Grindhouse-Nachlese November 2011 – Fleisch

Samstag, 26. November 2011, Cinema Quadrat Mannheim:

„Die Kleine mit dem süßen Po“, Deutschland 1975, Regie: Hans Georg Keil (a.k.a. Georg Tressler).

„Wild Beasts“ / „Belve feroci“, Italien 1984, Regie: Franco Prosperi.


Von ihren Filmen her waren die 1950er Jahre die Fortsetzung des Filmschaffens der 30er und 40er mit anderen Mitteln. Das NS-staatliche Ideologie wurde durch religiös-moralische Ideologie ersetzt, seicht, bieder, chauvinistisch ging es nach wie vor zu, nur wurde nun jegliche Frivolität aus den Filmen rausgeschwärzt (die Filme der Nazizeit durchaus beinhalteten).
Wie in der NS-Zeit gab es auch im Nachkriegsjahrzehnt ein paar Ausnahme-Meisterwerke, von denen eines der größten wohl Georg Tresslers „Das Totenschiff“ von 1959 mit Mario Adorf und Horst Buchholz ist – letzteren hatte Tressler kurz zuvor mit „Die Halbstarken“ zum Star gemacht, einem Film, der nicht nur über die Jugend, sondern auch von den Jugendlichen handelt. „Das Totenschiff“ ist eine Abenteuergeschichte, in der Buchholz als mittelloser Seemann durch Frankreich wandert, um am Mittelmeer endlich auf einem Schiff anheuern zu können. Eine paradiesische Liebe auf dem Land schlägt er aus, um dafür auf einem Totenschiff verheizt zu werden, einem alten Kahn, der aus Versicherungsgründen auf hoher See untergehen soll. Action und Resignation gehen hier eine knisternde Verbindung ein.

16 Jahre später sieht es so aus in der deutschen Kinematographie: Es gibt Autorenfilme mit hohem Anspruch, der schon ins Elitäre geht, und es gibt das populäre Kino – sprich: Schmuddelsexfilmchen; eine Rückkehr der zuvor verdrängten und verdammten filmischen Freizügigkeit. Wo landet Georg Tressler? Es ist traurig, traurig... Wo die anderen Großen des Kinos vor dem Neuen Deutschen Film, Käutner und Staudte etwa, wenigstens ihr Auskommen im Fernsehen hatten, da landet Tressler unter dem Pseudonym Hans Georg Keil auf der Alm.


„Die Kleine mit dem süßen Po“: Da zieht sich zunächst mal die Muschi aus, sie ist die Kellnerin im Berggasthof vom Pichelhofer. Der hat einen jungen Sohn, der gerne der Muschi auf der Alm an die Dudeln gehen möchte, und auch in der Küche lässt er nicht von ihr, obwohl der Herr Pfarrer doch einen Schoppen bestellt hat: „Wo bleibt meine Liebfrauenmilch?“ Die ist in Arbeit, in Handarbeit...

Eine Handlung gibt es natürlich auch, die hat sogar klassische Vorbilder: Schon in den 30ern war Geldvermögen in 13 Stühlen versteckt, denen nachgejagt werden musste, im Farb-Remake in den 50ern waren’s wie bei Mel Brooks 1970 dann noch 12. Hier nun ist keine Erbschaft versteckt, sondern ein Diamant (was später bei Tommy und Mike zum Super-Tanken der Nasen führte: Solche Trash-Albernheit mit mehr Nacktheit ist ungefähr das Niveau von „Die Kleine mit dem süßen Po“), und er steckt nicht in Sitzgelegenheiten, sondern in gewissen runden Objekten. Und zwar solche, die eingeführt werden – erstens aus Japan, zweitens in die weibliche Anatomie, erhältlich sind sie im Sexshop von Herrn Spanner (sic!). Der ist ein windiger Betrüger und Hochstapler, man glaubt es nicht, wie er den Leuten das Geld aus den Taschen zieht. Zum Beispiel dem Pichelhofer, der die ganzen 40.000 Mark vom Kirchenbauverein investiert – ohne zu wissen, dass Spanner pleite ist, dass die Steuerfahndung all seinen Besitz beschlagnahmt hat (in einem großen LKW mit „Finanzamt“-Aufschrift) und dass der Spanner mit Pichelhofers Geld einen Diamanten kauft, den er in einer japanischen Liebeskugel versteckt, die der Pichelhofer und seine Söhne dann usw. usf.

Unglaublich alberne Situationen sind das: Wie der Pichelhofer beim Telefonieren seine Hand im Spalt einer künstlichen Herrenbefriedigungsgerätschaft einklemmt! Das ist lustig, weil es in seiner freizügigen Thematik so verklemmt ist. Das liegt nicht mal am Bauernschwank-Gewand – gerade in diesen Lustspielen geht es um die Lust –, sondern daran, wie die Libido in bizarr-öden Witzchen kompensiert wird. Wo irgendwo so etwas wie Erregung sich breitmachen könnte – beim Filmzuschauer oder bei einer der Filmfiguren –, wird munter eine billig kalauernde Zote hingeklatscht, wo Lust droht, wird diese sofort in einem Scherz aufgelöst. Was geil sein könnte, wird Gag: Genau das macht den Wert des Films aus, dass er sich ständig weigert, das zu sein, was er ist. Dass er jeder Qualität, die er haben könnte – und sei es die einer Blutpumpe in gewisse Körperteile – so konsequent aus dem Weg geht, ist fast schon bewunderungswürdig. Dass er in keiner Weise stimulierend ist – weder Lach- noch sonstige Muskeln–, das macht ihn schon wieder komisch, dass jede Lust verweigert wird, macht ihn lustig.

