DVD: „Ashes of Time Redux“ – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
“Ashes of Time Redux” / “Dung che sai duk”
Hongkong 1994/2009. Regie: Wong Kar Wai
Gut 14 Jahre nach dem Kinostart gelang es Wong Kar Wai nach mehreren Jahren Arbeit Kopien seines Films „Ashes of Time“ zusammenzusammeln und aus dem inzwischen teilweise nicht mehr verwertbarem Material eine Redux-Version zu schneiden. Inzwischen befanden sich mehrere Schnittfassungen des Films im Umlauf, als Raubkopien oder unter der Schere asiatischen Verleiher entstanden, die meisten davon vom Regisseur nicht genehmigt. Zwei Jahre später, 2010, feiert Ashes of Time Redux seinen Start im deutschen DVD-Verleih.
„Ashes of Time“ wird leider oft als ein Abtrünniger in Wong Kar Wais Gesamtwerk gesehen, die Tradition des chinesischen wuxia-Genres erfolgslos weiterführend. Wuxia-Romane und Filme verstehen sich als phantastische Herangehensweise an historische oder pseudohistorische Themen, konstruiert um Schwertkämpfer, Schlachten, Soldaten- oder Reiterkämpfe. Die Handlung und die streng darauf basierende Dramaturgie werden dabei immer von Macht und Kraft der Charaktere bestimmt. Wong Kar Wai, großer Fan dieses Genres, erzählt mit „Ashes of Time“ die Vorgeschichte des Bestsellers „Der Adler erschießt Helden“ von Louis Cha, eine Trilogie, die im asiatischen Raum (wie der Regisseur in einem Interview in den Extras der Bonus-DVD erklärt) einen ähnlichen Stellenwert besitzt wie J.R.R. Tolkiens „Lord of The Rings“ in der westlichen Welt.
An diesem Punkt hört die Verbindung des Films zu wuxia auf, denn Wong Kar Wai gestaltet ihn, wie all seine Filme, als Auteur. In einem sehenswerten Interview, ebenfalls auf der Bonus-DVD zu finden, erklärt der Kameramann Christopher Doyle, dass die Filme von Wong Kar Wai in erster Linie nicht dem Drehbuch oder der Handlung, sondern einem Gesamtkonzept unterliegen, was die eines Filmemachers nötige Autorschaft, besonders bei Wong Kar Wai, ausmacht. So sind die dominierenden Konzepte in „Ashes of Time“ nicht (wie von einem wuxia-Film erwartet) Kraft und Macht. Die Zeit, die Gefühle der Charaktere und vor allem das Gedächtnis bestimmen den Verlauf des Films. Und genau in dieser Richtung bringt die Redux-Version Neuerungen: Unter den sieben entfallenen Minuten im Vergleich zur ursprünglichen Version befinden sich hauptsächlich Actionszenen. So der Kampf am Anfang des Films, der vor allem dadurch aussagekräftig wurde, dass er in der neuen Variante durch Landschaftaufnahmen ersetzt wurde, die Atmosphäre der Redux von vornherein auf die Bedeutung des Verlaufs der Zeit beziehend.
Die elliptische, sehr an der Stimmung des Hauptcharakters orientierte Erzählweise wirkt sehr komplex, sollte man ein Actionepos erwarten. Ou-yang Feng (Leslie Cheung) ist ein Auftragskiller im Ruhestand. Obwohl jung, ließ er den Kampf hinter sich und zog sich in die Wüste zurück, um in Einsamkeit und in der Ferne vom Eifer des Kampfes die Ursache seiner inneren Unruhe zu suchen. So vermittelt er aus der von ihm eröffneten Gaststätte aus Auftragsmorde. Die anderen Charaktere, gespielt von in China und Hong Kong sehr bekannten Schauspielern, sind Freunde, Kunden oder Berufsverbündete, die durch ihr Kommen und Gehen dem Film einen episodischen Charakter verleihen und dem Protagonisten nach und nach, durch ihre Einstellungen, Handlungen und Eigenschaften, seine Vergangenheit wieder nah bringen, die natürlich die Ursache seines seelischen Leidens in sich birgt.
