Filmfest München: Die deutschen Filme

Aus "Fairness allen Kandidaten gegenüber" sei der diesjährige Förderpreis deutscher Film in den Kategorien Regie und Drehbuch diesmal nicht vergeben worden, so die Jury. Die zur Preisfindung vorgelegte, beschränkte Auswahl sei nicht repräsentativ für den jungen deutschen Film, der seine Qualität vielfach bewiesen habe. Die Jury-Mitglieder empfahlen dem Filmfest München und den Preisstiftern, die Regularien zu überdenken.
Andreas Ströhl, Chef des Münchner Filmfestes, dessen Programm die Kandidaten für den Förderpreis stellt, sagt dazu: "Das Filmfest München zeigt auch in diesem Jahr nur qualitätsvolle neue deutsche Filme. Wie jedes Jahr gingen alle Filme, die den Auswahlkriterien der Preisstifter entsprachen, ins Rennen um den Förderpreis. Das Filmfest trifft also weder eine Vorauswahl noch nominiert es Filme. Wir sind aber überzeugt von der Qualität der Filme in unserem Programm."

Tatsächlich aber sind die diesjährigen deutschen Filme kein Aushängeschild für die hiesige Filmlandschaft. Und vielleicht ist die auch gar nicht so blühend, wie allerorten verkündet wird. Weil halt auch viel, zuviel Einheitsbrei zusammengepanscht wird, nach vorgefertigten Rezepten; Instant-Filme sozusagen, die nicht verbergen können, dass sie hauptsächlich dazu da sind, die „Kleinen Weisheiten“, die man im monatlichen Reader’s Digest findet, auf der Kinoleinwand auszubreiten; manchmal kommt noch die Rubrik „Menschen wie du und ich“ dazu. Wobei halt übersehen wird, dass Reader’s Digest vor allem große Banalitäten verbreitet, die aufgeblasen auf die Leinwandquadratmeter noch monströser scheinen. Gemeinplätze vom per asperam ad astra, vom kleinen Glück, von Generationskonflikten und -Lösungen, von Träumen, die man nur kräftig genug träumen muss, damit sie in Erfüllung gehen, und natürlich vom guten Ende, das dann alles nimmt.

In „Draußen am See“ kommt noch das „Handbuch des nutzlosen Wissens“ dazu, das die mit dem Förderpreis ausgezeichnete Elisa Schlott in ihrer Rolle als Jessika herunterbetet. Immer wieder hat sie einen altklugen „Wusstest du, dass“-Spruch bereit, das soll sie irgendwie als Menschen charakterisieren, aber ist halt doch nur ein ans Eindimensionale hingeklebtes Etikett. Ansonsten versammelt Regisseur Felix Fuchssteiner (einer von denen, denen der Regie- und Drehbuchpreis verweigert wurde) alles, was einem Ahnungslosen über dysfunktionale Familien einfallen kann. Papa ist arbeitslos, was er zunächst verschweigt; er hängt nur zuhause rum, ohne den Haushalt hinzukriegen; die Teenie-Töchter sind genervt; die Mutter ist gestresst, sie muss ja jetzt Geld verdienen; außerdem ist sie der Meinung, wäre sie vor 15 Jahren nicht schwanger geworden, wäre sie jetzt mit einem amerikanischen Millionär verheiratet; hat ihre Kinder eh nie gewollt; eine kleine erste Liebe der jüngsten Tochter Jessika kommt dazu, die der Vater heftig zu unterbinden versucht, weil er ja die Tochter beschützen will; mit der erwachenden Sexualität der Kinder haben die Eltern kein Verständnis; dann kommts knüppeldick: die Mama merkt nicht, dass sie noch mal schwanger geworden ist, weil sie eben sowieso ziemlich dick ist (ein Verdrängungsphänomen, das es wirklich geben kann); und sie bringt dann das Kind, als es überraschend kommt, um. Ach ja: Natürlich ritzt sich Jessika mit dem Rasiermesser in den Arm, so ist das halt. Also macht Fuchssteiner hier noch mal ein Fass auf, und irgendwann läuft auch das über und so weiter... Abgesehen davon sind die Darstellerinnen der Töchter offensichtlich zu alt für die 13 – 15-Jährigen, die sie eigentlich spielen sollen...

