FILMZ 2011 - Elfter Abschluss
"Der Albaner" hat gewonnen bei FILMZ 2011. Völlig zurecht, wie man HIER und HIER nachlesen kann.
Vermutlich ist die Festivalreise dieses Debütfilms von Johannes Naber damit zuende, nach München 2010, Saarbrücken und Ludwigshafen 2011. Die Karriere im Kino übrigens auch: Anfang August hatte "Der Albaner" einen Pflicht-Kinostart wegen der Filmförderung, sprich: wurde vom Filmverleih rausgehauen und ist direkt im Kinospielbetrieb versickert. Ob wohl irgendjemand diesen Film tatsächlich regulär, gegen eine normale Eintrittskarte, im Kino gesehen hat? Schön jedenfalls, dass er jetzt, wenn auch auf einem Festival, doch auch in Mainz gelaufen ist und begeistern konnte: dabei ist das Mainzer FILMZ-Publikum durchaus streng.
Zumindest, wenn ich unter den Zuschauern bin und beim FILMZ-Abschluss einen der im Wettbewerb gezeigten Kurzfilme öffentlich kritisiere - nachdem der Regisseur seine eigene Meinung über den Film verkündet und ausdrücklich zugegeben hatte, dass auch andere Ansichten gelten können; und meine Aussage dann als Blödsinn abtat. Was völlig legitim ist - und dann eskalierte, als ein anderer Herr im Publikum dem Regisseur widersprach, worauf diverse Schmähungen durch den Saal hallten ("Idiot!" - "Selber Idiot!") Kurz: Es war sehr lustig.
Wie ja ohnehin die Stimmung bei FILMZ locker ist wie auf keinem anderen Festival. Was dazu führt, dass der Kurzfilmwettbewerb inkl. Preisverleihungen dreidreiviertel Stunden dauert - und dabei große Unterhaltung bietet. Kulenkampff hat auch überzogen, Gottschalk selig auch! Es gibt Led-Zeppelin-Konzerte von dieser Länge! Im Übrigen ist FILMZ wohl auch das einzige Festival, bei dem der Start eines Filmes um ein paar Minuten verzögert wird, um einem Zuschauer die Möglichkeit zur Eintrittspreis-Teilrückerstattung zu geben, der wegen eines Missverständnisses 8 statt 6 Euro bezahlt hatte...
Und die Filme in diesem Jahr: "Der Albaner" und "Über uns das All" von Jan Schomburg zählen zum Besten des deutschen Kinos in diesem Jahr, und "Tage die bleiben" von Pia Strietmann spielt auch beinahe in dieser Liga.
"Tage die bleiben" beginnt mit einem Totentanz: eine Frau im Auto, während eines Unfalls, in ästhetizistischer Zeitlupe, mit graziös umherfliegenden Blumenblättern und Glasscherben, das Ballett einer Sterbenden. Dann für zehn, zwanzig Minuten die Vorgeschichte dazu, eine Vorstellung der Familie Dewenter, die keine wirkliche Familie mehr ist. Vater meist abwesend, zumindest geistig, oft auch körperlich, weil er eine Affäre hat; die Tochter eine rotzfreche Pubertätsteenagerin; der ältere Sohn schon lange aus dem Haus; und die Mutter hat einen Roman geschrieben über den Ausbruch aus dem Alltag einer mittelalten Mutter... Nach der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Münster stehen wir dann wieder am Anfang des Films, am Ende des Lebens der Mutter, am Beginn einer neuen Zeit für die Dewenters. Wie sich Vater, Tochter, Sohn zusammenraufen - wie sie vor allem miteinander raufen -, wie zwischen dem Trott der Vergangenheit, dem Bruch durch den Verlust der Mutter, den nötigen Bestattungsformalitäten und den gegenseitigen Abneigungen so etwas wie Einsicht, vielleicht gar Gemeinschaft entsteht: Das erzählt Pia Strietmann auf sehr einfühlsame Weise, ohne in die Klischees des Trauerfilms auszubrechen. Weil die Trauer erstmal gar nicht da ist, sondern die Egoismen der Übriggebliebenen, die miteinander so gar nichts anfangen können. Und die sich selbst und einander erstmal überhaupt kennenlernen müssen.
