Theodoros Angelopoulos


Warum „Arthaus Premium“, wenn man „Arthaus Collection“ haben kann?

von Renate Kochenrath

Keine sechs Monate nach dem Erscheinen der Einzel-DVD „Die Ewigkeit und ein Tag – Arthaus Collection“ kommt die Premium Doppel-DVD in den Handel. Es drängt sich die Frage auf: Warum? Auf den ersten Blick sind kaum Unterschiede zu erkennen. Beide Versionen beinhalten natürlich Theodoros Angelopoulos’ letzten Film des alten Jahrtausends „Mia aioniotita kai mia mera“ (1998), auf beiden befindet sich Giorgis Fotopoulos’ einfühlsame und doch sachliche Dokumentation „Das Drehen der Stille“ (1998), beide verfügen über ein ansprechendes Booklet mit Informationen zum Film, zum Gesamtwerk von Angelopoulos und zu diesem selbst. Ein bisschen fein geschliffen wurde das Booklet, der Text hier und da ergänzt, umformuliert und in übersichtliche Unterkapitel aufgeteilt, durch zusätzliche Bilder der ursprüngliche Umfang von 14 auf 16 Seiten erhöht und der Name des Autors - Marek Bringezu – hinzugefügt. Die einzige Neuerung auf der DVD ist die zusätzliche Dokumentation „Begegnung mit Theo Angelopoulos“, ein 82-minütiges Interview, das Christiane Habich knapp zehn Jahre nach der Produktion des Hauptfilms mit Angelopoulos in Berlin führte. Aber ist diese Erweiterung alleine die Ausgabe wert? Immerhin kostet die Premium Edition je nach Anbieter das Doppelte der Arthaus Collection-Edition.

In Habichs Interview erzählt Angelopoulos in einem stilvoll eingerichteten Wohnraum sitzend von seinen filmischen Einflüssen, seiner in vielen Filmen gleich bleibenden Crew, seinen Schauspielern und von seiner Motivation für und seinen Erlebnissen bei den Dreharbeiten zu „Die Ewigkeit und ein Tag“. An einigen Stellen werden Szenen, die Angelopoulos aus anderen und aus seinen Filmen beschreibt, eingeblendet. An anderen bebildern Filmplakate das Gesagte. Manchmal scheint jedoch kein Bildmaterial zugänglich gewesen zu sein, weswegen der Illustrierung ein durchgängiges Konzept fehlt. Oder wurde vielleicht tatsächlich davon ausgegangen, dass der Zuschauer den polnischen Regisseur Andrzej Wajda kennt, Andrei Tarkovsky ihm jedoch durch eine Fotografie näher gebracht werden muss? Und sind Filmplakate nach Meinung der Macher das adäquate Bildmaterial, wenn es um die atemberaubenden Plansequenzen eines Orson Welles geht?

Das Interview ist ein Monolog in französischer Sprache. Angelopoulos erzählt, ohne einen Gesprächspartner vor der Kamera zu haben. Das neben ihm stehende Glas Rotwein, dessen Inhalt sich während des gesamten Gespräches nicht verändert, wirkt stilisiert. Schritte und Stimmen aus einem angrenzenden Raum, die in unregelmäßigen Abständen zu hören sind, bringen Unruhe auf der Tonebene, das Mikrofon und die Spiegelung des Kameramannes hinter Angelopoulos, die ab und zu sichtbar sind, stören auf der visuellen Ebene. Und doch: Das Interview ist lebendig und fesselnd. Angelopoulos ist der geborene Erzähler! Er gestikuliert, lacht, wird schwermütig, lässt den Zuschauer an seinen Erlebnissen teilhaben und deckt Geheimnisse der Dreharbeiten zu „Die Ewigkeit und ein Tag“ auf. Was er erzählt, ist oft nicht neu, doch ist es der Zugang für ein deutschsprachiges Publikum in einem so enormen Umfang, der das Unterfangen rechtfertigt.

Zwar fällt es positiv auf, dass sowohl in der deutschen als auch in der sonstigen Forschungsliteratur in fast jedem Buch zu Angelopoulos ein Interview mit ihm abgedruckt ist. Bereits in Walter Ruggles „Theo Angelopoulos. Filmische Landschaften“ stellt sich Angelopoulos 1989 den Fragen des Autors. In den von Giorgis Fotopoulos herausgegebenen Filmnovellen „Der schwebende Schritt des Storches“ von 1991 und „Die Ewigkeit und ein Tag“ von 2001 sind Gespräche der beiden Filmemacher abgedruckt. Auch der Hanser-Band von 1992 beinhaltet ein Interview mit dem Regisseur. Doch von den genannten Büchern ist leider gerade mal eins noch im Handel erhältlich. Alle anderen sind vergriffen und wurden seit Jahren nicht mehr neu aufgelegt.

Der Umgang mit dem Werk des Regisseurs und mit Arbeiten zu seinen Filmen ist in Deutschland leider zu häufig recht lieblos. Nicht zuletzt die beiden vom Schüren Verlag herausgegebenen Bücher „Zeit, Geschichte und Gedächtnis. Theo Angelopoulos im Gespräch mit der Theologie“ von 2003 und „Jenseits von Mythos und Melancholie“ von 2008 weisen unter anderem schon bei der Umschlaggestaltung gravierende inhaltliche Fehler auf. Ein Filmbild Harvey Keitels aus „Der Blick des Odysseus“ wird zum Beispiel als „Marcello Mastroianni in Der Bienenzüchter“ ausgegeben. Zudem ist es traurig und erstaunlich zugleich, dass „Die Ewigkeit und ein Tag“ der erste Film des griechischen Regisseurs ist, der in Deutschland überhaupt auf DVD vertrieben wird. Die japanische DVD-Industrie könnte mit ihren vier DVD Boxen, in denen alle elf Langspielfilme bis „Die Ewigkeit und ein Tag“ enthalten sind, der deutschen Industrie als Vorbild dienen.

