Ein Mensch namens Hau - Die Filme der Gruppe Arnold Hau auf DVD

Ein Mensch namens Hau

Harald Mühlbeyer

Die Filme der Gruppe Arnold Hau 1970-1981
Buch, Regie: F.K. Waechter, Robert Gernhardt, Bernd Eilert, Arend Agthe.
Mit Alfred Edel u.a.
2 DVDs
Länge: 150 Minuten + 80 Minuten Bonusmaterial
Extras: Interviews, Bildergalerie, Zwei Poster „Das Casanova-Projekt“
Anbieter: Absolut Medien und Zweitausendeins


Man lernt ja nie aus. Und so muss ich meine Ergüsse über den deutschen Humor ergänzen um eine Perle deutscher Komik, die sich hauptsächlich im Untergrund entwickelte, (fast nur) in den 70ern in Programmkinos lief und jetzt aber auf DVD allen zugänglich ist: das filmische Werk von Arnold Hau. Das aus der Pardon-Redaktion stammt, von den Machern des ins Magazin inkorporierten Beilegers „Welt im Spiegel“, nämlich Robert Gernhardt und F.K. Waechter (in Frühzeiten noch ergänzt um Fritz Weigle alias F.W. Bernstein). Diese schlossen sich mit den Hamburgern Arend Agthe und Bernd Eilert (der bis heute als Ghostwriter für Otto fungiert) zusammen, um ein kleines, aber bemerkenswertes Kurzfilmportfolio, ja, sogar einen Langfilm zu erschaffen. Ein Œuvre, das lange Zeit vergessen war, nur unter ein paar alten Neue-Frankfurter-Schule-Afficionados kursierte; das beispielsweise von Peter Köhler, der sich als Nonsens-Experte (etwa als Autor im neuen Pardon-Magazin) zu etablieren versucht, in seiner 1989er-Dissertation über den Unsinn der „Welt im Spiegel“ gar nicht erwähnt wird.

Es ist dies jedenfalls eine Entdeckung, gar eine Erleuchtung: Arnold Hau, der Universalgelehrte, der zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat mit der von Bernstein/Gernhardt/Waechter herausgegebenen „Wahrheit über Arnold Hau“ (1966, in einem Neue-Frankfurter-Schule-Sammelband „Die Drei“ heute bei Zweitausendeins erhältlich), Dichter, Zeichner, Denker, Städteplaner, Polemiker, Zoologe, Mathematiker, Psychologe etc. Ein großer Philosoph des 20. Jahrhunderts, der sich immer von der einen Frage leiten ließ: Was ist der Mensch?
Natürlich ist er komplett erfunden, das Buch eine Kompilation von Cartoons, Stories, Gedichten, die teilweise schon in Pardon eingesetzt waren, eine große Nonsens-Persiflage geisteswissenschaftlicher Anthologien, in der pflichtbewusst auch insbesondere Herrn Kraneel gedankt wird, „der mit seiner Weigerung, auch nur das Geringste zum Zustandekommen des Werks beizutragen, die Edition wesentlich beschleunigte.“

„Was ist der Mensch?“ Diese Leitfrage, die so wunderbar allgemein ist, dass sie alles umfasst, und dabei so tiefsinnig anthropologisch, so sehr geeignet, das Lebenswerk eines (beliebigen) Wissenschaftlers zusammenzufassen, unterliegt auch dem Filmschaffen der 1970 gegründeten Produktionsfirma Arnold Hau Film mit ihren Gesellschaftern Waechter und Gernhardt und Agthe und Eilert – von denen heute nur noch die beiden Letzten überlebenderweise übrig sind.

Da ist etwa der letzte Arnold-Hau-Film, der einzige abendfüllende, „Das Casanova-Projekt“ mit dem Motto „Wie man leben könnte, wenn man leben würde, oder was…“: Ein Regisseur will sein Herzensprojekt vollenden, eine Casanova-Filmbiographie, doch er ist einerseits ein Muttersöhnchen, gerät andererseits an einen Hauptdarsteller, der von Alfred Edel gespielt wird, welcher sein Leben, sein Menschsein, über alles stellt. Dieser Film passte in seiner medialen Spiegelung einer medialen Spiegelung von Existenz auch wunderbar in unsere leider schon gedruckte Screenshot-Printausgabe mit dem Schwerpunktthema Film im Film – hätt’ ich ihn damals schon gekannt…

Alfred Edel jedenfalls ist ohnehin ein Kapitel für sich in der Filmgeschichte, ein großer Franke, der größte vielleicht, ein Selbstdarsteller von Gottes Gnaden, der bei Kluge und Herzog unvergessliche Auftritte hinlegte als vollkommen lebensechte Karikatur; einer, der natürlich in Schlingensiefs Wahnsinnigenbrigade nicht fehlen darf. Der ganz exorbitant barock seine Auftritte hinlegt wie ein hemmungsloser Derwisch, in denen sich der Dilettantismus vom Amateurtheater verbindet mit dem Ausdruckswillen eines toupierten Gockels und dem Charisma eines Sektenpredigers auf Ecstasy.

