Penetration des Zuschauerraums - Sacha Baron Cohen als "Brüno"
von Christophe Braun
USA 2009. Regie: Larry Charles. Buch: Sacha Baron Cohen, Anthony Hines, Dan Mazer, Jeff Schaffer. Kamera: Anthony Hardwick, Wolfgang Held. Musik: Erran Baron Cohen. Produzenten: Sacha Baron Cohen, Jay Roach, Dan Mazer, Monica Levinson.
Darsteller: Sacha Baron Cohen, Gustaf Hammarsten u.a.
Verleih: Universal.
Starttermin: 9. Juli 2009.
Länge: 85 Minuten
Brüno, ein unfassbar tuntiger Modejournalist aus Österreich, geht nach Amerika, um dort berühmt zu werden – mindestens so berühmt wie der größte schwule Filmstar des Planeten, Arnold Schwarzenegger. Wie, das ist zweitrangig: So versucht Brüno sich als Schauspieler und Moderator; er adoptiert ein afrikanisches Baby (weil Madonna das ja auch getan hat...) und spielt sogar ernsthaft mit dem Gedanken, hetero zu werden... So lässt sich die Handlung von „Brüno“, Larry Charles' drittem Film, kurz andeuten. Zum zweiten Mal nach „Borat“ arbeitet Charles mit dem britischen Komiker Sacha Baron Cohen zusammen. Die Figur „Brüno“ ist aus Baron Cohens Fernseharbeiten hinlänglich bekannt.
In „Borat“ (2006) provozierte Baron Cohen seine Gegenüber so lange, bis das Absurde ihrer Welt- und Selbstsicht zum Vorschein kam. Viele Gesprächspartner sahen dem schrägen Kasachen seine mittelalterlichen Vorurteile freundlich nach – oder teilten sie gleich selbst. Die überzeichnete Kunstfigur des kasachischen Reporters diente sozusagen als Brückenkopf in die Welt des ganz normalen Alltagsrassismus, -sexismus, -chauvinismus, etc. Seine Gesprächspartner wiegten sich in Sicherheit: Erstens, weil Borat häufig viel extremere Positionen zu vertreten schien als sie selbst. Und zweitens, weil er nicht besonders intelligent wirkte. In diesem Umfeld ließen sie sich zu den Äußerungen hinreißen, auf die es Larry Charles und Sacha Baron Cohen abgesehen hatten. „Borat“ verließ sich größtenteils auf das Konzept der Konfrontation mit ahnungslosen Dritten. Die Handlung war zweitrangig.
In seinem zweiten Film „Religulous“ (2008) hat Charles das Konzept der Konfrontation perfektioniert – diesmal nicht mit Baron Cohen, sondern mit dem amerikanischen Komiker Bill Maher. In „Religulous“ bereist Maher verschiedene Länder und interviewt Gläubige praktisch aller großen Religionen. Im Gegensatz zu Baron Cohens Kunstfiguren braucht Maher aber keine Maskerade, um seine Gegenüber auflaufen zu lassen – sie scheitern an seiner Schlagfertigkeit und seinem Witz. Einen amerikanischen Senator, der die Evolution bestreitet, befragt Maher so gründlich, bis dieser endlich einräumt, man müsse ja keinen Intelligenztest bestehen, um Senator zu werden.
Das sind die Momente, auf die Charles es abgesehen hat – für einen kurzen Augenblick wird die Fassade brüchig. Wenn Charles' Filme eines gemeinsam haben, dann ist es ihr desillusionierender Blick auf die Welt.
„Brüno“ ist in mancher Hinsicht anders als seine Vorgänger: So nimmt der Anteil der richtigen Spielszenen gegenüber den realsatirischen Szenen deutlich zu. „Brüno“ hat eine Handlung, die mehr sein will als Gerüst. Am Anfang wird der tuntige Modejournalist in verschiedenen Szenen eingeführt; unter anderem einer, die ihn beim Sex mit seinem Freund zeigt. Brüno führt seinem Freund eine Sektflasche anal ein; er penetriert ihn mit einer bizarren Maschine, die aus einem Ergometer und einem Dildo zusammengesetzt ist. Und so weiter. Diese Szene wirkt, gleich zu Beginn des Films, sehr drastisch – aber es ist eine Spielszene. Wer wird hier provoziert? Wessen Welt- und Selbstbild wird hier gerade einer Prüfung unterzogen? Wessen Toleranz wird bis an die Grenzen dessen, was er ertragen kann, getestet?
Die des Zuschauers, natürlich. Und das ist der große Unterschied zu Charles' vorigen Filmen: In „Brüno“ wird die Methode der Provokation weiter auf die Spitze getrieben; aber statt dass die Konflikte auf der Leinwand stattfinden, entwickeln sie sich diesmal – wenigstens teilweise – zwischen Leinwand und Zuschauerraum. Aus der horizontalen Konfrontation ist eine vertikale geworden.
Dieser Schritt ist nur konsequent. Es ist die notwendige Weiterentwicklung einer Methode, die das Unangenehme, Unkorrekte, Unausgesprochene zum Vorschein bringen möchte. Wenn Charles' Filme einen aufklärerischen Impetus haben, dann ist dieser negativ: Sie wollen uns das Hässliche in uns selbst vorführen. Sie sind zutiefst sarkastisch - Lichtblicke ausgeschlossen.
Aber Charles und Baron Cohen blieb gar nichts anderes übrig, als die Konfrontation in die Vertikale zu verlegen – denn die Dreharbeiten zu „Brüno“ waren durch die Popularität Baron Cohens deutlich eingeschränkt. Viele Szenen mussten abgebrochen werden, nachdem der Komiker erkannt worden war. Die Möglichkeiten der Realsatire waren also, im Vergleich zu „Borat“, deutlich beschnitten. Man merkt dem Film dieses Problem an.
Ein weiterer Kritikpunkt, wenigstens aus europäischer Sicht, liegt in der Figur des tuntigen Journalisten: Klar, Brüno ist die fleischgewordene Klischeeschwuchtel; klar, er ist das Abziehbild eines jeden homophoben Vorurteils. Bloß, wenigstens hierzulande ist Homosexualität vielleicht nicht mehr ein ganz so heißes Eisen. Im Gegensatz zu Borat, diesem frauen-, schwarzen- und judenhassenden Chauvinisten, ist Brüno ziemlich zahm, und die zentrale Problematik des Films ist heute auch nicht mehr wirklich kontrovers.
Ärgerlich ist, dass – im Gegensatz zu „Borat“ oder „Religulous“ – nur wenige richtig kontroverse Themen angerissen werden. Der Film leistet sich eine Menge überflüssiger Spielszenen, deren ganzer Sinn darin zu liegen scheint, die wenigen brillanten Szenen hervorzuheben: Etwa, wenn Brüno Babys für Fotoshootings castet und deren begeisterte Eltern fragt, ob ihre Babys mit brennendem Phosphor umgehen oder Naziuniformen tragen können – das ist perfekte Satire, nur leider gibt es in dem Film viel zu wenig davon.
„Brüno“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: An manchen Stellen schießt er deutlich übers Ziel hinaus, an anderen bleibt er weit hinter den Erwartungen zurück. Charles' und Baron Cohens Methode mag noch funktionieren, aber für ihre nächste Arbeit werden sie dringend ein paar frische Ideen brauchen.