Die Wirklichkeit des Grauens - Der Mockumentary-Horrorfilm
Anlässlich des beachtlichen Erfolgs des kleinen Fakedoku-Horrorfilms PARANORMAL ACTIVITY in den USA hier ein kleiner Abriss zu diesem Subgenre, den Bernd Zywietz für das ironische The Mockumentary Horror Film Project verfasst hat...
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Einer meiner Freunde fragte mich: Gehört eigentlich Peter Jacksons FORGOTTEN SILVER (1995) auch zu den Mockumentaries?
Eigentlich ist FORGOTTEN SILVER das sogar eher noch als THE BLAIR WITCH PROJECT (1999). Streng genommen sind Filme wie BLAIR WITCH PROJECT gar keine Mockumentaries („Mock“ = sich lustig machen + „documentary“ = Dokumentarfilm), weil sie formal keine Dokumentation darstellen, sondern nur (quasi falsches) Dokumentarmaterial: Drei drehende Filmstudenten verschwinden in den Wäldern – und dieses, ihr Material, mit dem sie einen Film über die Hexe von Blair erstellen wollten, wird wiedergefunden und leicht „aufbereitet“ gezeigt.
„Echte“ Mockumentaries hingegen sind Filme wie Peter Jacksons FORGOTTEN SILVER über den fiktiven Filmpionier Colin McKenzie, der u.a. mit Interviews (z.B. den „echten“ Weinstein-Brüdern) garniert ist und sein falsches „found footage“ der besonderen Art in einen quasi-journalistischen Rahmen spannt. Ein anderer Film ist die „Doku“ über Stanley Kubriks Verbindung zur den Plänen einer notfalls gefälschten Mondlandung („Stanley Kubrik und der Mann im Mond“) oder THE RUTLES: ALL YOU NEED IS CASH (1978) von und mit Monty-Python-Eric Idle über eine fiktive Pop-Superband – Fakedoku und zugleich Parodie auf die Beatles. Anders wiederum Rob Reiners THIS IS THE SPINAL TAP (1984): ein Spoof, der eine echte Band hervorbrachte.
Wie weit die Idee der Mockumentary bzw. derartiger Fälschungen zurückgeht, lässt sich kaum sagen, allein schon weil es erfundene Wahrheiten (sprich Nachrichten) und Übertreibungen bis hin zur reinen Erfindung gegeben haben dürfte, als Menschen miteinander kommunizieren. Bis hin, dass ein erlegter Büffel mehr auf die Höhlenwand gemalt wird. Oder zwei. Oder ein Elefant. Oder ein fabelhaftes Wesen, das es noch nicht gegeben hat. Bis dahin.
Aber bleiben wir beim Fantastischen, bei scheinbar echten Dokumenten über das Grauen. Im Grund lässt sich THE BLAIR WITCH PROJECT, PARANORMAL ACTIVITY & Co. erzählerisch bis auf Bram Stokers Dracula und Mary Shelleys Frankenstein oder der moderne Prometheus zurückführen (wenn nicht gar viel weiter). Beides waren Briefromane, die, wie viele andere Bücher dieser Zeit (bis hin zu Goethes Werther), auf ihre Weise ein Stilmittel der Authentizität benutzten – eben die Briefform –, um eindringlicher weil näher an der vermittelten Alltagskommunikation zu sein.
In der Pressegeschichte ist wiederum der Fall der New York Sun aus dem Jahr 1934 berühmt geworden, in der von einem südafrikanischen Superteleskop berichtet wurde, durch das geflügelte Wesen auf dem Mond beobachtbar seien – ein Scoop, der fast eine Woche ausgeschlachtet wurde, obwohl alles großer Quatsch war, und der der Sun immense Verkaufszahlen einbrachte, so wie verhältnismäßig zu ihren Kosten BLAIR WITCH PROJECT und jetzt PARANORMAL ACTIVITY volle Kinosäle bescheren.
