Grindhouse-Nachlese Dezember 2015: Slasher-Zwillinge und Kannibalenmönche
Cinema Quadrat, Mannheim, 19.12.2015:
"Blood Rage" / "Nightmare at Shadow
Woods" / "Slasher", USA 1983, Regie: John Grissmer.
"Die Jäger des Jade-Schatzes" / "Raw
Force", USA, Philippinen 1982, Regie: Edward D. Murphy
Da hat jemand seinen Freud sehr genau gelesen. Urszene;
Ödipus; und bestimmt gibt's in der Werkausgabe auch irgendwo den evil twin, irgendwo zwischen
Verschiebung, Verdrängung, Projektion und Witz.
Es geht großartig los in John Grissmers "Blood
Rage": Ein Autokino, all die Teenager, die sich hier mit dem Nötigsten
fürs Leben versorgen, nämlich mit Blut und Sperma. Ted Raimi, Sams Bruder,
verkauft wahnsinnig klandestin Kondome aufm Klo. In den Autos wird rumgeknutscht,
was das Zeug hält, und der eine oder die andere entledigt sich der Bekleidung;
der Film auf der Freilichtleinwand – "The House That Cried Murder",
geschrieben und produziert von John Grissmer, aus dem Jahr 1973 – findet wenig
Beachtung. Louise Lasser ist auch da. Sie ist am Rumpusseln mit ihrem Lover,
aber sie hat Hemmungen. Ihre kleinen Jungs könnten sie hören – die liegen
nämlich im Kofferraum des Kombis, schlafend… Bis der Herr Liebhaber seine Zunge
in den Mund von Maddy steckt. Da wachen die Zwillinge auf. Sehen ihre Mama bei
einer sexuellen Aktivität. Stehlen sich durch die Heckklappe aus dem Auto.
Einer der beiden, die so ganz und gar gleich aussehen, findet auf einem
Pickup-Truck eine Axt. Hält sie voll Vorfreude ins Mondlicht. Findet alsbald ein
Fahrzeug, in dem Männlein und Weiblein sich paaren. Und hackt dem Fremden den
Kopf zusammen. Während der Bruder völlig gelähmt dabeisteht – und weil dieser
blutverschmiert die Axt in die Hand gedrückt bekommen hat, wird er für den
kindlichen Killer gehalten.
Zehn Jahre später. Wir freuen uns, dass Louise Lasser
entgegen unserem ersten Eindruck keinen Teenie spielen muss, sie ist ja
schließlich schon über 40. Und wir freuen uns, dass sie überhaupt da ist: Und
irgendwie scheint sie ihre Frisur nicht geändert zu haben seit zehn, fünfzehn
Jahren, seit damals, als die für drei Jahre die zweite Ehefrau von Woody Allen
war, als sie in "Take the Money and Run" oder in "Bananas"
mitgespielt hat; blond, mit seitlich aufgesteckten Lockenzöpfen, irgendwie
total strange. Sie hatte ihre eigene Hairstylistin am Set, ausweislich des
Abspanns – was aber auf imdb nicht erwähnt wird, wie überhaupt dem Film einen Hauch von Mysterium umweht.
Gedreht wurde er 1983, im Auslaufen der Slasher-Welle; dass
er einer der Höhepunkte dieses Genres ist, hielt ihn nicht davon ab, erst 1987
im Kino rauszukommen, in einem limited
release, mit wenigen Kopien, unter dem Titel "Nightmare at Shadow
Woods"; geschnitten übrigens. Außerdem auf VHS, mit mehr Blut, aber mit
anderen fehlenden Szenen. Ein weiterer Titel des Films – um alles noch mehr zu
verwirren – war schlicht und einfallsreich "Slasher". Nun ist der
Film auf BluRay rausgekommen, eine einigermaßen endgültige Version mit ziemlich
allen Szenen; so, wie man es sich nur wünschen kann. In Deutschland war der
Film nie zu sehen.
