Buch über Sergio Leone – Vom Western was Neues

Harald Steinwender: Sergio Leone. Es war einmal in Europa.



„Während sie ihre ikonoklastischen Angriffe auf die Heldenfiguren des klassischen Western betreiben, stilisieren sie ihre Protagonisten zum Inbegriff des Machismo und zu geisterhaften Rächerfiguren“, schreibt Harald Steinwender zu Sergio Leones Filmen. „Dekonstruktion und Mythologisierung, Ironie und Pathos liegen nahe beieinander und gerade diese semiotische Vieldeutigkeit machte es möglich, dem Genre auch neue, äußerst einprägsame Antiheldenfiguren zurückzugeben. Zugleich brachte Leone den Western als reinen Unterhaltungsfilm, als Abfolge von Attraktionen und als Spektakel zu seinen Ursprüngen zurück“ (S. 334), wobei diese Filme „eine im Bewusstsein der Anwesenheit eines außerfilmischen Publikums errichtete Künstliche Welt [erschaffen], die sich auf die Lust am Kino als Überwältigungsapparat und Mittel einer Blickidentifikation mit überlebensgroßen Figuren bezieht“ (S. 308), und zugleich „qualifizieren sich Leones Filme in jeder Hinsicht als Autorenfilme“ mit ein paar zentralen Themen: „das mythische Amerika, die Antihelden, die Männerfreundschaft, die abwesende Familie und die überzogene Gender-Performance.“ (S. 299).

Sehr prägnant definiert Steinwender Sergio Leones Kino – und natürlich kann man es bei einer solchen – wenn auch noch so treffenden, noch so genauen – Beschreibung nicht bewenden lassen. Nicht bei Leone, bei dem das Klippe und Klare nie Teil seiner Filme, seiner filmischen Welten war. Steinwender bietet in seiner Dissertation mehr als präzise Beschreibung, mehr als Analyse, mehr als reine Werkbetrachtung. Steinwenders Buch geht auf den ganzen leoneschen Kosmos ein, dazu gehören Vorbedingungen und Nachwirkungen genauso wie Neben- und Parallelwelten.

Steinwender, Gründungsmitglied und langjähriger Redakteur von Screenshot, bietet in den 400 Seiten seines höchst lesenswerten Leone-Buches nicht nur eingehende Analysen der einzelnen Filme, vom „Koloss von Rhodos“ (1961) bis „Once Upon a Time in America“ (1984), inklusive der Leone-Produktionen „Mein Name ist Nobody“ und „Nobody ist der Größte“. In einzelnen Kapiteln erweitert er dieses Spektrum um themenbezogene Diskussionen, unter anderem über die kongenialen Morricone-Musikscores und über Leones visuellen Stil, über Männlichkeit und Leones Einfluss auf die Filmgeschichte.

Immer wieder fließen die Aspekte der europäischen Sicht auf Amerika ein, auch die italienische Filmgeschichte mit ihren Historienspektakeln, bei denen Leone gelernt hat, immer wieder auch beschreibt Steinwender Leone als Prototyp der Postmoderne, immer wieder sein Verhältnis zum amerikanischen Westerngenre (und dessen Verhältnis zu ihm), und immer wieder kommt Steinwender an den Punkt der Ambivalenz: wie Europa einen Traum hatte von Amerika und zugleich einen Alptraum, woraufhin sich ein imaginäres Amerika-Abbild in den Köpfen festsetzte, gebildet aus Popkultur und politisch-demokratischer Utopie, aus kapitalistischem Menetekel und Verachtung der Unkultur der neuen Welt. Wie die Sandalenfilme der Cinecittà-Studios um Gladiatorenkämpfe und antike Muskelmänner sich einerseits auf die tatsächliche italienische Geschichte der alten Römer beziehen, andererseits bloße billige effektvolle Abziehbilder großangelegter US-Monumentalfilme waren, die auf reinen Publikumsaffekt zielten. Wie Leone seine Filme aus Versatzstücken zusammensetzte, aus Zitaten und Anspielungen, aus Momenten verschiedener Genres, die er kontrastiv und damit wirkungsvoll zusammensetzte, um wiederum eine neue Art von Coolness, von Bildgewalt, von selbstreflexiver Kunst zu erschaffen – irgendwo zwischen Epigonentum und Originalität; und wie sich daraus Wechselbeziehungen über den Atlantik ergaben, wie US-Regisseure ihm nacheiferten oder sich von ihm anregen ließen – um im Gegenzug wieder Leone neue Impulse zu liefern…

Dazu gehört auch die Schwierigkeit der Lesart seiner Filme, die verschiedene Deutungen zulassen – nicht nur, was die Wahrheit des Erzählten selbst angeht, wie in „Once Upon a Time in America“. Sondern auch und vor allem das Problem der Interpretation, der Diskursführung, wenn er extreme Gewalt zeigt oder frauenverachtende Männlichkeit: ist dies Gewaltverherrlichung und Sadismus, ist dies chauvinistischer Machismo? Oder werden hier die Rezeptionshaltungen der Zuschauer, die Standards und Klischees des Filmes, die gesellschaftlichen Diskussionen aufgenommen und überspitzt und gewollt einseitig in Filmform gegossen? Zu Steinwenders Buch über Leones Œuvre gehört immer auch der Rekurs auf den Diskurs, die stete Einbeziehung der Sekundärliteratur mit durchaus verschiedenen und auch widersprüchlichen Positionen – die Steinwender auch nicht ins Eindeutige überführen möchte, denen er ihre Berechtigung belässt, ohne seine eigene Meinung zurückzuhalten.


von Harald Mühlbeyer


Harald Steinwender: Sergio Leone. Es war einmal in Europa. Berlin: Bertz + Fischer 2009. 240 Seiten, viele Abb. Preis: 25 Euro.


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