Auf der Bildebene reicht die Tradition zurück bis zu den Geisterfotografien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (angefertigt schon 1862 durch den Bostoner William Mumler oder durch den Crewe-Kreises, von denen auch Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle beeindruckt war) bis hin zu den neueren Aufnahmen von Bigfoot, UFOs und dem Monster von Loch Ness. Verwaschen, wackelig - kurz: in schlechter Qualität – dies war damals schon der Beleg für „Echtheit“. Und auch die Horror-„Mockumentaries“ sind nicht (nur) so „unansehnlich“ ausgefallen, weil es billig ist, so zu drehen, sondern – dies ist eben die Bedingung -, weil sie auf diese Weise für Wirklichkeitsnähe steht. Denn, so die zwingende Logik, in einer Zeit der allgegenwärtigen Inszenierung muss es einen guten Grund dafür geben, wenn Bilder schlecht sind. Und von den Aufnahmen von Mutters Geburtstagsfeier bis hin zum Footage aus der Kriegszone, wo Stativ und Lichtkoffer nun mal nicht zur Hand sind, bieten diese Aufnahmen daher den Marker „Wirklichkeit“ und heben wie weiland der Briefroman das Fiktive auf die Wahrnehmungsebene des Realen, wo denn auch so manche „Abwehrmechanismen“ gegenüber dem Erdachten und Erdichteten ausgeschaltet, die eigene Sinngebungsleistung herausgefordert und damit emotional anders und bisweilen intensiver involviert wird.
Diese Ästhetik im besonderen Sinn (also die Wahrheitserfahren über die Sinne, nicht durch die Abstraktion des Geistes) schafft mit leichter Hand etwas, das LADY IN THE LAKE (1947) noch linkisch versuchte und was in seinen Kurzeinsätzen im Film (von Mulvey), vor allem im Horrorfilm (bis Clover) diskutiert wurde, auf leichte Hand einzuführen: die Subjektive, die – zumindest bei THE BLAIR WITCH PROJECT – filmfüllend wurde. Das „Wer sieht hier“ der fiktionalen Erzählung wird hier ebenso leicht erklärt, wie sich dadurch ganz neue theoretische Welten so auftun wie sich die „dritte Wand“ zum Publikum hin öffnet. Wir als Zuschauer sehen das, was der / die Protagonist(en) sieht/sehen, ganz direkt und unmittelbar. Das eröffnet nicht nur neue Räume, sondern treibt aus diesen auch den „impliziten Erzähler“ oder andere vermittelnde Instanzen zumindest teilweise, jedoch mit Wucht aus. Wir sind mitten drin, nicht nur dabei.
Wie sieht es denn aber aus, im Horror-Fakedoku-Subgenre? THE BLAIR WITCH PROJECT war vielleicht der einflussreichste, nicht aber der erste dieser Filme. Sicher gab es noch frühere. Ohne größere Recherche ist mir nicht nur der bisweilen mit BWP im DVD-Doppelset vertriebene THE LAST BROADCAST (1998) im Gedächtnis, eine „echte“ Doku über ein mörderisch endendes Radioereignis im Wald, die am Ende den unverzeihlichen Fehler macht, aus seiner Fake-Doku-Ebene in die des fiktionalen Erzählens zu treten.
Davor noch gab es den kanadischen THE MCPHERSON TAPE (1997), der (wohl) nur im Fernsehen lief, und in dem Aliens eine ländliche Familienfeier stören (und damit ein wenig M. Night Shyamalans SIGNS [2002] vorwegnehmen).
Nach BLAIR WITCH PROJECT kamen natürlich eine Reihe Nachahmer (wie z.B. Ted Nicolaou und sein THE ST. FRANCISVILLE EXPERIMENT [2000]), die vor allem von der Preisgünstigkeit des Konzepts gelockt wurden. Wobei man es natürlich auch teuer und groß haben kann: CLOVERFIELD (2008) verband die beiden konträrsten Ecken des Genres: Den gigantomanischen Monsterhorror der Marke GODZILLA mit dem froschperspektivischen Fakedokugrusel.
Dass diese nur bedingt funktioniert, merkte man an den dann doch widerstrebenden Dramaturgien, unter denen der Film litt. Besser schon der spanische [REC] (2007), der ein Kamerateam, das ein Feuerwehrteam begleitet, in einem abgeriegelten Haus in eine Zombie-Heimsuchung geraten lässt. Das US-Remake des Ganzen hieß QUARANTINE (2008). Auf die Macht der kleinen Bilder und die durchmedialisierte Welt von YouTube und HandyCam kam wiederum der Pate der Lebenden Toten, George A. Romero, mit DIARY OF THE DEAD (2007). Was vom Menschen übrig bleibt, sind Bilder, die alles bedeuten und nichts mehr heißen mögen.
Auch Deutsche, natürlich, haben sparfüchsig das Mittel entdeckt, so für DIE EYLAND RECHERCHE (2008) (schon wieder eher eine Mockumetary) oder der von Abiturienten gedrehte und gerade deswegen, wegen seiner Unbeholfenheit, überaus sympathische THE DARK AREA (2000), der auf motivierende Weise zeigt, dass es dank des Mockumentary-Horrors doch so etwas wie gibt wie ein zutiefst demokratisches (Sub-)Genre.