Hofer Filmtage: "Après Mai / Something in the Air" - Echos aus der Zwischenwelt
Wir wollen mal, dazu sind wir ja eigentlich hier, von Kunst reden. Und damit von Olivier Assayas, einer der großen französischen Regisseure, nicht erst seit seinem opus magnum "Carlos".
"Après Mai", dem der deutsche Verleih den albernen Titel "Something in the Air" gegeben hat (vgl. "Mir ist so komisch zumute, ich ahne und vermute, heut liegt was in der Luft"), ist ein sehr guter Film. Denn kann ein Film schlecht sein, in dem ziemlich am Anfang Syd Barretts Platte "The Madcap Laughs" aufgelegt wird, wenn im Lauf des Films Captain Beefheart und die Incredible String Band zu hören sind - mit Songs in voller Länge -, wenn wir gegen Ende quasi live bei einem Psychedelic-Konzert dabei sein dürfen, inklusive Lightshow aus Diacollagen, mit Farben, Formen, Film, Bildern und Worten?
Die musikalische Ebene hat ihr ganz eigenes Gewicht in diesem Film, die weit über die Illustration des Zeitgeistes hinausgeht. Der Film spielt 1971, die französische Linke liegt in den Nachwehen des Revolutionsmonats Mai 1968, und Gilles, die Hauptfigur, ist mit dabei bei den protestierenden Studenten. Kunst studiert er, Filme will er machen, und natürlich ist er angelehnt an Assayas selbst, der hier sein eigenes Erleben fiktionalisiert, und es dabei schafft, den Film ganz unabhängig zu machen von jedem möglichen Bezug zu seiner Person. Weil man sich nicht die ganze Zeit vorstellt, was denn nun historisch-biographisch ist, was hingedichtet wurde. Nein: Assayas schafft es - ähnlich wie bei "Carlos" - ganz einfach, ganz ungezwungen mitten hineinzusteigen in diese Zeit, zu diesen Menschen, zu ihrem Denken und Handeln.
Dazu gehört natürlich seine dynamische Handkamera, die freilich keinen irgendwie dokumentaristischen Look gestalten will, die auch nicht mit ein paar Extrawacklern mehr "Bourne"-mäßige Nervosität verbreitet. Nein: Sie ist einfach dabei, fängt die Energie des Geschehens auf.
Gilles ist links, anarchistisch, und das bedeutet auch eine ständige Positionierung: Wie links? Mit welchen politischen Positionen, mit welchen persönlichen Konsequenzen? Trotzkis, Leninist, Maoist, Anarchist? Inklusive all der absurd erscheinenden Diskussionen über Politik und
Haltung und Polittheorie und Handlungspraxis, die von heute aus gesehen
so seltsam erscheinen und doch wichtig und sehr ernst waren; man kennt
sowas von Antonionis "Zabriskie Point", mit der unsterblichen Zeile "Ich
bin bereit zu sterben, aber nicht aus Langeweile", und als Komödie
durchexerziert aus dem "Leben des Brian".
Gilles treibt durch die Szene, wird zum Kämpfer, mit filmischen Agitatoren reist er nach Italien, kehrt zurück, sucht seinen Weg. Freunde und Weggefährten verstreuen sich, nach London, nach Afghanistan, und beim Wiedersehen sind sie verändert, und Gilles ist es auch. Doch hat er sich genug verändert, wie steht er zur Revolution, wie steht die Revolution zu seinem Leben? Mit perfekt inszenierter Vagheit stellt Assayas eine Welt vor, die vor 40 Jahren die Welt war, als der Glaube an eine Veränderung noch die Menschen bewegte.
Assayas folgt keinem filmisch-dramaturgischem Schema, zumindest nicht offen; es gibt nicht die eine große Liebe, den einen großen Schlusspunkt auf den alles zuläuft, wie es oft in Biopics ist, die ja genau daran scheitern, dass subtil und ungewollt die Dramaturgie ihren Fiktionsstatus preisgeben. Der Film treibt mit Gilles, am Ende ist Gilles plötzlich weg, wir erfahren, dass er schon seit einer Woche in London ist. Und dort gerät der Film mit Gilles vollends in die Welt des Surreal-Absurden, mit Steinzeitfrauen, Nazis und einem Urweltmonster auf einem Filmset in den Pinewood-Studios.
Harald Mühlbeyer