Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „To Be or Not to Be“
To Be or Not to Be
USA 1942. Regie: Ernst Lubitsch, mit Carole Lombard, Jack Benny, Robert Stack, Felix Bressart, Sig Ruman
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72.
Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei
Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis
1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit
drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
Eine Theatersatire verknüpft mit einer Nazi-Satire, und beides mit eigenem Recht: Carole Lombard nimmt als Maria Tura ihren Diven-Part aus „Twentieth Century“ erneut auf: Wir sehen sie in „To Be or Not to Be“ als Drama-Queen, die in ihrer Theaterwelt aufgeht. Bei der Probe zu einem Nazi-Stück im Warschauer Theater schreitet sie in einem typischen Lombard-Kleid auf die Bühne, seidig, glänzend, vermutlich golden. Das will sie tragen in ihrer großen Konzentrationslager-Szene, es ist eigentlich vollkommen lächerlich, aber die Charakterisierung dieses Charakters, der nur in der Kunst lebt, in der Kunst, für das Publikum etwas Besonderes zu sein, ist es perfekt. Verblendung, Eitelkeit, Glamour – später werden wir das Kleid wiedersehen. Als Mitglied der Warschauer Untergrundbewegung besucht sie Prof. Siletsky, einen brandgefährlichen Gestapozulieferer, der sowohl berufliches – Spionage! – als auch persönliches Interesse an ihr hat. Sie trägt das Kleid, um ihn zu bezirzen. Da weiß sie schon, wie es zugeht in einem wirklichen Leben in einem Polen, das von den Nazis überfallen und zerstört wurde.
Sie geht damit die umgekehrte Entwicklung durch: In „Twentieth Century“ wurde sie zum Theater- und Filmstar aufgebaut und tritt schließlich mit all den divenhaften Allüren auf, die sich das Klischee vorstellen kann. Bei Ernst Lubitsch nun wird sie aus ihrer Theatralik herausgerissen durch die Katastrophe des Weltkriegs, sie landet in der Wirklichkeit und muss mit ihr zurechtkommen. Und Carole Lombard kann das wunderbar spielen, um ihre Augen, ihren Mund immer ein träumerischer Zug, ein Sehnen nach der Fantasie, die sie aus der Realität trägt – da ist das romantische Mädchen der Anfänge gegenüber Clark Gable in „No Man of Her Own“ nicht weit, auch nicht die ideenreich schwindelnde Nicht-Mörderin in „TrueConfession“. Doch Hitler hält sie fest, unten, im Elend, ohne Chance.
Lubitsch führt seine Theater-Backstage-Komödie über in eine pralle Farce über Narzissmus im Nazismus, der sich über alles stellt und so lächerlich wird – sehr prägnant blendet Lubitsch damit das überbordende Theaterwesen mit seinen überbordenden Stars über auf die trotteligen Uniformträger, die sich ganz ganz wichtig vorkommen. Und Lubitsch zeigt deutlich, wer die Profis in Sachen Popanz sind – es triumphieren natürlich die Theaterleute, die die Nazis bis ganz nach oben nach Strich und Faden lächerlich machen.
Carole Lombard steht im Mittelpunkt der Charade um Verkleidungen und Verwechslungen, sie ist fast so etwas wie der Ruhepol – und hat es faustdick hinter den Ohren. Sie kann ihre Verführungsmechanismen nach Belieben anwerfen, etwa, um hochrangige Nazis vor Liebesbegehren verblendet für die Wirklichkeit zu machen. Aber auch geschickt zum eigenen Nutzen, wenn sie ihre Liebhaber um die Theaterauftritte des eitlen Ehemannes herum orchestriert und sie während des „Sein oder Nicht-Sein“-Monologs in ihrer Garderobe empfängt. Dass da nichts gelaufen wäre, glauben doch höchstens ein paar betriebsblinde Hays-Zensoren!
Ich kann mich gerade gar nicht mehr erinnern – wie wohl die deutsche Synchonisation lautet beim Dialog auf der Theaterbühne, in dem der Kleindarsteller Greenberg seinen überagierenden Kollegen zuwirft: „What you are, I wouldn’t eat!“ – „How dare you calling me a ham!“
Und wenn man den Film nun nochmals sieht, mit all den anderen Lombard-Komödien im Hinterkopf: Traurig. Sie hat die Premiere nicht mehr erlebt, am 16. Januar 1942 ist Carole Lombard bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.
Harald Mühlbeyer