In dem beschriebenen Chaos, in dem es bisher oft am meisten Sinn machte, sich direkt den englischen Untersuchungen Andrew Hortons zu widmen bzw. den meisterlich von Dan Fainaru zusammengestellten englischen Interviewband „Theo Angelopoulos. Interviews“ von 2001 zu lesen, bringt das Interview von Habich Licht ins Dunkle.

Gerade mit dem letzten erwähnten Sekundärwerk gibt es viele Überschneidungen, aber schließlich sind es Angelopoulos’ Lieblingsgeschichten, die er wieder zum Besten gibt. Und wie viel mehr Freude macht es, ihm diesmal beim Erzählen zusehen zu dürfen! Nie ist man sicher, wo seine Phantasie mit ihm durchgeht, wo er schauspielert (schließlich liegen hier die Anfänge seiner Karriere) oder wo er einfach zur eigenen Unterhaltung lügt. Er erzählt nicht Geschichte, er erzählt Geschichten, die gleichen Geschichten in Variation. Abenteuergeschichten, Geschichten über Freundschaften, über Künstler und Politiker, über Zensur unter dem Obristen-Regime und Angst vor Verhaftungen, über das Individuum und seine Gesellschaft, über die Gesellschaft und ihre Individuen. Er erzählt von der zärtlichen Beziehung, die Giorgos Arvantis zu der Kamera zu haben scheint und durch die der für Angelopoulos so entscheidende Rhythmus der Einstellungen entsteht. Er berichtet von den Dreharbeiten zur letzten Sequenz von „Der Blick des Odysseus“, lächelt verschmilzt, wenn er erzählt, wie er Harvey Keitel soweit gereizt hat, bis dieser ihm „Fuck you!“ ins Gesicht schrie. Er unterstreicht die Unterschiede im Umgang mit Schauspielern aus verschiedenen Schulen, zwischen Keitel, der aus dem Actor’s Studio kommt, Erland Josephson (ebenfalls „Der Blick des Odysseus“, der eine klassische Ausbildung hat, und Marcello Mastroianni, der bei den Dreharbeiten zu „Der Bienenzüchter“ nicht mal das Drehbuch gelesen hatte, weil er nach eigenen Aussagen wie ein Kind den Inhalt der jeweiligen Szene als Geschichte von Angelopoulos erzählt bekommen wollte.


Es wäre angemessen gewesen, wenn sich die Dokumentation die Zeit genommen hätte, mindestens eine der angesprochenen Plansequenzen des Regisseurs in ihrer vollen, beeindruckenden Länge zu zeigen. Durch die verwendete Illustrierung scheint es, als ständen die Poster, die Fotografien und die Filmausschnitte lediglich als Stellvertreter für etwas, was sich der Film nicht zu zeigen traut. Eine Verdichtung und damit Verknappung des Inhalts, die dafür den so außergewöhnlichen Sequenzen des Auteurs den notwendigen Platz eingeräumt hätte, wäre wünschenswert gewesen. Schließlich muss davon ausgegangen werden, dass die Filme von Angelopoulos, vor allem die frühen, epischen Werke wie „Die Wanderschauspieler“ (1975), dem Publikum weder vertraut noch zugänglich sind. Dass mehr als fünf Filmausschnitte jedoch aus „Die Ewigkeit und ein Tag“ gezeigt werden, ergibt nur Sinn, wenn das von der Kinowelt Home Entertainment GmbH produzierte Interview auch unabhängig vom Hauptfilm vertrieben würde. In diesem Rahmen, als Beigabe zum Hauptfilm, nehmen die Ausschnitte jedoch wertvolle Zeit in Anspruch. Neben der Darbietung von Angelopoulos sind die von Giorgis Fotopoulos zur Verfügung gestellten Szenen von den Dreharbeiten am Beeindruckendsten, wobei es hier an einigen Stellen zu Überschneidungen mit seiner eigenen Dokumentation „Das Drehen der Stille“ kommt.

Es bleibt die Frage offen, warum die Premium-DVD nicht durch weiteres Material ergänzt wurde. Eleni Karaindrou, Angelopoulos’ Komponistin in allen Filmen seit „Reise nach Kythera“ (1984), wurde für „Die Ewigkeit und ein Tag“ zum ersten Mal für ihre bemerkenswerten musikalischen Leistungen zum Werk des griechischen Regisseurs mit einem Filmpreis ausgezeichnet. Von den sieben Preisen, die der Film 1998 beim Internationalen Filmfestival in Thessaloniki erhielt, ging der Greek Competition Award für die beste Musik an Karaindrou. Ist dies nicht zum Beispiel eine Würdigung, die man erwähnen müsste? Wie bei so vielen Arbeiten zu bzw. mit Angelopoulos im deutschsprachigen Raum wird deutlich: Man hätte es besser machen können, sich mehr Mühe geben müssen – aber dennoch ist das Ergebnis unbezahlbar. Es bleibt für die Zukunft die Hoffnung auf mehr.