Screenshot Classic: Rolling DVDs - Zwei Filme mit den Rolling Stones

"Sympathy for the Devil" bzw. “One plus One” von Jean-Luc Godard und “The Stones in the Park”


Im Juni 2003 war ich auf einem Rolling Stones-Konzert. Die Karten hatte ich schon ein halbes Jahr zuvor gekauft, lange bevor feststand, dass als Vorgruppe AC/DC auftreten würde. Der direkte Vergleich der beiden Gruppen machte deutlich, wie viel die Stones verloren hatten, auch wenn natürlich die australischen Drei-Akkord-Rocker das weitaus schlechtere Songmaterial hatten. Während aber Angus Young sehr potent seine Gitarre wichste, spielte Keith Richards recht schlaff und müde dahin – die Rockopas waren in der Performance der mittleren Generation eindeutig unterlegen.
Jetzt, im Jahr 2006, kommen die Stones wieder; obwohl sie von Palmen herunterwedeln oder in Entziehungskuren müssen, was dazu führte, dass einige Deutschlandkonzerte der diesjährigen Tour abgesagt wurden… Pünktlich zur Stones-Tour kommen zwei DVDs auf den Markt, die die Gruppe auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zeigt: Ende der 1960er Jahre, als musikalisch schon fast alles gesagt war, zu einer Zeit, als die Stones in Saft und Kraft standen. Jean-Luc Godard filmte in „One plus One“ die Stones im Studio bei der Erschaffung eines ihrer größten Songs, „Sympathy for the Devil“ – so auch der Titel der Kinofassung des Films. Und „The Stones in the Park“ ist die einstündige Dokumentation eines kostenlosen Konzertes im Hydepark – immerhin 500.000 Zuhörer waren dabei.

Godards Film ist im Grunde zwei Filme, eine Dokumentation über die Stones im Studio und parallel dazu Szenen absurder Performances über Revolution und Gewalt, Black Power und die weiße Popkultur, Demokratie und Kommunismus, Pornografie und Faschismus. Schwarze auf einem Schrottplatz deklamieren radikale Texte und erschießen weiße Frauen in weißen Gewändern; immer wieder werden Toilettenparolen auf Wände und Autos gesprüht: „Cinemarxist“, „Sovietcong“, „Freudemocracy“; und im Pornobuchladen werden Herrenmenschen-Texte verlesen und Hippies geohrfeigt.
Ursprünglich sollte Godard in England einen Film gegen die Abtreibungsgesetze drehen. Als die gelockert waren, forderte Godard, einen Film mit den Beatles oder den Rolling Stones drehen zu dürfen. Das Konzept war nun, die kreative Entstehung von Kunst der Dekonstruktion der westlichen Demokratie gegenüberzustellen – doch im fertigen Film funktioniert dieses Konfrontationsprinzip nicht ganz, die Arbeit der Stones im Studio stößt mit einer thematisch zu komplexen, zu schillernden Welt der Absurdität zusammen.

Die Verbindung ist wohl die Darstellung der Ambivalenz von Revolution und Gewalt einerseits und andererseits die Erschaffung eines bösen, provokant ironischen Liedes über die Verführung durch das Böse; durchaus satirisch ist dabei die über viele Szenen gelegte Lesung eines „politischen Romans“, in dem alle möglichen Personen der Zeitgeschichte in einer Art Pulp-Porn-Thriller auftreten, als Verbindungsbrücken der beiden diskrepanten Paralleluniversen eingesetzt. Die Widersprüche in diesem Film freilich sind sperrig, zumal die intellektuell-radikalen Gedanken ganz der europäischen 68er-Bewegung geschuldet sind und heute fremd und überholt klingen.
Die DVD wartet mit einer erhellende Dokumentation auf. „Voices“ von Richard Mordaunt ist ein Making of „One plus One“, und eine Beleuchtung der Hintergründe, die erklärt, warum der Film so ist, wie er ist. Der Film zeigt den Zusammenhang zwischen Godards im Juni 68 gedrehten Filmessay und dem Aufruhr der Studenten und Arbeiter in Paris einen Monat zuvor – die Revolution lag für einen Moment in der Luft, und Godard war zerrissen zwischen seiner Arbeit in London und seinem Herz, das für die Unruhen in Frankreich schlug. „Voices“ zeigt auch die kreative Ausdruckssuche Godards, der den Film nicht nach einem Drehbuch, sondern nach hinskizzierten Notizen inszenierte, der eine neue innere Stimme sucht, weil er die alte verloren hat, der nun, wie er sagt, weniger an der Moral als an der Politik interessiert sei, weil diese wichtiger ist. Und der Mao zitiert: „Contradiction is not antagonism. Contradiction is a good thing.“ Ohne Widerspruch könne es keinen Fortschritt geben – in seinem Film stellt er These und Antithese gegenüber, ohne dass daraus aber eine wie auch immer geartete Synthese entstünde.

