ZEITEN DES AUFRUHRS / REVOLUTIONARY ROAD


Mr. & Mrs. Wheeler

von Maximilian Miguletz


USA 2008, Regie: Sam Mendes; Buch: Justin Haythe (nach dem Roman von Richard Yates); Kamera: Roger Deakins; Musik: Thomas Newman; Produktion: Bobby Cohen, John Hart, Sam Mendes, Scott Rudin.

Darsteller: Kate Winslet (April Wheeler), Leonardo DiCaprio (Frank Wheeler), Michael Shannon (John Givings), Kathy Bates (Helen Givings), Zoe Kazan (Maureen Grube), Ryan Simpkins (Jennifer Wheeler), Ty Simpkins (Michael Wheeler), David Harbour (Shep Campbell), Jay O. Sanders (Bart Pollack).

Verleih: Paramount
Laufzeit: 119 Minuten
Kinostart Dt.: 15.01.2009


Für das gigantische Subuniversum „PR“ in den journalistischen Weiten ist es vor allem „Titanic 2“, mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder gemeinsam vor der Kamera. Der Film an sich ist etwas anderes. Mit „Zeiten des Aufruhrs“ wurde der Debütroman des lange unterschätzten Autoren Richard Yates verfilmt. Keine Soap-Opera, effektgeladen und melodramatisch wie „Titanic“. Sondern kühl, exakt beobachtend, erschütternd, deprimierend. Fans von Rose und Jack, die schlicht ein Wiedersehen ihres Lieblingsliebespärchens aller Zeiten genießen wollen, wird schneller die Hoffnung auf ein zweites romantisches Abenteuer geraubt als Jack „blubb“ sagen kann. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die 1998 die Kinos belagerten, ja auch zehn Jahre älter und reif für einen ordentlichen Schuss Desillusionierung.

Eine Party. Quer durch den Raum voller Menschen entdecken sich Frank und April. Beide selbstbewusst, attraktiv, abenteuerlustig. Im Hintergrund spielt „The Gypsy“ von The Ink Spots, ein Lied über unerfüllte Wünsche, unzuverlässige Zukunftsaussichten und willentliches Leben einer Lüge. Hallo, du Wink mit dem Zaunpfahl. Der romantische Beginn endet jäh in bitterer Eherealität. Gerade noch tanzen April und Frank zum ersten Mal, betrachten sich mit ehrlichem Interesse und reifer Leidenschaft. Schnitt, und wir sehen Frank Wheelers skeptischen Blick, als beobachte er die eigene Vergangenheit ungläubig als unwirklichen Kinofilm. Tatsächlich sitzt er Jahre später in einer Aufführung der provinziellen Theatergruppe, in der seine Frau inzwischen ihr kreatives Dasein fristet. Ein enttäuschender Abend. Und es wird noch schlimmer. Er ist unsensibel, sie zickig, beide unnachgiebig in ihren subtilen Schuldzuweisungen, es herrscht angespannte Beklommenheit zwischen den Ehepartnern, und auf der Heimfahrt eskaliert der Streit.

Diese unangenehme Ruhe vor dem Sturm, die Beklommenheit und der unkontrollierte Ausbruch von Wahrheiten durchziehen den Film. Ähnlich wie in seinem vielfach gepriesenen Debütfilm „American Beauty“ inszeniert Regisseur Sam Mendes die amerikanische Vorstadt als oberflächliches Paradies, in dessen Innerem Enttäuschung, Zorn, aber auch unterdrückte Leidenschaft schlummern. Noch hoffnungsloser, obwohl es Hoffnung zu geben scheint.



Paris. Das soll die Lösung sein. Aprils Plan ist die Verwirklichung ihrer Lebensträume in Paris. Raus aus der Revolutionary Road, rein ins vie de Bohème. Frank lässt sich von ihrem Enthusiasmus anstecken. Beide blühen auf, scheren sich nicht mehr um die blutleere Anerkennung der Mitmenschen, lachen der Gesellschaft zum Abschied ins Gesicht. Und lieben sich. Hätten sie aber mal lieber sein lassen. April wird schwanger und die Fluchtpläne sind gefährdet.

All das erfährt der Zuschauer aus nächster Nähe. Die Kamera bleibt stets bei Frank und April, unnachgiebig nah und präzise betrachtend. Kein Stirnrunzeln entgeht ihr, kein Wimpernschlag bleibt unerkannt. Selbst wenn man nicht mehr dabei sein möchte, wenn das peinliche, beklemmende Gefühl überhand nimmt, kennt die Kamera kein Erbarmen. Jeden noch so intimen, unangenehmen Moment der Wahrheit für April oder Frank erfahren wir unmittelbar.

Ein unmöglich erfolgreiches Konzept ohne starke Darsteller. Sam Mendes hat sie. Allesamt. Seine Ehefrau Kate Winslet allen voran. Es soll ihr ein Herzensprojekt gewesen sein. Und sie ist umwerfend. Wie auch DiCaprio, der ohne „leading man“-Manierismen wie zuletzt in „Der Mann, der niemals lebte“, sondern uneitel im Dienst einer Darstellung voll authentischer Ambivalenz agiert.

Das enfant terrible des Casts ist Michael Shannon. Als vermeintlich Verrückter steht er für die tragische Ironie einer Gesellschaft, in der die Lüge zur Wahrheit und Wahrheit zum Wahnsinn wird. Nur der Mann aus der Klapse erkennt die Wahrheit und hält daran fest, während alle anderen die Lüge wollen, ertragen oder überhören.

Eine fremde, abnormale Welt aus heutiger Sicht. Ebenso fremd und teils künstlich inszeniert, was der oberflächlichen Idylle und gekünstelten Harmonie filmisch Ausdruck verleiht. Im Kern aber ist dies keine Geschichte über die 50er, sondern über affektierte Manieren, Erwartungsdruck, Konformismus, den Ausbruch daraus und den Wunsch nach Selbstverwirklichung. Universelle Themen, die dem Zuschauer den Spiegel vorhalten. Die Zerbrechlichkeit der eigenen Bequemlichkeit, Kompromisse, Einschränkungen, unerfüllte Träume – klar leben wir nicht mehr so wie in den 50ern, aber sind wir wirklich frei und kreativ und „wundervoll in der Welt“? April Wheelers Plädoyer für Selbstverwirklichung wird den ein oder anderen Zuschauer womöglich tiefer treffen, als er es für möglich hält.