Wege in eine andere Welt - Einführung in den Fantasy-Film – Ein kurzer, geschichtlicher Überblic
von Bernd Perplies
Wie bei vielen Film-Genres ist es auch für den Fantasy-Film nicht ganz leicht, seine genaue Entstehungszeit festzumachen. Unterschiedliche Meinungen haben sich hierzu gebildet. Während für die einen das Genre erst in den 1980er Jahren als solches erkennbar in Erscheinung trat, beginnt für die anderen der Fantasy-Film als Kind des Zaubertheaters bereits mit den ersten Stummfilmphantasien des Georges Méliès. Phantasievoll, exotisch, ‚voller Magie‘ waren seine Filme zweifelsohne, insofern lassen sie sich durchaus unter einer breiten Genre-Definition subsumieren, die als das Wirken des Magisch-Wunderbaren (im Gegensatz zum Technisch-Wunderbaren der Science-Fiction) entweder in der filmischen Widerspiegelung unserer Erfahrungswirklichkeit oder einer partiell respektive gänzlich davon getrennten secondary world formuliert werden könnte. Zur Kerngruppe dessen, was man heute gemeinhin als Fantasy-Film versteht – das heißt heroic fantasy-Epen im Stil von „Conan“ (USA 1981), „Willow“ (USA 1987) oder „The Lord of the Rings“ (NZ/USA 2001/02/03) – gehören Méliès‘ Streifen, oft nur abgefilmtes Varieté, sicher nicht. Stattdessen finden sich bei ihm vor allem ‚Spuren des Wunderbaren‘, und dies in sehr unterschiedlichen Umsetzungen: in Volksmärchen, im Bibelmythos, in der Parabel, in der griechischen Sage.
Viele Jahrzehnte war es das Los der Fantasy, magisches Beiwerk in anderen Genres zu sein. So finden sich frühe Spuren der heroic fantasy in den ersten italienischen Sandalenfilmen und ihren Epigonen in Frankreich und den USA. Herkules, Maciste, Theseus und Odysseus kämpften sich, mehr mit Muskelkraft denn mit Magie, durch effektreiche Mythenadaptionen wie „Les Douze Travaux d’Hercule“ (F 1910), „The Minotaur“ (USA 1910) und den damaligen Blockbuster „Cabiria“ (I 1918). Diese Seitenlinie der Fantasy – wenn man so will – hat bis heute Bestand, wie zum Beispiel der TV-Dreiteiler „The Odyssey“ (USA/GB 1997) mit Armand Assante oder die völlig enthemmt mit jedem Mythos spielende TV-Serie „Hercules“ (USA/NZ 1995-1999) mit Kevin Sorbo zeigen.
In Deutschland realisierte derweil Fritz Lang die Nibelungensage als zweiteiliges Epos – Teil 1: „Siegfrieds Tod“, Teil 2: „Kriemhilds Rache“ (D 1922/24) –, das sowohl von seinem Aufwand als auch seiner düsteren Grundstimmung lange Zeit isoliert steht und erst in neueren Bombast-Fantasy-Produktionen, beispielsweise „Excalibur“ (USA/GB 1981) von John Boorman oder eben der „Lord of the Rings“-Trilogie, Gesellschaft gefunden hat.
In Amerika folgte man indessen eher der Mélièsschen Tradition des ausgelassenen Fabulierens, was sich vor allem in den Abenteuerfilmen aus 1001 Nacht niederschlug, am bekanntesten „The Thief of Bagdad“ (USA 1924) mit Douglas Fairbanks in der Hauptrolle. Das Wunderbare wird hier vor allem durch exotische Kostüme und Bauten sowie eine Reihe mehr oder weniger selbstzweckhafter Spezialeffekte evoziert. Als Konzession an das erwachsene Publikum gewinnen in der Nachfolge zunehmend die Abenteuerelemente die Oberhand über die Märchenelemente. Die richtige Balance zwischen diesen beiden (vergröbernd könnte man sagen: ‚erwachsener‘ und ‚kindlicher‘ Perspektive) bestimmt bis heute das Fantasy-Genre.
