FILMZ 09: Pädophilen-Märchen DER PRINZ ?

Auch mal schnelles zu einem Kurzfilm, der vor WAS DU NICHT SIEHST präsentiert wurde: DER PRINZ von Petra Schröder schickt Paula Kallenberg und Jytte-Merle Böhrnsen als Kristin und Moni nach Rom, wo die lustigen Mädels einem älteren Herren (Hannes Hellmann) in die Arme laufen, der Adliger und schwul sein will, ihnen erst Zitronenkuchen und dann Alkohol verabreicht, sie zu Sexspielchen animiert – und während Moni im Bad kotzt, mal mit einer Frau schlafen will. Das tut er dann, ist nur mal kurz drin gewesen, gesteht Kristin dann bei der Heimfahrt im Zug. Betretenes Schweigen. „Er hat alle bekommen was er wollte, und wir nichts“, sagt die eine dann. Aber immerhin hatten sie Zitronenkuchen, so die andere.

Und das war’s dann. Alles wieder gut?

Petra Schröder, die leider selbst nicht in Mainz war, wollte DER PRINZ nicht unkommentiert lassen, weshalb der Moderator stellvertretend den Kurzfilm als Mahnung gegen Pädophilie auswies, genauer: zum Zwecke der Aufmerksamkeitsschärfung.

Hinterher, auch auf der Konstrastfilm-Party in fantastischer Location, der alten Sparkasse in der Kaiserstraße, gab es die eine oder andere Diskussion über DER PRINZ. Ob er gelungen sei, ob das so ginge.

Ohne Frage: DER PRINZ beschäftigt sich mit einem heiklen Thema und konzentriert sich auf einen noch heikleren Aspekt dabei. Keine direkte Vergewaltigung oder ein Missbrauch vermittels seelischen Drucks wird hier angeprangert, sondern das Ausnutzen, das – nun ja – „Verführen“ von – tja – „verboten“ jungen Mädchen. Auch das ist Missbrauch, auch das kann schädigen. Und das anfängliche Lachen blieb einem tatsächlich im Hals stecken, als es ernst wurde, davor schon: wenn man die perfiden Tricks und Kniffe in der Anwendung sieht. So gesehen KANN der Film schon wirken. Oder aber nur offene Türen einrennen – denn wie anders lässt sich das Lachen erklären, das einem da im Halse steckenbleibt, wenn nicht als hilfloses, sarkastisches, angesichts der Naivität und der Durchsichtigkeit des Spiels, das der Prinz treibt?

Denn zugleich balanciert DER PRINZ auf einem schmalen Grad zwischen Anprangern und Verharmlosen, und kippt letztlich meiner Meinung nach insgesamt zu sehr ins letztere. Vielleicht kann man es auch gar Recht machen, zwischen political correctness und mutigen Ambition und angesichts eines stets unterschiedlichen Publikums.

Um Blowjob und Andenken-Sperma auf dem Kissen, darum geht’s gleich zu Beginn zwischen den Mädchen. Zeigt ihre „Reife“ hier wie da, macht sie nicht zu weltfremden Engelchen und auch den Rest glaubwürdiger, die Neugier, das Mitspielen. Doch ebenso wie das achselzuckende Wegwitzeln zum Schluss und dem Nichts-Bekommen also einem „Leerausgehen“, bürdet der Film ihnen so gehörig Selbstbestimmung und letztlich eine gute psychische Kondition auf, die letztlich andeutet: Na, so schlimm war’s ja doch nicht. Oder noch weit zynischer gefragt: Ja, was ist den Schlimmes passiert?

Der Sex an sich selbst wird auch gänzlich ausgeklammert, und vielleicht ist DER PRINZ für seine Intention dann doch gefährlich harmlos und unerfreulich ungefähr: Ein bisschen direkter, klarer in seiner Negativtät, in den möglichen Folgen, überhaupt in irgendeiner Aussage hätte er sein müssen – was ja noch lange nicht bedeutet, dass er mit dem Holzhammer hätte kommen sollen. Einfach beim betretenen Schweigen aufhören, z.B.

