
führt: In einem Sarg nämlich die Knochen von Old-Alarics Geliebter; darauf muss
sich das lebendige Fleisch einer feschen Dame legen, die dann vom untoten
Grafen betatscht und entkleidet wird, dann bestiegen, in einem Zeugungsakt wird
das Leben von der einen in die skelettierte Andere gepumpt – schön und nackt
steht die tote Geliebte auf, und nun geht’s auf Verführungs- und Tötungsfeldzug
ins Dorf.
Inzwischen steht auch Maurice unter Alarics Bann, aber das
weiß Hugo noch nicht; was sich kompliziert anhört, läuft auf einen dollen Punkt
hinaus: Nachdem eines Abends die Zombies dem See entstiegen sind (jaja, Zombies
gibt es auch, irgendwas muss man ja machen mit den Toten) und unsere Helden
böse bedroht haben – eine Menge Möbel mussten brennen, um sie zu verscheuchen
–, taucht der vermisste Maurice auf. Nun, am Morgen, wollen er und Hugo die
Toten aus dem See holen und entzombieisieren. Aber oh Schreck: der böse
gewordene Maurice erschießt seinen Freund Hugo! Ein Wechsel der Hauptperson im
Stück, ganz plötzlich – und ja klar, das hat seinen Grund: Sowohl der gute Hugo
als auch der böse Alaric: Das ist ja beides Paul Naschy. Und im Endkampf kann
er ja wohl schlecht gegen sich selbst kämpfen, was? Soviel Tricktechnik kriegt
man nicht hin, und nachdem sich ein paar weitere Fräuleins ausgezogen haben, weiß
Maurice, der übrigens jetzt wieder zu den Guten gehört, wie er dem untoten
Bösewicht beikommen kann: Im Brunnen dieses alte Amulett mit Thor-Runen (!),
das kann Alaric samt Geliebter gar nicht ab. Und während es bei ihr genügt, ihr
eine Silbernadel ins Herz zu stechen, muss Alaric, um ihn zu überwinden, das
Amulett auf die Stirn gelegt werden. "Der Glaube ist auf unserer
Seite!", weiß Maurice, weil er dem hypnotischen Bann entkommen ist. Zusammen
mit Hugos Frauchen stellt er sich den Bösewichtern, Silberstift und Amulett bei
der Hand, irgendwann sind ganz viele tot, aber die Bösen auch. Paul Naschy
brennt. Und wir sind glücklich, dass Runen uns helfen gegen untote
Satansmeister, und dass die Inquisition ganz im Sinne Lars von Triers recht hat mit all den Hexenverbrennungen.
Paul Naschy hat das Drehbuch – angeblich – in einer Nacht
runtergehauen, unter dem Einfluss gewisser Substanzen. Das spricht mehr als
alles andere dafür, dass sich hier etwas losbrechen musste, die tiefen
Traumata, die hier miteinander vergoren und verpanscht werden – da ist der Volksseele
etwas aufgebürdet, was sich nicht recht loswerden lässt und nun mit filmischem
Popanz gebannt werden soll. Die Grausamkeit der Vergangenheit, die Gegenwart,
die vergrausamt wird – womit wir zum nächsten Film kommen. Den vielleicht der
eine oder die andere schon kennt. Weil er auch schon im Fernsehen lief.
Wobei nach wie vor unklar bleibt, wo denn die Pferde
herkommen. Andererseits: Ritter ohne Pferde, das geht natürlich gar nicht!
(Gruß an die Pythons zum 40. "Holy Grail"-Jubiläum!) Und um Ritter
geht es hier natürlich, um Tempelritter, legendenumrankte
Weltherrschaftsaspiranten, Großverschwörer, Machtansammler: Aus den Kreuzzügen
kommen sie, um ihre Herrschaft durchzusetzen, eine Herrschaft, die noch bis ins
Heute wirkt. Denn sie haben das Geheimnis ewigen Lebens entdeckt,
Jungfrauenblut ist eine Hauptzutat, ewige Jugend ist aber nicht Teil des
Ergebnisses… Und so steigen sie aus ihren Gräbern, jede Nacht ist die
"Nacht der reitenden Leichen"!
In diesem Film geht es also ebenfalls und wiederum um die
ins Zerstörerische gewendete Macht eines ewigen Katholizismus, einer
immerwährenden, immer neu aufbrechenden Unterdrückungs- und Gewaltmaschinerie.
In Form von Zombies natürlich. Zombies auf Pferden. Und es geht um eine rigide
Sexualmoral, die allerlei innere Neurosen und Hemmnisse bewirkt, eine
Moralstrenge, die total lebensfeindlich ist. Das wäre natürlich Anlass,
Nackedeis zu zeigen, doch Amando de Ossorio versagt sich das weitgehend in
seinem Film.