Der Unterschied zwischen „One plus One“, Godards Director’s Cut, und der von Produzent Ian Quarrier verantworteten Kinofassung namens „Sympathy for the Devil“ ist im Grunde nur, dass Quarrier gegen Ende den Ton zu Godards Bildern durch den fertig gemischten Stones-Song ersetzt hat – was zu einem heftigen Streit und schließlich bei einer Aufführung beim Londoner Filmfestival zu einer öffentlichen Ohrfeige durch Godard geführt hat. Offenbar wollte Godard nur das Entstehen des Songs, nicht aber das fertige Produkt zeigen; so wie er es auch vermeidet, kreative Diskussionen der Bandmitglieder zu dokumentieren, er zeigt lediglich die Studioaufnahmen unterschiedlicher Stadien von „Sympathy for the Devil“, von einer einfachen Akkordfolge über Versionen mit Orgel und im Gitarrenbluesstil bis zum schließlichen Bongo-Groove.

Dass damit der Song noch nicht fertig ist, zeigt „The Stones in the Park“: Krönender Abschluss ist natürlich „Sympathy for the Devil“, eine fast reine Percussion-Version, die Voodoo-Zauber mit Karibik-Summer-Feeling verbindet.
Am 5. Juli 1969 gaben die Rolling Stones im Hyde Park ein kostenloses Konzert vor einer halben Million Menschen; der Einstand des neuen Gitarristen Mick Taylor, der den wenige Wochen zuvor aus der Band ausgestiegenen Brian Jones ersetzte. Der Focus des Films liegt deutlich auf Mick Jagger, der mit Frau Marianne Faithful und Sohn Nicholas zum Konzert fährt, der den Ablauf bespricht, der vor dem Konzert wie ein Grundschullehrer um Ruhe ersucht, weil er ein Gedicht verlesen möchte. Und der eine hervorragende Performance auf der Bühne hinlegt, im Gegensatz zu seinen Musikanten, die etwas träge und fast gelangweilt im Hintergrund schrammeln.

Der ganze Film wirkt aus heutiger Sicht seltsam zweischneidig; es war der Sommer 69, der Schwanengesang der Love Generation. Im August würde in Woodstock der absolute Höhepunkt erreicht werden – doch andererseits war zwei Tage vor dem Stones-Konzert im Park der frühere Gitarrist Brian Jones im Swimming Pool gestorben, 5 Wochen nach dem Konzert würde Charles Mansons Kommune ihre Morde beginnen. Und die Hell’s Angels, die beim Hyde Park-Konzert als Ordner angestellt waren, wirken wie ein böses Vorzeichen, waren doch ebenfalls Hell’s Angels an der Katastrophe beim Altamont-Musikfestival beteiligt – doch das ist ein anderer Film…

„The Stones in the Park“ feiert in seiner Ganzheit Love, Peace and Happiness. Die Stones führen Mods und Rocker, Hell’s Angels und Hippies zu einem sehr friedlichen Tag im Park zusammen, die Fans betonen in Interviews die Bodenhaftung der Stones, die immer proletarisch geblieben waren und im Gegensatz zu den Beatles nie von der Queen ausgezeichnet werden würden. Und Mick Jagger erklärt, dass er ohnehin nie verstanden hätte, warum die Zuschauer für ein Konzert bezahlen müssten, schließlich, so rechnet er recht krude vor, würde keiner von der Band nennenswert an den Konzerteinnahmen verdienen.
Meine Rolling Stones-Karte im Jahr 2003 hat übrigens 87 Euro gekostet; heißt: Inzwischen weiß Jagger, wie er an den Konzerten mitverdienen kann.

von Harald Mühlbeyer



Sympathy for the Devil a.k.a. One plus One
GB 1968. Regie, Drehbuch: Jean-Luc Godard. Kamera: Tony Richmond. Musik: The Rolling Stones. Produktion: Michael Pearson, Ian Quarrier.
Mit: The Rolling Stones (Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Bill Wyman, Charlie Watts sowie Nicky Hopkins), Anne Wiazemsky, Frankie Dymon Jr., Ian Quarrier.
Sprache: Englisch, dt. UT
Ton: Dolby Digital 2.0
Extras: Kinoversion und Director’s Cut, Dokumentation „Voices“ von Richard Mordaunt (45 Minuten), Trailer, Bildgalerie, Biographien.
Länge: 100 Minuten
Anbieter: Black Hill / Warner
Erscheinungsdatum: 16.6.2006


The Stones in the Park
GB 1969. Regie und Produktion: Jo Durden-Smith, Leslie Woodhead.
Mit: The Rolling Stones (Mick Jagger, Keith Richards, Mick Taylor, Bill Wyman, Charlie Watts).
Digital Remastered
Ton: PCM Stereo
Sprache: Englisch, dt. UT
Extra: Das digitale Remastering – Vergleich vorher-nachher
Länge: 55 Minuten
Anbieter: Polyband
Erscheinungsdatum: 25.5.2006


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