Also müssen die Herren fünf Liebeskugeln suchen. Also müssen sie die Öffnungen diverser Damen erkunden. Also gibt sich der eine Sohn als Arzt vom Gesundheitsamt aus, der mit seiner großen Spritze der bedürftigen Hausfrau so richtig hintenrein... „Peniscillin“, haha, und als der Ehemann unvermutet heimkehrt und seine Hämorrhoiden untersucht haben will, wird ihm ein Kollege „von der anderen Fakultät“ empfohlen. Der andere Sohn bumst eine andere junge Dame durch, die eigentlich einen Klempner erwartet hatte, der das kleine Löchlein stopfen soll, aus dem immer so viel rausspritzt. Kalauerkalauer, das Niveau wird mau und mauer – und hinterrücks macht es wieder Spaß. „Die Kleine mit dem süßen Po“ – der Titel hat übrigens nichts mit dem Film zu tun – ist eine Anhäufung miesen Geschmacks – und erreicht sehr schnell den Gipfelpunkt, ab dem man bestens unterhalten wird. Das ist ein bisschen wie beim Schwefelwasserstoff: Dieses Gas stinkt in geringen Konzentrationen übel nach faulen Eiern; bei stärkeren Konzentrationen aber kehrt sich der Geruchssinn um, alles riecht fein und süß – dann freilich sind schon solche Gasmengen in der Luft, dass sie tödlich wirken.

Zum Tod führt ist das Machwerk von Tressler/Keil nicht; aber zu seltsam verstiegenen Assoziationen; unerklärlich, wie man als Normalzuschauer von diesem unwitzig-witzigen Film auf die historischen Gipfel der komischen Kunst schließen kann, aber tatsächlich: ist diese Burg, in die es den Pichelhofer auf der Suche nach den Liebeskugeln verschlägt, nicht vergleichbar mit Castle Anthrax / Schloss Dosenschreck, in das Sir Galahad auf der Suche nach dem Heiligen Gral gerät? Und ist ein leergeräumter Sexladen nicht so was wie ein Cheese Shop ohne Käse?

Um Fleischeslust in anderer Form geht es in Franco Prosperis „Wild Beasts“. Prosperi ist Veteran der Mondo-Filme, jener italienischen Spielart von Dokumentationen der Wunder der Welt, die sich auf die bizarren, ekelerregenden, sexual-ausbeuterischen Details stürzen. So wie Disney die Wüste mit all den putzig-lustigen Tierchen, die dort leben, zu einem filmisch erfahrbaren familienfreundlichen Erlebnispark macht, so verdrehen die Mondo-Filme die Wirklichkeit in die andere Richtung, wo Horror und Porno herrschen.

In „Wild Beasts“ ist ein doller Tierfilm, in dem Prosperi sein ganzes Können der filmischen Einvernahme von Natur und deren Umverwandlung ins Exploitationkino zeigt: Die italienische Produktion, die in Frankfurt gedreht wurde, lässt die wilden Tiere des Zoos auf die Menschheit los. Und mit wilden Tieren meine ich: echte wilde Tiere. Löwen, Tiger, Elefanten marschieren durch den Film und fressen und zertrampeln Menschen. Gut, OK: das Zerfleischen wurde mit prostethic makeup und schneller Montage von Großaufnahmen natürlich gefaket; aber ein Tiger in der S-Bahn, ein Gepard, der an einer Ladenpassage vorbei einem Auto hinterherjagt mit 100 km/h, Elefanten, die am Flughafen an Jumbojets vorbeilaufen: Das ist echt, und das ist beeindruckend. Im Schlachthof fällt eine Hyäne Schweine an, eine Löwin zerfleischt ein Rind; und eine Katze wird von Ratten aufgefressen. Hu, die Tierwelt ist ein einziges Töten und Sterben!

Beinahe putzig sind die kleinen sozialkritischen Einlagen, die pflichtbewusst eingestreut werden: Denn das Wasser war kontaminiert, mit dem die Tiere gefüttert wurden. „Dachte ich mir’s doch: Phenol! Sieh nach, ob es zyklisch ist!“ – ja tatsächlich: PCP hat das Wasser verseucht und die Tiere wild gemacht, in einem Halbsatz klingt an, dass ein Leck in einer Industrieanlage schuld ist, und immer wieder wird obligatorisch auf den bösen Umgang der Menschen mit der Natur hingewiesen.


Und weil so scheinheilig grüngefärbt eine Moral behauptet wird, vergisst der Film ganz, wie chauvinistisch er wiederum ist: Der Tierarzt – supermännlicher Held des Films – darf ungestraft die Journalistin – weiblich-emotionales Opfer – betatschen, hat selbstverständlich recht, wenn er sie nach einem Tigerangriff kokett tadelt, dass ihr Make-up nicht mehr sitzt; im übrigen hat die Journalistin eine vernachlässigte Tochter, die sie wegen ihrer Berufstätigkeit niemals sehen kann. Die wird Mit-Opfer einer Horde killender Kinder, die der Film in seinem letzten Drittel braucht, um zu zeigen, wie auch der Mensch nicht gefeit ist vor animalischer Wildheit.

Solche Thesen sind aber natürlich nicht ernst gemeint, es geht nur um die Bilder, nur um das Spektakel, nur um die Echtheit dieses Alptraums. Wo echte Tiere auftreten, ist immer was Dokumentarisches mit dabei – wahr aber ist es natürlich nicht. Zumal man einmal den Dompteur sieht, der schnell hinter einer trampelnden Elefantenherde verschwindet, weil er ja fehl im Bilde ist; und zumal das Hinweisschild auf den Rhein-Main-Airport sich „Flughafel“ liest.

Harald Mühlbeyer