Obwohl er durchaus in Verführung hätte geraten können:
Beginnt er doch in einem Schwimmbad, eine Schönheit unter der Dusche neben dem
Becken, bevor sie eine alte Schulfreundin sieht, die sich in der Sonne räkelt…
Beiden ist die Begegnung etwas unangenehm, unbehagliche Erinnerungen an das
Früher scheinen irgendwie mitzuschwingen, die Unterhaltung zeigt frühere
Verbundenheit ebenso wie oberflächliche Unverbindlichkeit, bis Roger auftritt,
seines Zeichens Macker und Stecher und von sich überzeugt. Er ist der Freund
von Virginia, der unschuldigen Dame, die hier von Bella angesprochen wurde:
Virginia und Roger planen einen Kurzurlaub, auf Rogers Drängen kommt Bella mit,
ein schiefes, unharmonisches Dreieck, wie sich herausstellt. Weil Virginia eher
verhuscht ist, und Bella nicht mit ihren Reizen geizt, und Roger sowieso
aufgeschlossen ist für alles. Und weil diese Rückblende das Früher zeigt, als
Bella und Virginia in der Klosterschule ein Zimmer teilten, und als Bella
Virginia zu verführen suchte… Auch dies recht zurückhaltend gefilmt übrigens, es
ist wahrscheinlich noch der Frühzeit des Nacktheitskinos geschuldet, dass hier
nicht allzu viel Haut zu sehen ist. Tut aber dem Film gut, denn der ist von
erstaunlich hoher Qualität, was Spannung und Dramaturgie angeht – zumal damals,
Anfang der 1970er, ja all die Stereotypen und Standards erst mal etabliert
wurden, so dass dieser hier weniger epigonisch denn vorbildhaft erscheint;
auch, wenn die meisten filmischen Situationen inzwischen nun auch schon etliche
Male durchgekaut wurden.
Noch aber ist nichts passiert außer im zwischenmenschlichen
Bereich: Bella, Virginia und Roger sind unterwegs per Bahn, und weil Roger
heftig mit Bella anbandelt, und weil Virginia sich schämt ob ihrer früheren Bindung
zu Bella, ein paar giftige Blicke, ein bisschen Schmollen, und hops packt sie
sich ihr Reisetäschchen und springt aus dem Zug. Der Lokführer und der Heizer
(jawohl: Dampflok! Gute alte Zeit…) sind besorgt – denn gerade sind sie an
diesem Ruinendorf vorbeigefahren, das hinten in der Ferne von einem kleinen
Berge dräut… Weil wir mitten im Nirgendwo sind, wandert die junge Dame in die
Ruine, wo sie sich ein Nachtlager einrichtet. Und in der Nacht, da wackeln die
Grabsteine, da trappelt es wie von tausend Pferdehufen, da brechen die Hände
durch die Erde durch – zerfledderte, zerlumpte Gestalten machen sich auf, sie
spüren jedem Geräusch nach: Später erfahren wir, dass sie blind sind, sie
wurden durch Blendung gestraft, als der Templerorden aufgelöst wurde… Nach
einer kurzen Jagd holen die Reiter das Fräulein ein, zu Pferde, auf freiem
Feld, und sie stürzen sich auf sie…
Was natürlich die Polizei auf den Plan ruft. Eine Leiche auf
dem Feld – das muss der Herr Kommissar am nächsten Morgen untersuchen. Aber
natürlich ist nichts mehr zu finden… In der Leichenhalle dann wieder Bella und
Roger, zur Identifizierung – und zur filmischen Einführung dieses Faktotums, so
was wie der Hausmeister in der Pathologie, der mit sichtlicher Lust erstmal die
falsche Leiche vorzeigt, haha, reingelegt! Der im Übrigen ein Fröschlein sein
eigen nennt in einem Glas, in einem Käfig einen Vogel hat. Und nachts nicht
merkt, wie hinter ihm sich das Leichentuch bewegt – das war's dann für ihn,
Virginia ist wieder da. Und macht sich auch noch an Bellas Mitarbeiterin in
deren Fabrik für Schaufensterpuppen her. Die liegt übrigens direkt neben einem
Friedhof, was aber nichts zur Sache tut, denn das Grauen kommt aus dem
Mittelalter. Die tote Virginia schleicht zwischen den Puppen umher, und wir
lernen: Zombies brennen lichterloh.
Bella und Roger forschen nach. Ein alter Professor ist kurz
angebunden, was seinen Sohn angeht, der ist nämlich Schmuggler und von daher
prädestiniert für eine weitere Nacht in der Ruine. Zusammen mit seiner
eifersüchtigen Freundin. Die fängt alsbald Streit mit Roger an, während Bella
auf dem Templerfriedhof von dem Herrn Schmuggler vergewaltigt wird. Der ist
nämlich dauergeil. Zumindest solange, bis wieder die Grabsteine wackeln…
Die Vergewaltigung macht Bella erstaunlich wenig aus, das
liegt aber wohl eher daran, dass der Film jetzt zu einem Ende kommen soll. Und
dass er jetzt schon ziemlich alles gesagt hat über unterdrückte, ausbrechende,
begehrende und/oder gewalttätige Sexualität. Und natürlich über die
Mittelalter-Monster, die wir in einer Rückblende eine blonde Maid zerbeißen
sehen, im Rahmen des Ewiges-Leben-Rituals… Leben: Das ist halt ein kostbares
Gut, der Heizer bemüht sich deshalb, die fliehende Bella zu retten, auf Kosten
eines ganzen Zuges voller Menschenleben – ein schöner, abgründiger Schluss offeriert
uns dieser Film, wie es nur die Großen unter den Horrorfilmen – Polanski mit
tanzenden Vampiren oder Rosemarys Nachwuchs, Romero mit seinen Friedhofszombies
wenige Jahre vor, Herzog/Kinskis Vampir einige Jahre nach den reitenden Leichen
– zum Besten geben.
Harald Mühlbeyer