Trollt Euch! Eine kritisch-polemische Bewertung des aktuellen Fantasy-Films.

von Dirk Christian Loew

Teil 2 von 2

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Der Fantasy-Film nutzt seit jeher Versatzstücke und Figuren der literarischen Märchen-, Mythen- und Sagen-Welt, welches auch seinen weltumspannenden appeal ausmacht: Indem der aktuelle fantastische Film auf altbekannte Versatzstücke zurückgreift, macht er sich global und interkulturell verstehbar, jedoch auch beliebig, austauschbar und trivial.

Mit dem Erfolg des Post-Code-Quartetts ist es Hollywood endgültig gelungen, sein Publikum auszutauschen. Eine Entwicklung, die in den 1950er Jahren einsetzte (Teenage-Exploitation-Movies) und mit den Filmen des New Hollywood, welche das Post-Code-Quartett thematisch und filmsprachlich letztlich initiierten, einen vorläufigen Abschluss fand. Der amerikanische Teenager war nicht immer Zielgruppe der US-Filmproduzenten, sondern wurde erst als solche entdeckt, nachdem dessen Eltern und Großeltern lieber vor dem Fernseher sitzen blieben. Mit der Anpassung von Inhalt, Filmsprache und Zielgruppenansprache an ein verjüngtes Publikum kehrte Hollywood in die Erfolggspur zurück, und beendete die Kino- und Filmkrise der 1960er und 1970er Jahre. Aber es hatte zwei Generationen von Kinogängern verloren, und produzierte fortan für den Geschmack und den Intellekt einer anderen Generation an Besuchern.

Was uns zur Bewertung des Fantasy-Films aus aktueller, postmoderner, aufgeklärter, popbewusster Sicht bringt: Heute sehen die Multiplexe wie Shopping Malls aus, sind auch meistens in solchen untergebracht, und die Schlange vor den Popcorn-Ständen ist immer länger als die an den Kassen. Das heutige Publikum geht ins Kino als Konsument, nicht als Rezipient. Die meisten der heutigen Erfolgsfilme, und besonders die Fantasy-Streifen mit ihrer vielfältig ausgeprägten Verwertungskette, verlangen ein konsumorientiertes Publikum. Denn: massenträchtige Filme sind als solche intendiert und werden per Werbung und Marketing zu reinen Markenprodukten. Dieses Produkt verlangt, um erfolgreich zu sein, seine Investitionskosten zu erbringen und natürlich noch einen Profit zu erwirtschaften, eine konsumwillige, der Werbebotschaft von Marke und Produkt folgende Käuferschicht. Das Publikum des heutigen Fantasy-Booms (Print, Kino, Folgeverwertung) reiht sich bereitwillig und unkritisch in die globalen Kassenschlangen ein. Diese Haltung wird begünstigt und angefeuert durch eine alles durchdringende, ebenso unkritische Medienberichterstattung, welche die oberflächlichen Schauwerte eines Films als dessen einzige Qualität versteht. Der von den Marketingexperten in Hollywood lancierte Hype um einen Film wird fälschlicherweise als Event gesellschaftlicher oder kultureller Relevanz missinterpretiert und hat eine Hofberichterstattung sondergleichen, in nahezu allen Medien, zur Folge. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung findet auch in der "anspruchsvollen" Filmpresse nicht statt.

Natürlich muss eine der grundlegenden Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Was sind eigentlich die Gründe für den Erfolg des Genres beim heutigen Publikum?
Sicherlich ist es naheliegend, den Erfolg spezifischer Filme in ihrer Zeit in der politisch-wirtschaftlich-gesellschaftlichen Gesamtsituation zu sehen. In der Ära der Großen Depression ab 1929 sowie in den frühen 1930er Jahren reussierte der fantastische Film als Genre erstmalig bei einem Massenpublikum. Besonders Universal produzierte Klassiker wie DRACULA (USA 1931), FRANKENSTEIN (USA 1931), MURDERS IN THE RUE MORGUE (USA 1932) und MYSTERY OF THE WAX MUSEUM (USA 1933). Filme, die geschickt die gesellschaftliche Unsicherheit und Zukunftsangst kanalisierten. Ähnlich war es mit dem Erfolg des Gangsterfilms ab 1933 oder den optimistischen New-Deal-Filmen (ab 1936). Hollywoods "Schwarze Serie" ist ohne den Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, wie auch der bundesdeutsche Heimatfilm vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit in einem geteilten Deutschand, nicht verständlich und denkbar. Der aktuelle Fantasy-Film bietet einen solch einfachen historischen Bezug jedoch kaum an. Das Besondere an diesem Boom ist, dass er nichts Besonderes hat, die Erfolgsformel ist die des Blockbusters, also beliebig. Was auffällt: Die Filme sind zutieftst unpolitisch, worin sie am ehesten Produktionen aus dem Hause Disney gleichen. Ich erwarte keine politische Botschaft im Sinne von "Respektiert Minderheiten und Andersdenkende". Denn wie sagte schon Harry Warner: "Wenn ich Botschaften verschicken will, gehe ich zu Western Union". Aber z.B. THE LORD OF THE RINGS kommt mit der Attitüde einer mythischen Heilsbotschaft daher, die er geschickt projiziert. Doch der Film hat keine andere Botschaft als: "Kauf Mich!". Dieser Abgrund zwischen Selbstprojektion und Realität ist verurteilenswert. Das Publikum bemerkt ihn nicht, will ihn nicht bemerken: Seine Realitätsflucht ist analog der unreflektierten Haltung des Films zur Wirklichkeit.

