Hofer Filmtage: "FREIgestellt" - Arbeit hat keine Balken
Mein erster Film hier: "FREIgestellt" von Claus Strigel, ein Dokumentarfilm, der das Verhältnis von Arbeit, Freizeit und Freiheit untersucht und dabei geschickt Positionen aufeinanderknallen lässt. Wo hat man tatsächlich schonmal Aristoteles ("Arbeit ist der Feind der Tugend") mit Westerwelle ("Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit") miteinander kickboxen sehen? In der Talkshow, Teil von Strigels Film, treffen sie aufeinander, all die, die schonmal irgendwas über Arbeit gedacht oder gesagt haben, auch Marx und Hannah Arendt, von der Leyen und Lafargue (der das Recht auf Faulheit fordert), und wie es halt so ist in der allabendlichen Gesprächsrunde, irgendwann schlagen sie sich die Köppe ein.
Herrlich karikaturesk digital animiert sind diese Protagonisten, deren Äußerungen tatsächliche historische Zitate sind und die sich benehmen wie im Kungfu-Film der 70er: Strigel geht durchaus mit Spaß und Satire an sein Thema heran. Aber natürlich ist es ihm ernst damit, weil es ja auch ernst wird. Noch haben wir niedrige Arbeitslosenzahlen - in Deutschland, nicht im Rest von Europa wohlgemerkt -, doch muss man nicht über Alternativen nachdenken? Denn es kann ja nicht weitergehen, einerseits die Entfremdung des Menschen von sich selbst duch seine Arbeit, andererseits seine zwangsweise Freistellung, wenn einfach keine Arbeit mehr da ist, drittens auch der Wunsch nach mehr Freizeit und gleichzeitig nach mehr Geld. Sinnbild gleich zu Anfang: Wie eine Industrieruine zum Freizeitpark umfunktioniert wurde, mit Klettern, Kettenkarussell und Unterwasserkartenspiel.
Götz Werner, Chef der dm-Drogeriemarktkette, argumentiert schlüssig für das bedingungslose Grundeinkommen, Volkswirt Niko Paech für die Entkopplung der Wirtschaft vom Wachstumsdogmatismus. Und im Netzwerk arbeitssuchender Akademiker berichtet einer von den Erniedrigungen, denen er sich in der Arbeitsagentur aussetzen muss, die nicht auf ihn eingehen, sondern ihn hineinpressen wollen in ihr Raster von Maßnahmen und Leistungskürzungen.
Es ist, wie Götz Werner sagt, ein Aufeinanderprallen von Weltsichten: die westerwelleske, dass nämlich der, der nicht durch Druck, durch Androhung von Armut, zur Arbeit gezwungen wird, sowieso lieber faul im Bett liegt, gegen die wernersche, nach der bei einer Entkopplung von Einkommen und Arbeit jeder in sich den Drang verspürt, zu tun, wonach ihm ist; weil der Wille zur Arbeit in einem festgeschrieben ist, diese aber der Selbstverwirklichung und dem Einbringen des Individuums in die Gemeinschaft dienen sollte, ohne von außen aufgezwungen zu werden.
Das Pendeln zwischen diesen Weltsichten, zwischen den Argumenten und Auswüchsen und ihren Auswirkungen auf den Menschen montiert der Film geschickt zu einem dynamischen Flow, der nie seine Stringenz verliert. Erst am Ende verlandet der Filmfluss ein wenig, wenn Strigel allzugenau ein Projekt in Angermünde in der armen Uckermarck porträtiert, wo von einer Stiftung 100 Projekte gefördert werden, in denen tatsächlich jeder mal "sein Ding" verwirklichen kann. Das war wohl überhaupt der Ausgangspunkt der ganzen filmischen Recherche, und einzelne Protagonisten - der schwäbische Schrotthändler im tiefsten Osten der Republik, der hier tut und macht, ohne viel zu verdienen - sind direkt strukturierende Elemente des ganzen Films geworden.
Da ist auch der promovierte Wissenschaftler ohne Arbeit, da ist eine Supermarktsimulation in Hamburg, in der Langzeitarbeitslose an Arbeit gewöhnt werden sollen - eine Arbeit freilich, die inzwischen genausogut Lagerroboter übernehmen würden, die also völlig sinnlos ist und die Leute schlicht von der Straße und aus der Statistik raushält. Und da sind die Kinder mit ihren Wunschberufen, vom Sprengmeister über den Dinosaurierforscher bis zum Motorradpolizist und dem Chef einer Geldfabrik.
Werden sie je ihren Traum erreichen? Dafür müsste man über Alternativen zum Status quo nachdenken. Dass es welche gibt, zeigt Strigel in diesem Film, der irgendwann im Fernsehen laufen wird, nachts nach 23 Uhr. "Aber das ist OK", sagte Strigel nach der Vorführung, "denn an dem Sendeplatz muss man nicht vorformatierter Dramaturgie folgen, muss nicht erklären, was man da sieht." Denn dies ist eben ein Film zum Selberdenken.
Harald Mühlbeyer