Uh, böse Zwillinge! Oh, eine Übermutter! Ach, die
Sexualneurose! Ohje, Übersprungshandlung, Affektentladung! Eh, Verdrängung,
Gewaltausbruch, Übertragung…! Ihhh, wenn sich zwei Menschen geschlechtlich
begegnen! Und wer ist nun eigentlich der Böse?
Todd, der eine Zwilling, muss nach der schrecklichen Nacht
im Autokino in die Geschlossene. Gefährlich ist er, der Mörder! Was keiner
weiß: Eigentlich war Terry der Täter, der lebt jetzt zehn Jahre lang friedlich
bei seiner Frau Mama. Allerdings hat die pfiffige Psychiaterin rausgekriegt,
dass Todd zwar traumatisiert, aber kein Killer ist… Eine Auskunft, die Mama
Maddy (nomen est omen) geflissentlich ignoriert, hat doch ihr Familienmodell
mit Sohnemann Terry so wunderbar funktioniert. Dann aber bricht Todd aus. Und
das Morden geht wieder los, weil jetzt bei Terry wieder alle Hemmungen gefallen
sind. Und so häufen sich die Leichen in der kleinen, feinen Nachbarschaft des Reihenhaus-Komplexes,
unter den Teenies mit ihren kleinen Liebeleien ebenso wie unter den
Erwachsenen, die alle irgendwas miteinander haben – Fickificki ist eben leider
der Auslöser der blutigen Tat…
Das Schöne an dem Film ist, dass er einerseits ein satter
Slasher ist mit allem, was dazugehört. Nun ist dies freilich, wie bekannt,
nicht allzu viel: Ein Irrer, ein paar Opfer und diverse bizarre Mordwerkzeuge
reichen im Grunde aus, als Kür können diese Zutaten mit schönen
Splattermomenten und fein ausgedachten Groteskleichen angereichert werden. Bei
"Blood Rage" ist das alles zur vollsten Zufriedenheit vorhanden, es kommt
aber andererseits dazu, dass das komplette Personal des Films einen an der
Waffel hat, der Killer sowieso, aber auch sein unschuldiger, so lange Zeit
katatonischer Zwilling, der unbeholfen durch die Gegend tapst, die Frau Mama
mit ihrer tief eingeprägten Illusion, was eine glückliche Familie ausmacht,
eine Illusion, an der sie festhält, auch wenn sie wie eine Seifenblase
zerplatzt. Die Teenagerin, die im Nachbarhaus babysittet, ist eine hemmungslose
Nymphomanin, die Nachbarin ihrerseits bringt ein schüchternes Männchen nach
Hause, der mit körperlicher Annäherung nichts anzufangen weiß (gespielt wird er
von Ed French, der hier die Killer-Tötungswunden-Makeups gestaltet hat; eine
seiner ersten Arbeiten, bevor er später zu Terminator und Star Trek stoßen
sollte) –; und natürlich all die witzigen Teenager mit ihren Sprüchen und ihren
Hemmungen und ihren Annäherungen und ihren practical
jokes.
Und dann ist da noch diese Ebene im Film: Dass Regisseur
John Grissmer den Zuschauer bewusst immer wieder ins Messer laufen lässt, so
dass es tatsächlich Momente gibt, an denen man nicht weiß, wie es denn jetzt
weitergehen wird (und das ist in einer so linear aufgebauten Dramaturgie des
Slashersfilms ein nicht zu unterschätzendes Kunststück!) Das Autokino mit all
dem Rumgefummel und all dem Blut ist schon mal ein schöner selbstironischer
Auftakt; nach einem Zehn-Jahres-Zeitsprung befinden wir uns in der
Wohnsiedlung, um plötzlich aber, in der Psychiatrischen Landesirrenanstalt, in
den Kopf der Psychologin zu springen, die in einem Voice Over von Todd und
Terry berichtet, mit der schwierigen Aufgabe, die Mutter von der Umkehrung der
Verhältnisse zu berichten. Zack, ein Thanksgiving-Dinner – ist jetzt immer noch
die Psychologin so etwas wie eine Hauptfigur, Van-Helsing-mäßig? Immerhin
taucht sie wieder auf, auf der Suche nach dem ausgebrochenen Todd, von dessen
Unschuld sie weiß – dennoch verlieren wir sie in einer wunderbaren Szene im
Wald, wo es sie förmlich zerreißt, zwischen zwei Zwilligen wählen zu müssen. Sie
war nur eine geschickte falsche Fährte des Films. Später dann verführt eine
Frau einen Mann, im Nebenzimmer muss sie immer wieder danach schauen, dass das
Baby schläft – und der Killer dringt ein. Er wird doch nicht…? Kann das sein:
Ein so junges Waisenkind…? Und plötzlich durchfährt uns die schmerzliche
Ahnung, dass das designierte Final Girl
vielleicht auch nicht davon kommen wird – oder doch? Nichts ist sicher.
