DER SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON
A Clockwork Reverse
von Sarah Böhmer
USA 2008, R: David Fincher, B: Eric Roth, K: Claudio Miranda, M: Alexandre Desplat, P: Ceán Chaffin, Kathleen Kennedy, Frank Marshall
D: Brad Pitt (Benjamin Button), Cate Blanchett (Daisy), Julia Ormond (Caroline), Tilda Swinton (Elizabeth Abbott), Taraji P. Henson (Queenie), Jason Flemyng (Thomas Button), Elle Fanning (Daisy – Age 7)
Länge: 166 Minuten.
Verleih: Warner Bros. Pictures
Kinostart: 29.01.2009
Wer verspürt nicht dann und wann den Drang, den Naturgesetzen zu trotzen und dem täglich fester packenden Griff des körperlichen Alterns zu entrinnen?
Jeden Tag ein bisschen jünger werden – ist das nicht ein schöner Gedanke? Die jugendliche Kraft am Lebensabend voll auskosten, ohne dass einem erst das Schwinden der körperlichen Stärke die unwiederbringliche Jugend schätzen lehrt. Konsequent zu Ende gedacht, würden wir die Welt dann nicht mit der Last eines ganzen Lebens auf den Schultern verlassen, sondern friedlich und sorgenfrei als Säugling in fürsorglichen Armen entschlummern. David Fincher nimmt dieses Gedankenspiel zum Anlass, in seinem neuen Film das ungewöhnliche Leben eines Mannes zu erzählen, dem aus unerklärlichen Gründen die Gabe und Bürde auferlegt wurde, rückwärts zu altern. Angelehnt an die gleichnamige Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald beleuchtet der Film auch die Kehrseite der Medaille eines solchen Lebens, das von Einsamkeit, Unbeständigkeit und Außenseitertum geprägt ist. Doch leider verzichtet Fincher weitestgehend auf einen Diskurs über Andersartigkeit und das Wechselspiel zwischen äußerem und innerem Altern, sodass er sich stattdessen in Trivialität und einer logisch inkonsequent inszenierten Hauptfigur verliert. So schafft er es trotz der wunderbaren Grundidee und den technischen Voraussetzungen nicht, einen außergewöhnlichen Film zu kreieren.
In New Orleans erfährt Caroline (Julia Ormond) am Sterbebett ihrer Mutter Daisy (Cate Blanchett) die wahre Identität ihres Vaters Benjamin Button (Brad Pitt). In langen Rückblenden erzählt dessen Tagebuch die ungewöhnliche Geschichte seines Lebens, das er als vor der Tür eines Altenheims ausgesetzter Greis begann und als Säugling in den Armen seiner großen Liebe vollendete. Von glücklicher Kindheit inmitten gutmütiger, alter Menschen bis an sein von Altersdemenz überschattetes Lebensende erstreckt sich die Jahrzehnte lange Liebe Benjamins zu Daisy - Kriegserlebnisse, Reifeprozesse und andere Affären überdauernd, obwohl sie nur in der Lebensmitte für kurze Zeit Erfüllung findet. Eine traurige Geschichte über die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit alles Menschlichen eröffnet sich vor Carolines Augen, während draußen die Vorboten des Hurrikane Katrina toben.
Obwohl sie den roten Faden und das Zentrum von BENJAMIN BUTTON darstellt, nimmt sich der Film erstaunlich wenig Zeit für die eigentliche Darstellung der Liebesgeschichte zwischen Benjamin und Daisy. Langatmig schwelgt das Epos in der Kindheit und Jugend Benjamins, in der Daisy nur am Rande vorkommt, um dann die Love Story kurz in einer abgedroschenen Aneinanderreihung von exemplarischen, zeitraffenden Szenen gemeinsamen Glücks abzuhandeln. Die schöne Idee des umgekehrten Alterns wird als bloße Prämisse für die Unmöglichkeit der Liebe verbraten, und diese Geschichte durch die schlechte Ausarbeitung dann nicht einmal eindrucksvoll oder zumindest herzergreifend erzählt.
Verwirrend und störend ist auch die unsaubere Ausarbeitung von Benjamins Charakter. Das inkonsequente Wechselspiel zwischen seinem äußeren und inneren Entwicklungsprozess macht es der Figur unmöglich, sich in einem ihr eigenen, in sich logischen Universum zu entfalten. Die Auswirkungen seines äußeren Alters auf sein inneres und die genaue Beschaffenheit seiner inneren Entwicklung werden ebenso ausgeblendet wie weite Teile seines Teenageralters, als sich sein Leben dem Ende zuneigt – was zu sehen durchaus interessant gewesen wäre! Damit büßt die Hauptfigur einen Großteil ihrer Faszination ein und man fragt sich, wieso Benjamin überhaupt rückwärts altert, wenn dem ganzen Prozess außerhalb des Make-Ups kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Sogar die visuelle Opulenz und Tricktechnik des Films bleiben unausgegoren. Die dokumentarisch wirkenden Einschübe, die altes Filmmaterial bis hin zur Stummfilm-Optik imitieren, erwecken zwar in ihrer Nostalgie sehr schön eine vergangene Zeit – allerdings laufen die auf diese Weise beiläufig erzählten Handlungsstränge vom blinden Uhrenmacher und dem sieben Mal vom Blitz getroffenen Mann völlig ins Leere. Auch mit der Verjüngung hapert es – Ballerina Blanchett sieht so computeranimiert aus, als sei sie "Beowulf" entsprungen. Einzig das Make-Up ist wirklich grandios und lässt alle Figuren höchst glaubhaft altern. Aber Maske und Darsteller allein reichen bei diesem verheißungsvollen Film nicht aus, um über Handlungsdefizite und logische Lücken hinwegzutrösten.
Die enttäuschende Bilanz ist, dass der Film weder eine berauschende Liebesgeschichte, noch eine interessante Abhandlung über das Altern an sich, losgelöst vom körperlichen Verfall, bietet. Alles, was bleibt, ist die banale Botschaft, dass nichts im Leben Bestand hat – und auch die springt einem unangenehm effekthascherisch in Form der Naturmetapher des Hurrikane Katrina ins Auge. Obwohl der Film durchaus auch Unterhaltungswerte besitzt, bleibt wegen seines unausgeschöpften Potentials nur der bittere Eindruck verfehlter Größe zurück.