Die vorhandenen technischen Ressourcen seinem Filmkonzept unterordnend, lässt Wong Kar Wai Nahaufnahmen oder Totalen der Helden und deren Umgebung abwechselnd in grobkörnigen, klaren, überbelichteten oder unterbelichteten, teils natürlich, teils in der Nachbearbeitung gefärbten Aufnahmen erscheinen. Die Natur und die Jahreszeiten markieren dabei den Verlauf der Zeit. Die Wüste, immer anders, doch immer gleich, erinnert ständig an eine Ewigkeit, die die ganzen Kämpfe und Tode als Zeugin übersteht. Das einzige Pendant zu dieser Ewigkeit ist die Stimmung des Protagonisten, aus der Vergangenheit nach ihm greifend, sich über den Ereignissen seiner Gegenwart wie ein Schleier niedersetzend und diese in Nichtigkeiten verwandelnd.
Die Sehnsucht des Helden gewinnt in „Ashes of Time“ nach und nach Form, zuerst als in den von ihm als Erzähler kommentierten Flashbacks auftauchenden Erinnerung an die Frau seines Bruders, die Frau, die er zurückgelassen hatte, um Kämpfer zu werden. Doch er ist nicht der einzige Erzähler, seine Erinnerungen sind nicht die einzigen, die „Ashes of Time“ erzählt. Alle Charaktere tragen mit ihren Zuständen und Vergangenheiten dazu bei. Und sie machen es stellvertretend, irgendwann wird dem Zuschauer bewusst, dass alle Erinnerungen, Erlebnisse, Szenen nur dazu beitragen, die Vergangenheit des Hauptcharakters zu kristallisieren, bis hin zum Punkt, an dem der Film den Protagonisten aus dieser Vergangenheit heraus zwingt, seine Entscheidungen zu reflektieren, auf sie wieder einzugehen, und sich zu dem zu verändern, was die Romanvorlage voraussetzt.
„Ashes of Time Redux“ ist vielmehr eine Wiederbelebung eines essenziellen Films in Wong Kar Wais Schaffen als das Ergebnis einer Schaffenskrise, wie ihm oft, vor allem im amerikanischen Raum, vorgeworfen wird. Die 2-Disc Special-Edition bietet sämtliche Interviews an, die diesen nötigen Schritt erklären. Der Regisseur selber erläutert die technischen Aspekte hinter der Redux und erzählt über die Restaurationsodyssee eines Films, dessen Dreh selbst ein existenzielles Abenteuer war. Die Schauspieler erzählen in ihren Interviews melancholisch, was Drehen mit Wong Kar Wai vor fast 15 Jahren in China für sie bedeutete, und bringen Hintergrundinformationen zum Arbeitsstil des Regisseurs. Vor allem Christopher Doyle, der seitdem bei allen weiteren Filmen von Wong Kar Wai beteiligt war, ist mit seinen erleuchtenden Kommentaren zur Autorschaft des Regisseurs und des Kameramanns beim Filmemachen Grund genug, und zwar nicht nur für Fans, sich die DVD zu kaufen.
Ciprian David
Regie: Wong Kar Wai. Drehbuch: Wong Kar Wai, Louis Cha. Kamera: Christopher Doyle, Kwan Pung-Leung. Musik: Frankie Chan, Yo-Yo Ma. Produktion: Jeffrey Lau, Tsai Sung-Lin, Jacky Pang Yee Wah, Wong Kar Wai.
Darsteller: Brigitte Lin, Leslie Cheung, Maggie Cheung, Tony Leung Chiu Wai, Jacky Cheung, Tony Leung Ka Fai, Li Bai, Carina Lau, Charlie Yeung
Verleih: Splendid Entertainment
Start: 26.02.2010
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