Edel spielt im Langfilm den Casanova, in der dreißigminütigen „Hau Schau“, die damals, 1974, tatsächlich um 20.15 Uhr im ZDF gesendet wurde (um nie wiederholt zu werden) tritt er gar als Hau selbst auf. Es ist diese „Hau Schau“ eine Kompilation von komischen Kurzfilmen, verbunden durch die Moderation des (angeblichen) Filmemachers selbst, der auch immer sehr stolz ist auf seine Werke. Da erklärt er dann filmische Mittel wie den Zoom (in „Wie Harald Worch nur ein stümperhaftes Hosianna zu Stande brachte“), und in einem filmischen Rätsel löst er auf, wie viele Menschen in einem leeren Hinterhof Platz haben, nämlich 31 Stück hinter der Kamera, wie das aus dem dritten Stock gefilmte Making of enthüllt. Ein Film, der „seit 30 Jahren von seiner Überflüssigkeit nichts eingebüßt hat“, wie es Otto Waalkes im DVD-Bonusmaterial (in Zusammenhang mit dem „Casanova-Projekt“) formuliert.

Vor allem enthüllt die Hau-Schau eines der Grundprinzipien, wie die Komik der Arnold-Hau-Gruppe funktioniert: „Ich finde es immer wieder reizvoll, das scheinbar Disparate, Antagonistische zu harmonisieren. Das ist letztlich die Basis unserer abendländischen Kultur: Triebverzicht“, bekennt Hau / Edel selbst. Und hat Recht damit. Immer wieder scheinen da vor allem die zeitlichen Divergenzen auf, auf denen die Filmchen gründen. Wenn mit pathetisch-dramatisch-schwülstigem Kommentar im Stil der Kulturfilme der 40er und 50er Jahre „Island – Insel des Feuers“ gezeigt wird, angeblich von Hau 1956 gedreht, eine brodelnde Lavawüste, die sich, als die Kamera zurückzieht (schon wieder der Zoom!) als Suppe entpuppt, in die einer mit einem Strohhalm reinbläst, der dann zusammen mit dem Sprecher peinlich berührt unauffällig aus dem Bild zu verschwinden versucht; oder wenn demonstriert wird, wie eine Bibelverfilmung scheitern muss, wenn man wie Hau nur 250 Mark zur Verfügung hat, der es aber immerhin schon 1948 versuchte, Jahre vor den großen amerikanischen Historienschinken -- dann verquicken sich die Stile, dann wird das Althergebrachte, welches parodiert wird, plötzlich zum Zukunftsweisenden, wie es in der deutschen Humor- und Comedyszene erst viele, viele Jahre später Gang und Gäbe werden wird. Bei Schmidt, RTL Samstag Nacht, Raab etc.

Mit am perfektesten funktioniert diese Verschmelzungstaktik im Hau-Schau-Beitrag „Zwei Zaren“, der „meinem Schüler Ernst Lubitsch gewidmet ist“ (obwohl er nix mit Lubitsch zu tun hat). Über den streiten die Gelehrten im Bonusmaterial. TV-Mann und Professor Bernhard Gleim etwa sieht darin vor allem, „wie ein durch Literatur geprägter bildungsbürgerlicher, teilweise kirchlicher Hintergrund eine Rolle spielt“, der die Story durch seinen Erzählkommentar erhöht, „als ob es eine Anekdote von Kleist sei.“ Während Humorphilosoph Manfred Geier den sprachlichen Stil Thomas Manns ausmacht. Die zwei titelgebenden Zaren jedenfalls sitzen einem ganz abgrundtiefen Kalauer auf, um dann in ihrer Verwirrung in billigen (und noch dazu etwas dilettantisch gedrehten) Drehtürslapstick zu verfallen – die ganz moderne Nonsenskomik stürzt ein über die von der Weltgeschichte überrollten Ex-Herrscher im Jahr 1929.

Ähnlich im 30er-Jahre-Abenteuerspektakel „Milchkännchen und Fischstäbchen in der Antarktis“, ein von der Hau-Schau unabhängiger Kurzfilm, in dem sich nicht nur die Südpolforscher, gespielt von – wer hätts gedacht – Milchkännchen und Fischstäbchen, im ewigen Eis verirren („Nurr noch derrr rreine Lebenswille trrreibt uns vorrrwärrts“), sondern in dem auch böse Feinde in Form von Blechspielzeug, nämlich Professor Bienlein auf seinem Spielzeugmotorrad, und schließlich gar das eigene Über-Ich sie bedrohen. Alles gedreht mit Bettlaken und Popcornschnee auf dem Küchentisch, und dabei stilsicher überhöht durch die untergelegte Gustav-Mahler-Symphonie.

