Die Wahrheit liegt irgendwo da unten - "Life Aquatic with Steve Zissou"
von Harald Mühlbeyer
THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU
USA 2004.
R: Wes Anderson. B: Wes Anderson & Noah Baumbach. D: Bill Murray, Owen Wilson, Cate Blanchett, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Anjelica Huston. L: 118 Min.
Am Ende von Wes Andersons THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU wird die von Steve Zissou, dem Ozeanforscher, gedrehte Expeditionsdokumentation auf einem Filmfestival sehr wohlwollend aufgenommen, und das ist natürlich pure Ironie. Denn natürlich referiert Zissous Film im Film auch auf Wes Andersons Film, und das ist eine teure Produktion mit vielen Stars – doch um die Bedürfnisse des Publikums, zumindest um die von den Hollywoodstudios vorausgesetzten, um die Konventionen der Komödie schert sich Andersons Film nicht. Steve Zissou, der auf den Stufen vor dem Festivalkino hockt, ist mit seiner Welt ausgesöhnt, wenn seine Doku nicht ausgebuht wird – zumindest soweit ein Steve Zissou ausgesöhnt sein kann, wenn er von einem stets traurig dreinblickenden Bill Murray gespielt wird; ähnlich wird es Wes Anderson gehen, wenn sein absurder Film nicht den Bach runtergeht, sondern halbwegs Anklang findet – auch er muss schließlich Geldgeber für seinen nächsten Film finden.
Klar: Viele werden seinen Witz, seinen Nonsenshumor nicht begreifen: der kindische deutsche Titel DIE TIEFSEETAUCHER sagt alles. Von Helge Schneider gibt es ein Stück, in dem er von einer Reise mit Kapitän Jacques Cousteau erzählt, es ist eine "Phantasie in Blau". Wes Anderson scheint in seiner bunten Phantasie diese Helge-Geschichte weitererzählt zu haben, in einem Hollywoodfilm.
Steve Zissou ist ganz und gar unten, denn seine Meeresdokumentarfilme kommen nicht mehr an. Das liegt vielleicht daran, dass man die Tragik der Geschichten einfach nicht begreifen kann, wenn Steves Freund von einer neu entdeckten Spezies, dem Jaguarhai, verspeist wird, man diesen Hai aber nie zu Gesicht bekommt: Zissou hatte leider gerade keine Kamera dabei. Immer wieder in den Film eingestreut sind Zissous dilettantisch inszenierten Dokus, die ganz offensichtlich nachgespielte Szenen enthalten. Und immer wieder wird die Echtheit dieser Dokus bezweifelt, das Wahre und das Falsche beschäftigt die Filmfiguren sehr: Das ist eine der Meta-Ironien, die der Film enthält, der durch das Überlagern verschiedener (Ironie-)Schichten unter seiner Oberfläche eine neue Künstlichkeit kreiert, die durch die Hintertür wieder zurückgeführt wird auf die Wahrheit einer höheren Ebene, einer Ebene des Absurden.
Denn natürlich ist alles doppelbödig, mindestens.
Normalerweise freilich ist die Ironie im Subtext versteckt, Wes Anderson verwendet aber die Ironie als den Text der Oberfläche – um sich im Subtext über die Ironie der ersten Ebene lustig zu machen. Das geht schon bei den Dialogen los, die prägnant sind, lakonisch und pointiert, und stets so vorgetragen werden, als würden sie gerade das erste Mal aus dem Drehbuch verlesen. Das Team Zissou besteht aus lauter abgewrackten Figuren, die nichts besseres im Leben zu tun haben – aber sie sind mit größtem Ernst bei der Sache, sie haben früher mal viele hochgelobte Dokumentationen gedreht (diesen alten Zeiten trauern sie nach), und zumindest sie selbst halten sich für Wissenschaftler. Die Figuren sind künstlich erschaffene Chiffren für Irgendetwas, sie sind hingestellt als eindimensionale Funktionen im Sinne der (mehr als rudimentären) Handlung des Films – und gerade durch ihre ausgestellte Künstlichkeit erreichen sie den Mehrwert des skurrilen Nonsens. Bei all ihren Abenteuern lassen diese Figuren Ton und Kamera mitlaufen, immer darauf bedacht, Material für ihren nächsten 'wissenschaftlichen' Film zu drehen – und dabei aber auch nie den Publikumsgeschmack aus den Augen zu verlieren, deshalb darf sich Ned (Owen Wilson) einen Spitznamen für seinen (eventuellen) Vater Steve Zissou aussuchen und als dessen Sidekick auftreten, und deshalb ist Steve Zissou auch ständig auf der Suchen nach Tränendrüsenmotiven und nach Menschlichkeit in seiner Crew, um den emotionalen Gehalt seines Filmes zu erhöhen. Und dabei ist und bleibt jeder Zissou-Film ein komplett dilettantisches Machwerk.