Nur die schauspielerische Leistung: Standesgemäß exaltiert,
künstlich, überzogen, weil es sich ja um einen Killerhorrorfilm handelt – aber
auch fein ziseliert, fast subtil, wie Darsteller Mark Soper zwischen den
verschiedenen Charakteren Todd und Terry umschaltet, verunsichert und
zusammengesunken der eine, charmant, einnehmend und fies der andere… Und Louise
Lasser, die weiß genau, was von ihr erwartet wird, eine hintergründige Komik,
die aber niemals aus den Neurosenschichten ihrer Maddy-Figur ausbrechen darf;
auch nicht, wenn sie verzweifelt ihren Lover anzurufen versucht, der – wie wir
wissen – schon seit Längerem hübsch drapiert an seinem Schreibtisch aufgebahrt
ist, per Machete aufgeteilt in puzzleartig zusammengesetzte Einzelstücke… Wie
sie mit den Telefonistinnen verhandelt, weil sie fernmündlich nicht durchkommt,
und dabei in abseitiger Verzweiflung all ihre Wünsche, Ängste und Hoffnungen in
den Hörer plappert…
Ziemlich raffiniert, das Ganze, in dieser Gemengelage aus
Genrezugehörigkeit und Spiel mit dem Zuschauer – ganz im Gegensatz zu "Raw
Force", ein Film, der genau das rüberbringt, was er beinhaltet, nicht
mehr, nicht weniger, nicht subtil und hintenrum, sondern geradeaus. Ein Film,
der genau das ist, was er scheint, was er sein will, was er sein soll: Eine
Geschichte, die ihre Elemente ohne jeden doppelten Boden arrangiert. Als da
wären: Nackige Weiber; Martial Arts; kannibalistische Mönche; Kung-Fu-Zombies;
und, nicht zu vergessen: Ein böser Nazi.
Dabei ist dem Regisseur Edward D. Murphy wurschtpiepegal,
wie diese Elemente einander zugeordnet sind; ob sie in sich und im Zusammenhang
logisch sind; ob daraus tatsächlich so etwas wie eine Geschichte werden kann.
Das Zeigen ist das Wichtige, nicht, irgendetwas zu vermitteln, zu entwickeln
oder zu gestalten.
Eine Seefahrt, die ist lustig, das zeigt sich ganz deutlich:
Die Weiber sind willig, die Männer topfit im Kung-Fu-Kampf, mehr brauchts auch
nicht bei 'ner Kreuzfahrt durchs chinesische Meer. Ein paar Kumpels sind mit
dabei, zeigen ihre Kampfkünste als Show an Deck; ein paar Mädels – unter
anderem die Nichte der Reiseveranstalterin und ein weiblicher Cop – zeigen sich
recht gerne selbst. Ein bärbeißiger Käpt'n – Cameron Mitchell hat was zu tun
gebraucht – zofft sich mit der geizigen Veranstalterin. Ein chinesischer Koch
kann auch kämpfen. Zwischendurch gibt es auch andere Passagiere zu sehen, die
sind dem Film aber an sich ganz unwichtig, so dass sie irgendwann aus der Story
fallen.