In diesem Zusammenhang kommt mir das Wort Eskapismus in den Sinn. Was sicherlich nicht abwertend ist, denn wozu schließlich gehen wir ins Kino? Jedoch, der Fantasy-Film-Konsument macht sich einer mehrfachen Flucht schuldig: Er sucht in der Dunkelheit des Zuschauerraumes eine Erlebniswelt auf, die keinerlei Bezug zur Wirklichkeit aufweist, und klammert zudem aus, dass er mit seinem Kinobesuch zum willfährig zahlenden Objekt einer weltumspannenden Vermarktungskampagne geworden ist.

Ein weiterer Lösungsansatz für die Eingangsfrage nach dem Erfolg: Der Fantasy-Film bietet seinem Publikum einfachste Lösungen an: eine schlichte Gut-Böse Dramaturgie, enthusiasmierende Feel-Good Mentalität, keinerlei Bezug zur außerfilmischen Wirklichkeit. Inhaltlich kann er seine Wurzeln aus dem B-Film nicht abstreifen, und vertuscht dies sorgfältig durch aufwendiges A-Film-Gehabe. Das abgestumpfte, naive, die Formelhaftigkeit des Hollywoos-Genre-Films gewöhnte Publikum konsumiert freudig und fühlt sich gut unterhalten.

Fazit: Der Erfolg des aktuellen Fantasy-Films beruht auf der schlichten, massenkompatiblen Rezeptur der B-Film-Genres Horror und phantastischer Film und deren mit Spezialeffekten beladenener, inhaltlich jedoch substanzloser Oberfläche. Der Fantasy-Film verwurstet altbekannte Elemente und Figuren aus der Märchen- und Sagenwelt bzw. bebildert literarische Vorlagen. Mit anderen Worten: er ist zutiefst epigonal. Und er kann seine Herkunft aus dem billigen Trashkino (und der Trivialliteratur!), trotz Bildgewalt und production values, nicht verhehlen. Die filmische und narrativ-inhaltliche Naivität und Infantilität sowie der unerträgliche Kitsch der Filme wird von einer genialen Marketingkampagne an ein ebenso naives und engstirniges Publikum verkauft. Ein Film wie THE LORD OF THE RINGS riskiert es nicht, sein Publikum mit nicht eindeutigen Bildbotschaften zu konfrontieren. Alles wird gezeigt: ist von einem Traum die Rede, sieht man diesen, wird ein Amulett erwähnt, ist es auch schon in Detailaufnahme per insert-shot bebildert. Erzählt eine Filmfigur eine Begebenheit aus der Vergangenheit: Rückblende, Weichzeichner, digitale Bildeffekte, die Tonspur passend belegt, das volle Programm, damit auch der dümmste Zuschauer nichts versäumt. Eigentlich verdient eine Filmreihe wie THE LORD OF THE RINGS den Begriff "Fantasy" überhaupt nicht, lässt sie doch der Imagination, der Fantasie des Zuschauers, keinerlei Freiräume.

Zudem projizieren Produzenten und Medien einen Hype, eine Art heilsbringende Attitüde um die Filme, welche uns weismachen will, dass z.B. THE LORD OF THE RINGS "etwas zu sagen hat". Doch das haben die Filme natürlich nicht: sie verharren ignorantisch und eskapistisch im unpolitischen, geistlosen, meinungsfreien, trivialen Niemandsland.

Das schlimmste, und bisher von mir unerwähnt gelassene Merkmal des aktuellen Fantasy-Films: die sogenannte Community. Diese war es, die Regisseur Jackson vor Beginn der Dreharbeiten zu THE LORD OF THE RINGS in den Ohren lag, den Film so eng wie möglich an der literarischen Vorlage zu belassen. Eine Tatsache, welche übrigens auch der Bedeutung und des geistigen Gehalts des Begriffs "Fantasy" eine weitere, aufschlussreiche Ebene verleiht. Und nicht zuletzt ist es die Begeisterung, Folgsamkeit, unkritische Herangehensweise, fanatische Unterstützung und absolute Humorlosigkeit der sogenannten Community, die Leute wie mich vom Besuch eines Fantasy-Films abhält. Denn die Produktionen sind, zusätzlich zu den bereits angeführten Gründen, obendrein frei von Witz, Chuzpe und jeglicher Ironie. Zudem sind die aktuellen Fantasy-Filme gänzlich und absolut unsexy. Zwei wichtige Gründe mehr, sie zu meiden. Letztendlich kann es keine Entschuldigung dafür geben, sich in die folgsame Jüngerschaft des Fantasy-Films einzureihen, denn wie sagte schon Groucho Marx mit den unsterblichen Worten, mit denen ich diesen Text auch beende: "Ich würde niemals einem Klub beitreten, der Leute wie mich als Mitglieder aufnimmt".


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