Auch sehr viel subtiler ist die Ironie stets spürbar, wenn auch nur vage beschreibbar: Die Unterwasserwelten mit ihren vielfarbigen Tieren sind sichtbar computeranimiert, und die Zissou-Crew mit den roten Wollmützen und dem Z-Logo auf der Uniform ist komplett lächerlich – die rote Mütze ist eine Anspielung natürlich auf Jacques Cousteau, dem der Film gewidmet ist. Immer wieder spielt ein schwarzes Crewmitglied mit rotem Käppchen Gitarre und singt David-Bowie-Lieder auf portugiesisch. Einmal fährt die Kamera einen Querschnitt von Zissous Schiff, der Bellafonte, ab, und plötzlich ist der ganze Film ein Theaterstück, dessen Inszeniertheit selbst thematisiert wird.
Die Bilder sind stets arrangiert, in krassen Farbspielen wirkt die gesamte Mise en Scène stets so, als müsse sie uns an irgendetwas erinnern, nur wir kommen nicht drauf. Die Figuren sind hingestellt für die Kamera, so als wären sie von Steve Zissou inszeniert – oder als habe nicht Wes Anderson, sondern Max Fischer, der Protagonist aus RUSHMORE (USA 1998), Regie geführt.
Die Zissou-Mannschaft erlebt Seeabenteuer mit mythischen Untertönen, die der Film stets wieder umstößt. Die Suche nach dem großen bösen Jaguarhai, die die Odyssee auslöst, ist Melville und Hemingway, es gibt auf See Piraten und eine Meuterei, die aber dann gar nicht erst erwachsen wird. Der Sturm auf das Piratenhauptquartier ist in seiner Dschungelkampf-Variation eine der ganz großen Sequenzen der Filmgeschichte, zumindest der ironischen Filmklassiker – Team Zissou greift in Froschmann-Anzügen inkl. Schwimmflossen ein Hotel auf einer verwüsteten Südseeinsel an, sie sind wirkliche Marines, die aus dem Meer aufsteigen.
Und natürlich ist auf einer wichtigen Ebene der Film ein Kommentar auf das Gleichgewicht von Hollywood- und Independentfilmen, Zissou ist auf der ständigen Suche nach Geld, er muss versuchen, sein Publikum zu erreichen, ohne von seiner Vision zu lassen, und er muss einen Versicherungsspitzel erdulden, der über das Budget der zum Scheitern verurteilten Expedition wacht – das alles in einer teuren, von einer Disney-Tochter finanzierten unabhängigen Hollywoodproduktion.
Wes Andersons LIFE AQUATIC gelingt es, eine durch und durch absurde Geschichte hoch albern zu inszenieren und dabei ihren eigenen Nonsens wiederum zurückzuführen auf die Ebene der Ironie – und gerade dadurch schafft es der Film, Verbindungen aus dem andersonschen Paralleluniversum in die normale Welt herzustellen: Anderson greift mit seinen Filmen jegliche Versuche der Darstellung ironisch an, seine Absurdität führt auch das 'Normale' ad absurdum, und so ist der Film trotz, nein wegen all seiner Ironie und Metaironie in all seiner falsch erscheinenden Künstlichkeit auf Bild-, auf Figuren-, auf Handlungs- wie auf Dramaturgieebene auch wieder ein Film über den täglichen Kampf des Außenseiters, etwas zu erreichen, und sei es auch nur einen Film über einen riesigen Jaguarhai, der erst noch gefunden (erfunden?) werden muss, oder eine neue Künstlichkeit im Filmemachen, die Wes Anderson schon längst ge- wie auch erfunden hat.