Hof-Berichterstattung: Altmetall gleich Schrott?

Jetzt habe ich, soweit absehbar (und abgesehen vom "Fantastischen Mr. Fox", den ich ja schon vorab habe genießen können), DEN Film der diesjährigen Hofer Filmtage gesehen.
Mit ihren frühen Alben, vor allem "Metal on Metal" von 1982, war die kanadische Heavy Metal-Band Anvil auf dem Weg nach ganz oben. Vor Metallica, vor Slayer, vor Megadeth spielten sie den härtesten vorstellbaren Rock, Lars Ulrich, Lemmy und Slash sind noch heute voll des Lobes - doch gleich beim Start kam die Bruchlandung, sie hoben nie ab in den Himmel der Erfolgreichen. "Man muss halt am richtigen Ort zur richtigen Zeit sein", meint Lemmy, und Lars Ulrich kann nur vermuten, dass der Outsider-Faktor, das kanadische Element, mitursächlich gewesen sein könnte. Aber genau weiß es keiner zu sagen, auch nicht die Musiker der Band Anvil selbst. Denn die gibt es noch, und hier in Hof lief der filmische Beweis: "Anvil! - The Story of Anvil" von Sacha Gervasi.

Und wie es sie gibt, mit voller Power, voll Enthusiasmus - und völlig unbemerkt von jedem außer einem sehr eingeschränkten Fankreis. Irgendwo um Toronto herum fristen sie ihr Leben, Sänger/Gitarrist Steve "Lips" Cudlow fährt das Schulessen aus, und nur Anvil gibt seinem Leben noch einen Sinn. Also: Der Beinahe-Erfolg vor fast 30 Jahren... Sacha Gervasi verfolgt die Musiker, ist ganz nah dran, und mein Gott: Wie erbärmlich ist das, was er zeigt! Und wie überaus komisch!

Da kommt eine Mail aus Italien, eine Managerin meldet sich, sie könne eine Europa-Tournee organisieren, und sofort sind die Anvil-Musiker auf der Höhe: Das könnte die große Chance sein, auf die sie seit Jahrzehnten hoffen! Beim Festival in Schweden sieht man dann Lips im Backstagebereich herumflitzen wie ein aufgeregtes Kind, da sind all seine Idole (und Kollegen), doch Carmine Appice oder Michael Schenker können sich absolut nicht erinnern, dass sie jemals mit jemandem wie Lips von Anvil zusammen auf Tour waren. Ist ja schon lange her...
Ein Zug ist ausgebucht. Ein anderer wird verpasst. Durch Prag irren sie zwei Stunden lang, weil sie die Straßenschilder nicht lesen können, und werden für ihren Gig im Kellerclub nicht bezahlt. In München wurden keine Plakate aufgehängt, sie spielen vor fünf Hanseln in einer Kneipe. Das Abschlusskonzert in Rumänien findet dann in einer 10.000 Leute fassenden Halle ab, Anvil geben ihr Bestes, die Fans sind begeistert - alle 174 Stück.
Eine Katastrophe.

Sie sind und bleiben ganz unten, und Lips kann sich nur trösten: Schlimmer kann es auf keinen Fall werden, auf keinen Fall. Dann beschließen sie, eine neue Platte aufzunehmen, diesmal nicht so ein schlecht gemischtes, mies produziertes Ding wie ihre letzten neun: Nein, der Produzent von ihren Erfolgsjahren damals soll es richten. Lips große Schwester schießt die vielen tausend Dollar zu, das Album wird das beste, was sie je gemacht haben, meint Lips - und man sieht die Aufnahmen, es ist der gute alte Metal: Das ist halt das Problem, dass diese Musik von vor 30 Jahren keinen mehr vom Hocker haut. Zumindest nicht, wenn man neu anfangen will und die eigene Legende längst vergessen ist...

Sacha Gervasi changiert geschickt zwischen einem tragikomischen Ton, indem er die Bedeutungslosigkeit der Band und das Unvermögen, irgendwas zustande zu bringen, sehr sehr offen und pointiert ausdrückt - und zeigt zugleich die innere Verzweiflung, die Hoffnung, den Optimismus, die Naivität der Bandmitglieder, die auf dem Glatteis des Lebens liegen, nackt und bloß, und die sich nicht aufrappeln können, weil ihnen jeder Griff abhanden gekommen ist.
Natürlich lehnen alle Plattenfirmen das teuer produzierte Album ab.

Der Film zeigt das Scheitern als Dauerzustand, die verzweifelte Hoffnung, das Festhalten an einem Traum, der schon vor Jahrzehnten vorübergezogen ist - und das auf sehr witzige Weise, ohne Anvil irgendwie zu verurteilen - Gervasi selbst ist Anvil-Fan. In der Darstellung der erbärmlichsten Rocker-Existenzen wirkt sein Film "Anvil!" wie eine Real-Form der großen Metal-Persiflage "This is Spinal Tap" (Rob Reiner 1984, als die 15 Minuten Ruhm von Anvil schon vorüber waren). Und ist es ein Zufall: Der Drummer von Anvil und allerbester Freund von Lips heißt - Robb Reiner.

Harald Mühlbeyer