Was es natürlich auch gab bei FILMZ: Filme, die nicht ganz schlecht sind, aber auch nicht gut, so lala im Mittelfeld, also eigentlich unsichtbar, sprich: eigentlich nicht sehenswürdig. In "Unter Nachbarn" macht Regisseur Stephan Rick an sich alles richtig, das heißt aber auch: alles vorhersehbar. Womit nicht einmal unbedingt die Handlung gemeint ist, die sogar recht spannend ist: Maxim Mehmet, neu in der Stadt, lernt seinen Nachbarn kennen, der so anhänglich ist, dass es psychopathisch wird. Als Mehmet einen Unfall baut, eine Frau tötet und dann Fahrerflucht begeht, ist er an seinen Nachbarn, den Mitwisser, gebunden; der fortan sich mehr und mehr in sein Leben drängt.
Vorhersehbar ist dabei insbesondere die Inszenierung: Man weiß schon im Voraus, wann der nächste Schnitt kommt, bei manchen Einstellungen weiß man genau, dass jetzt eine Schärfenverlagerung kommt, man kennt vorher die Klavierakkorde, die dann tatsächlich auch einsetzen; und den nächsten Dialogsatz kann man mitunter auch erraten. Es ist alles so glatt, handwerklich so präzise und nach Lehrbuch gefilmt, dass kein Platz für Überraschungen mehr bleibt. Und die wären nötig in einem solchen Nachbarschaftsthriller.
Höchst originell dagegen Niko Kühnels Langfilmdebüt. "Ein Jahr später" ist privat entstanden, unter Freunden - quasi die Fachschaftsrat-Generation nach mir beim Filmwissenschaftsstudium -, die an Wochenenden, ohne Budget, diese fantastische Komödie gedreht haben. Natürlich sind die production values niedrig, die Schauspieler sind sichtlich keine Profis, weshalb der Film auch nie über den Status eines Liebhaberobjektes hinauswachsen wird.
Aber eine dolle Handlung, dramaturgisch sehr gut entwickelt, mit treffenden Dialogen und ohne jeden Lehrlauf: Frank, Mark und Alex erwachen nach einem langen WG-Abend, und es ist ein Jahr später. Sind sie über zwölf Monate drübergestolpert? Haben sie ein Jahr verschlafen? Haben sie die vergangenen Monate vergessen? Jedenfalls ist die Zeit weitergegangen, und sie stecken im Zustand der Vergangenheit fest. Und müssen feststellen, dass ihre Träume allesamt nicht in Erfüllung gegangen sind: Alex, der mit seiner Freundin ein spießiges Familienleben beginnen wollte, hat plötzlich eine Neue, Caro, mit der er ein halbes Jahr zusammen ist, die er aber natürlich gar nicht kennt. Frank, der wild und frei nach Neuseeland wollte, steckt im langweiligen, aber wohldotierten Job als, uaaah: Unternehmensberater fest. Und Mark ist nicht mehr ihr Freund: der wacht dafür in einer möbellosen Wohnung auf, und wird von ominösen Gestalten gejagt.
Ein Sprung in die Zukunft, nach dem Abschluss des Studiums: ein Sprung, der das Ergebnis ohne den Entwicklungsweg dahin präsentiert. Verlorenheit in einer neuen Zeit für die drei, eine Zeit, die ihre eigene ist, ihre eigene sein wird, in sprunghafter Fortentwicklung.
Sie müssen sich zurechtfinden in diesem neuen Leben. Sie müssen herausfinden, wer sie nun sind, was sie nun sind: Detektivarbeit für jeden von ihnen, was in drei Handlungssträngen von Mysterythriller bis romantic comedy mündet. Und vor allem letztere ist sehr gelungen: schön, wie Caro, Alex' Neue, ihn an sich heranführen will, indem sie im Schnelldurchgang ihr Kennenlernen nachinszeniert: Das Re-Enactment einer schonmal erlebten Liebe, um die Gefühle in Alex zu wecken, die sie für ihn empfindet - weil sie ihn ja schon lange kennt, und er sie am Morgen erstmals gesehen hatte...
Kühnel schaltet ganz sicher von einem Strang zum anderen, die Schauspieler liefern eine gute - wenn auch nicht professionelle - Leistung ab: Ein Film, der wirklich großen Spaß macht.
Harald Mühlbeyer