Ziemlich zeitgleich entstanden die ersten Klassiker des Märchenfilms, der dem Fantasy-Film in Bezug auf seinen sense of wonder sehr nahe steht. Filmwissenschaftlich lassen sich die beiden Genres sicher voneinander trennen (der Grad der Ausformulierung der secondary world spielt hier zweifelsohne eine Rolle), tatsächlich sind die Übergänge – vor allem in neueren Produktionen – immer wieder fließend. Aus Platzgründen soll nur kurz erwähnt werden, dass der Märchenfilm mit Filmen wie „Peter Pan“ (USA 1924), „Alice in Wonderland“ (USA 1933), „The Wizard of Oz“ (USA 1939), all den Werken von Walt Disney, bis hin zu aktuellen Neuverfilmungen wie „Peter Pan“ (USA 2003) oder Parodien à la „Shrek“ (USA 2001) eine stete, eigene Entwicklungslinie parallel zum ‚Geschwistergenre‘ Fantasy entwickelte.
In den 1930ern ersetzten – unter dem Einfluss von Weltwirtschaftskrise und Prohibition – der Gangster- und Horrorfilm in Amerika den ‚Abenteuerfilm mit magischen Elementen‘. Doch schon das nächste Jahrzehnt wurde in einer Rückbesinnung auf die Fantasie eingeläutet von Alexander Kordas Remake des Douglas-Fairbanks-Films „The Thief of Bagdad“ (USA 1940), das zwar verschwenderisch ausgestattet und mit bemerkenswerten Spezialeffekten versehen war, aber unter dem unruhigen Stilwechsel von insgesamt sechs Regisseuren zu leiden hatte. Nichtsdestoweniger fand der Film diverse Nachahmer, wenngleich diese ihr Augenmerk einmal mehr auf säbelschwingende Action gewürzt mit einer orientalischen Love-Story legten denn auf wirkliche Elemente des Wunderbaren. Beispiele sind etwa „Arabian Nights“ (USA 1942] und „Sindbad the Sailor“ (USA 1947), in dem Douglas Fairbanks jr. als schelmischer Charmeur seinem Vater nacheiferte. Nach wie vor bleibt das Fantasy-Genre fragmentarisch und auf bloße Spolien des Wunderbaren innerhalb des Gebäudes des Abenteuerfilms reduziert.
Ende der 1950er erlebte der Fantasy-Film einen kurzen Boom, der im Wesentlichen mit dem Namen Ray Harryhausen verknüpft ist. Harryhausens primäres Interesse war stets, den sense of wonder auf die Leinwand zu zaubern, und als einer der besten Effektspezialisten seiner Zeit entwarf und realisierte er Stop-Motion-Sequenzen, die bis heute wenig von ihrer Magie verloren haben. An den Geschichten änderte sich dabei kaum etwas: Nach wie vor schlachtete das Genre im Wesentlichen die griechische Mythologie sowie die Wunder aus 1001 Nacht aus. Zu den Highlights gehören – dank Harryhausen, der endlich zeigen wollte, wovon Filme wie „Sindbad the Sailor“ nur sprachen – „The 7th Voyage of Sinbad“ (USA 1958) und „Jason and the Argonauts“ (GB 1963) mit seinem legendären Schwertkampf Jasons gegen sieben animierte Skelette. Dazwischen tummelten sich erneut zahllose billige Ableger, wobei vor allem in den Cinecittà-Studios in Italien zwischen 1952 und 1965 eine wahre Schwemme neomythologischer Filme entstand, in denen Muskelmänner wie Steve Reeves als Göttersöhne mit schwellendem Bizeps gegen praktisch alles kämpften, was die Überlieferungen hergaben: Zyklopen, Minotauren, Drachen, möglichst leicht geschürzte Amazonen und schließlich sogar, im Genremix mit dem Horrorfilm, Vampire und andere Untote. Dabei spielte das Wunderbare stets eine untergeordnete Rolle, kraftvolle Mannsbilder, verführerische Frauen, wilde Schlachten und robuster Humor standen eindeutig im Vordergrund.