Sicher, sicher: Gerade diese Ambivalenz kann man gerade gut finden, subtil, wagemutig, besonders wirkungsvoll, doch auf der anderen Seite hätte ein Pädophiler kaum ein Problem damit, sich mit DER PRINZ sein Gewissen zu beruhigen. Oder ein Mitwisser. Oder ein Opfer einen winzigen Grund mehr, zu schweigen. Vielleicht, vielleicht.

Bei aller wohlmeinenden Absicht: Letztendlich läuft es hier ein wenig zu sehr nach dem Grundgedanken ab, man könne Propaganda entlarven, indem man sie einfach nur wiederholt, im Vertrauen darauf, dass sie sich selbst bloßstellt. So gesehen macht es sich DER PRINZ mit seinem Thema doch ein wenig zu einfach.

Sind Sie anderer Ansicht oder möchten etwas dazu bemerken? Schreiben Sie uns an redaktion(at)screenshot-online.com.


Bernd Zywietz


ERGÄNZUNG VON HARALD MÜHLBEYER:

Da muss ich dem Kollegen Z. ein bisschen widersprechen. "Der Prinz" fand ich gerade deshalb gut, weil er uneindeutig bleibt. Ich mag es, wenn Filme ihre Moral, ihre Botschaft nicht plakativ vor sich hertragen, dem Zuschauer nicht (offen) vorschreiben, was er zu denken hat - was nicht bedeutet, dass diese Filme keine Haltung haben; sie benennen sie nur nicht deutlich. Der Zuschauer ist gefordert, mit- und weiterzudenken, muss sich ein eigenes Urteil, eine eigene Meinung bilden. (Das ist im Übrigen einer der großen Unterschiede zwischen, sagen wir, Steven Spielberg und Terry Gilliam, aber das nur nebenbei).
Und genau deshalb, weil der Film zwar eine klare Haltung erkennen lässt, diese aber nicht benennt, nicht herausstellt, hat die an die Vorführung anschließende Erklärung der Regisseurin, vom Moderator verlesen, dem Film geschadet. Weil hier in quasi vorauseilendem Beschwichtigen erklärt wird, wie der Film für das Thema sensibilisieren will, wie schlecht doch sexueller Missbrauch sei etc. Eine Erklärung, die der Film nicht braucht! Die er nicht verlangt! Die dem Zuschauer sein Denken und Fühlen vorschreiben möchte, und die verhindert, dass sich der Zuschauer fragt, wie der Film denn zu verstehen sei, wie er den Film denn verstehen möchte.


Anmerkung zur Ergänzung

Zur Verdeutlichung: Kollege Mühlbeyer hat vollkommen Recht, insofern ein Film generell nicht nach der Vorführung einer Erklärung bedürfen sollte. Ansonsten bleibe ich dabei, dass der Film eben Haltung beziehen mag (wobei ich gerade die Unterscheidung zwischen "der Film hat eine Haltung" und "der Film stellt seine Haltung heraus" oder aber "benennt sie nicht deutlich" gerade problematisch finde - gerade um die Verwischung geht es). Jedoch trotz oder gerade in dieser Haltung für mein Empfinden verharmlost. Nicht, weil er nicht dem Zuschauer vorschreibt, wie er zu denken oder zu fühlen hat, sondern weil er es einem zu leicht macht, das - ja, das klingt unpopulär - "Falsche" zu fühlen und für sich herauszupicken: Dass Missbrauch eben doch ein - pardon! - "Kinderspiel" sein kann. "Der Prinz" schreibt nichts vor, richtig, aber er konfrontiert auch m.E. nicht genug mit dem Phänomen, dass er zum Gegenstand hat und mit Aspekten, die es eben zu Recht zu einer kriminellen Handlung macht (wie den seelischen Folgen, über die etwas zu lapidar hinweggegangen wird).

Generell: Dass der Film "spannend" ist, und dass es schön und dankenswert ist, Denk- und Lesart nicht vorgeschrieben zu bekommen, soll auch nicht in Frage gestellt werden (der Verweis auf den "Holzhammer") und steht auch nicht im Widerspruch zu den oben geäußerten Vorbehalten.

B.Z.