Schlimmer handwerklicher Fehler auch in „Hangtime – Kein leichtes Spiel“ von Wolfgang Groos, einem Coming of Age-Drama über einen hoffnungsvollen Jungbasketballspieler, der am Ende seinen Weg findet (was sonst), über das ich mich hier aber gar nicht weiter auslassen will. Zu schlimme Erinnerungen. Aber: Als der junge Max Kidd (der seinen Darsteller-Förderpreis offenbar dafür bekommen hat, dass er tatsächlich Körbe werfen kann) als Basketballhoffnung Vinz im Internet das Werbevideo eines US-Basketball-Colleges ansieht, steht die Zeitleiste des Medienplayers immer auf 1:51 Minuten – auf die Idee, dass man nicht nur die Bilder, auch die Zeitanzeige bewegen muss, sind die Special-Effects-Programmierer offenbar schlicht nicht gekommen. Und das ist dann halt nur noch peinlich.

Schlimm auch „Diamantenhochzeit“, angeblich eine Komödie, angeblich auch noch eine schwarze, deren schlimmstes Merkmal aber nicht einmal ist, dass sie sich in Harmlosigkeit ergeht. Wie hier blöde Zufälle miteinander verwoben sind, um den Eindruck zu hinterlassen, hier würden Handlungsfäden verknüpft; wie hier Unwahrscheinlichstes aus der Klamottenkiste geholt wird, um einen Hochzeitstag zu versauen; wie dabei immer punktgenau, aber allzu offensichtlich von den Drehbuchautoren kalkuliert, falsche Entscheidungen getroffen werden, die keinerlei Grundlagen in der Logik, auch nicht in der Logik der filmischen Welt oder der Konstruktion von Gags haben: das ist schon dermaßen traurig, dass man an der deutschen Filmwelt verzweifeln möchte; was die Juroren ja offenbar getan haben.

Die Kriterien für eine Nominierung (also zum Beispiel junges Alter und wenig Berufserfahrung) erfüllte nicht Zoltan Pauls „Unter Strom“. Das freilich ist der Film, der mich aus meiner Deutscher Film-Depression wieder herausgerissen hat. Hanno Koffler (der sonst auch nicht der Hammer-Schauspieler ist) spielt einen Kleinkriminellen, der zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wurde. Und deshalb Geiseln nimmt, ausgerechnet ein gerade geschiedenes, unglaublich unflätig streitendes Ehepaar. Im Jaguar, der nun beiden zur Hälfte gehört, fahren sie ins Waldhaus, das auch beiden zur Hälfte gehört; lesen unterwegs den Wirtschaftsminister auf und treffen dann im Waldhaus auf den Liebhaber der frisch Geschiedenen, im Bademantel, der ein großes Viagraproblem vor sich herträgt... Und das ist nur die Basis für ein weitverzweigtes Netz an Personen, Konstellationen, Komplikationen: Robert Stadlober spielt den Kumpel von Koffler, der in der Zeit von dessen U-Haft freilich dessen Frau geschwängert hat; und der Wirtschaftsminister hat ausgerechnet ein inniges Liebesverhältnis zum verfolgenden Kommissar, der wiederum von seiner Assistentin angehimmelt wird. Und so weiter, bis ins dritte und vierte Grad, spinnt Zoltan Paul seine Fäden in diesem Film über die Liebe und über das, was man aus Liebe halt so tut. Geiselnahme; Mordintrige; Autoexplosion; Lügen; Streit; Bekenntnis; und auch Kochen.
Das wäre natürlich alles nur höchstens ein halber Spaß, wenn Paul nicht auch die Fähigkeit bewiese, dies alles so miteinander zu verknüpfen, dass eines konsequent ins andere führt; dass das Räderwerk des Films beständig ineinandergreift und jede Szene, jede Einstellung, jedes Detail, jeder Dialogsatz den Film ein kleines Stückchen weiterführt; wenn er nicht auch ein großartiges Gespür für das richtige Timing hätte, mit dem er seine Gags serviert – oder eben retardierend auch nicht; und wenn er nicht das ganze noch ironisieren würde dadurch, dass Stadlober einen Filmfan spielt, der vorwiegend in den Klischees amerikanischer Filme spricht; was alles noch mal auf komische Weise bricht. Kinostart ist der 10. Dezember; und es ist zu hoffen, dass sich nicht allzu viele Zuschauer von dem nichtssagenden Filmtitel abschrecken lassen, der das einzig schlechte ist, das der Film bietet.
(Anmerk. Red: eine fein aufgemachte Homepage dazu HIER)

Harald Mühlbeyer