Zunächst aber geht's in einer Hafenstadt in den Puff, und es
geht in die Kneipe. In letzterer Schlägerei, in ersterem, nun ja: auch. Weil dort
kommen die schlagkräftigen Passagiere dem Deutschen Thomas Speer (mit breitem
Akzent und Hitlerbärtchen) in die Quere. Der handelt nämlich mit Jade. Woher
bekommt er die Jade? Von einer Insel. Wer lebt auf der Insel? Ein paar
braunbekuttete Mönche. Wofür geben sie die Jade her? Für Mädels, möglichst
nackt und fest im Fleisch. Wofür brauchen sie die Mädels? Für ihre Feiern. Zum
Aufessen. Eine große, grob aus Baumstämmen gezimmerte Waage wiegt die armen
Opfer in Jade auf, Speer und seine Mannen fangen sie ein in den Straßen und
Puffs der Stadt. Jetzt ist diese Insel ein Ziel der Kreuzfahrt, weil sich dort
ein kultischer Friedhof der größten Martial-Arts-Kämpfer befindet – das bedeutet
Gefahr für Speers Unternehmen, und hin und her und hopplahopp hat man plötzlich
einen Feind, ohne es zu wissen.
In den Puff sind wir nur gegangen, weil einer der Passagiere
ein Späßchen jenseits seiner jungen Ehe gesucht hat – dessen Frau wiederum zum love object für einen unseren Helden
wird; wie überhaupt der Beziehungsreigen auf dem Schiff sich irrsinnig schnell
dreht, damit auch genug weibliche Darsteller die Gelegenheit bekommen, sich
auszuziehen. Abendliche Zusammenkunft bedeutet: Flirt, Anmache, Fickificki.
Dazu ein paar Witzchen: Der da in der Ecke steht, der sieht doch gut aus! Also
auf, kleine Verführung, einfache Übung – nur ist er ein ultrachristlicher
Freak, der lustigerweise überall Sodom und Gomorrha sieht. Weil ein paar Witze
immer jeden Film auflockern!
Dann greifen Speer und seine Männer nachts an. Endlich
wieder ein Kampf! Und ein bisschen Sex. Eine Nackige wird per Harpune
niedergestreckt. In einem der Kabinen entbrennt ein Kampf zwischen Lederbiker
und Ebennochfickendem, auf dem Bett eine blonde Braut. Der Kampf ist lang und
hart, das Mädel hübsch. Dann entbrennt ein Feuer, draußen auf Deck.
Explosionsgefahr, Evakuierung. Und alle Passagiere sind in Luft aufgelöst bis
auf die, die die Geschichte weiterhin braucht. Die Nackten und die Jesusfreaks
und die notgeilen Böcke, die wir bisher schon alle nicht auseinanderhalten
konnten, sind weggewischt, vergessen, denn jetzt treibt der harte Kern auf die
Insel zu. Die Insel der Kannibalenmönche und Kung-Fu-Zombies (und die sind viel mehr und viel schneller und viel länger im Bild als die Kampfzombies aus "Todeslied des Shaolin").
Was noch mehr Spaß verspricht, insbesondere, weil auch Herr
Speer mitmischt. Diverse Mädchen werden gefangen und entkommen knapp dem
Verdauungstod. Die Zombies sind schnell und stark, und sie sind unaufhaltsam.
Die Mönche mit ihrem gierigen Lächeln haben alles im Griff: Irgendwie hängt das
Menschenfleischessen mit dem Erwecken der Toten zusammen, wer weiß das schon. Die
Jademine ist voll. Speer will mehr. Im Meer schwimmen Piranhas (!). Mancher
findet seinen Tod. Und jedes Töpfchen übrigens sein Deckelchen: Am Ende fliegen
vier Pärchen in einem Flugzeug voll Jade weg von dieser Todesinsel. Das Lustige
ist: Kurz vorher noch hat Speer seinen Mitstreitern gegenüber bekräftigt, dass
das Flugzeug viel zu schwer ist mit all der Jade – wurde dann aber vom Film
geflissentlich vergessen. Und das noch Lustigere: Am Ende der Ausblick auf eine
Fortsetzung. Haha, das wäre was gewesen! Aber wahrscheinlich haben die
Produzenten vergessen, das Sequel zu produzieren.
Harald Mühlbeyer