Ende der 1970er, Anfang der 1980er erlebte der Fantasy-Film, wie wir ihn heute kennen, mit den Filmen „The Lord of the Rings“ (USA 1977) von Ralph Bakshi und „Excalibur“ seine eigentliche Geburt und größte Blüte. Angestoßen gleichermaßen vom Fantasy-Boom auf dem Buchmarkt und dem sich nun auf breiterer Basis etablierenden Phänomen Rollenspiel wie auch von der Rückkehr des Märchenhaften im aktualisierten Gewand in George Lucas‘ Genremix „Star Wars“ (USA 1977) entstehen in kurzer Folge Genreklassiker wie „Conan“, „The Dragonslayer“ (USA 1981), „The Dark Crystal“ (GB 1982), „The Last Unicorn“ (USA 1983) und „Legend“ (GB 1985). Zahllose Billigproduktionen, vor allem um muskelbepackte, frühzeitliche Barbaren mit großen Schwertern und kleinem Wortschatz, schließen sich daran an – und lassen den kurzen, heftigen Aufschwung wieder im Sande verlaufen.
In den 1990ern ist der Fantasy-Film vor allem ein TV-Phänomen: Genre-Serien wie „Hercules“ und „Xena: Warrior Princess“ (USA/NZ 1995-2001) – von der Machart übrigens alle sehr ähnlich – üben sich im hemmungslosen, aber humorvollen Ausschlachten und Mischen abendländischer Mythen. Mehrteilige TV-Filme wie „Merlin“ (USA/GB 1998), „The Mists of Avalon“ (USA/D 2001) oder „The Magical Legend of the Leprechauns“ (GB/USA 1999) widmen sich indessen der britischen Sagen- und Legendenwelt. Einen globalen, wenn auch auf ein singuläres Phänomen ausgerichteten Popularitätsschub erfährt das Genre dann erst wieder mit Peter Jacksons epochaler Tolkien-Adaption „The Lord of the Rings“ – für manche der erste, reinrassige Fantasy-Film überhaupt (sieht man von dem eher missglückten „Dungeons & Dragons“ (USA/CZ 2000) ab, der auf einer vergleichbar komplexen secondary world basiert). Parallel dazu weckt die nicht weniger erfolgreiche „Harry Potter“-Reihe in einer ganzen neuen Generation die Begeisterung für das Magisch-Wunderbare. Mit dem neuen Jahrtausend und der dank den Fortschritten in der Computertechnologie immer preiswerteren Verfügbarkeit spektakulärer Schauwerte – und Schauwerte waren seit jeher ein konstituierendes Element des Fantasy-Films – ist das Genre heute so lebendig wie nie zuvor.
Auffällig ist dabei der extrem hohe Anteil an „Literaturverfilmungen“. So entstanden in den letzten Jahren Filme wie „Eragon“ (USA/UK/Ungarn 2006), nach dem Bestseller-Roman von Christopher Paolini, „Der goldene Kompass“ (USA/UK 2007), die Adaption des ersten Bands der „His Dark Materials“-Trilogie von Philip Pullman, sowie „Der König von Narnia“ (USA/UK 2005) und „Prinz Kaspian von Narnia“ (UK/USA 2008), Umsetzungen der beiden ersten Bände von C.S. Lewis’ klassischer „Die Chroniken von Narnia“-Reihe. Und ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. So stehen bis 2011 nicht nur noch drei weitere „Harry Potter“-Filme an, auch die „Narnia“-Reihe wird 2010 und 2011 fortgesetzt. Außerdem sollen Genre-Klassiker wie „Conan“ und „Clash of the Titans“ im aktualisierten Gewand zurückkehren. Tim Burton dreht eine eigenwillige Version von Lewis Carrolls „Alice in „Wonderland“. Und zu guter Letzt wird Guillermo del Toro 2011 Tolkiens „The Hobbit“ auf die große Leinwand bringen.