Im Übrigen wird auch gerne dokumentarisches Material zweckentfremdet, Waldbilder etwa in „Der Bayrische Wald mit den Augen eines Arschfickers gesehen“. Oder aus Zeitungsbildern von u.a. Jimmy Carter und Papst Wojtyla wird eine hardboiled Krimigeschichte destilliert, in der der Papst als „Der Schnüffler“ auf der olfaktorischen Jagd nach einem Mikrofilm in große Gefahr gerät. Und dann ist da noch „Jetzt bist du dran, Feilchen“, in der eine Menge Penner aufgrund einer albernen Wette einen der Ihren ausstaffieren, um ihn die Hand des Bundespräsidenten Walter Scheel persönlich schütteln zu sehen. F.K. Waechter spielt die Hauptrolle, und Scheel selbst tritt auch auf – er beglückwünscht den echten Waechter nämlich im dokumentarisch gedrehten Teil zu seinem Jugendbuchpreis, was dann aber umgemünzt wird auf den angeblichen Penner Feilchen und seine Kollegen von der Straße, eine rückwärtige Neukonstruktion also eines echten Ereignisses durch eine erfundene Prämisse; ein Film, der wiederum und allerdings im Stil eines sozialkritischen Neorealismusdramas beginnt, was die Komik noch erhöht.

Arnold Hau: das ist „in den Medien und mit den Medien arbeitende Kritik, die sich über sich selbst unglaublich lustig macht und in den Feinheiten äußerst raffiniert gestrickt war“, wie Manfred Geier in den Interviews auf der Bonus-DVD zusammenfasst (während Hellmuth Karaseks Einlassungen für sich schon wieder ein eigenes Arnold Hau-Stück sein könnten in ihrer maßlosen und völlig unbedarft öffentlich herausgestellten Ahnungslosigkeit im Gewand hochprofessorialen Geschwätzes). Die Filme sind fleischgewordenes Platon-Wort, das als Motto dem „Wahrheit über Arnold Hau“-Buches vorgestellt ist: „Daher wird unter allen Tieren der Mensch allein Mensch genannt, weil er zusammenschaut, was er gesehen hat.“ Was Geier ergänzt um die Beobachtung, dass auch „Hau“ und „Schau“ im „Zusammenschauen“ steckt; und was die in den Hau-Filmen demonstrierte Zusammenführung von Disparatem philosophisch umschreibt; und was sich auch noch auf die große Hau-Frage, was denn nun der Mensch sei, bezieht.

Eine Frage, die auch, wie könnte es anders sein, Peter Alexander umtreibt, dessen Schlager „Hier ist ein Mensch“ kongenial und ganz präzise von Arnold Hau verfilmt wurde. Ein Filmchen von 1972, der vollkommen in der Avantgarde aufgeht, kann es doch getrost als erstes deutsches Musikvideo gelten (lange vor dem ersten „offiziellen“ Musikvideo zu Queen’s „Bohemian Rapsody“ 1975), ganz ohne Abstriche, von der Bildsymbolik, die sich ganz auf die Songbotschaft einlässt, bis zur rhythmischen Filmmontage. Der Text sei hier als eine grundlegende Aussage nicht nur über die Menschheit, auch über den ganz speziellen Charakter Arnold Hau vollständig zitiert:

Kennst du seinen Namen?
Seinen Namen kennst du nicht.
Sieh zu ihm hinüber
Und dann kennst du sein Gesicht.

Refr.: Hier ist ein Mensch
Schick ihn nicht fort.
Gib ihm die Hand
Schenk ihm ein Wort.
Hier ist ein Mensch,
Der will zu dir,
Du hast ein Haus (du hast ein Haus):
Öffne die Tür!
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Hier ist ein Mensch, ein Mensch der will zu dir.

Kennst du seinen Sorgen?
Weißt du wirklich, was ihn quält?
Schenke ihm Vertrauen
Weil er dann es dir erzählt.

Refr.: Hier ist ein Mensch
Der ist allein.
Du bist es nicht.
Ruf ihn herein.
Hier ist ein Mensch,
Der will zu dir,
Du hast ein Haus (du hast ein Haus):
Öffne die Tür!
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Hier ist ein Mensch, ein Mensch der will zu dir.

Du willst das nicht hören.
Wer sich plagt, sagst du, gewinnt.
Doch du müsstest wissen:
Auch das Glück ist manchmal blind.

Refr.: Hier ist ein Mensch
Der wird nicht gehn
Wenn du versuchst
Ihn zu verstehn.
Hier ist ein Mensch
Der will zu dir.
Du hast ein Haus (du hast ein Haus):
Öffne die Tür.
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Hier ist ein Mensch, ein Mensch der will zu dir.
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Öffne die Tür (hier ist ein Mensch),
Hier ist ein Mensch, ein Mensch der will zu dir. (fade out)



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