Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Hands Across the Table“

Hands Across the Table

USA 1935. Regie: Mitchell Leisen, mit Carole Lombard, Fred MacMurray, Ralph Bellamy

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Regi Allen ist Maniküre-Girl, und das macht sie nur, um einen reichen Mann kennenzulernen. Sie ist die unschuldige Version des weiblichen gold diggers, die sich einen mit Geld angelt – sie hat sich das nämlich ganz ernsthaft als Lebensphilosophie zurechtgelegt: Geld geht vor Liebe. Anders kommt sie nicht raus aus den ärmlichen Verhältnissen. Die Armut zeigt der Film mehr als andere Hollywoodproduktionen, auch wenn es eine gekünstelte Armut ist, wenn man sich Regis geräumiges Appartement ansieht. Aber ja, es gibt Armut, und das gilt auch für Theodor Drew III. Den hält alle Welt für einen Millionär, aber: „Erinnerst du dich an den Crash? Das war meine Familie.“

Die Große Depression schwitzt aus diesem Film, der die arme Regi und den verarmten Ted zusammenbringt – sie will ihn erst für sich gewinnen wegen den vermeintlichen Geldes, dann muss sie ihn bei sich aufnehmen für zehn Tage, damit seine reiche Verlobte nicht merkt, dass er gar nicht auf Bermuda ist: Denn auch er ist ein gold digger, arbeiten hat er nie gelernt; für Regi ist ihre Arbeit als Maniküre nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Hausfrau, das ist die weibliche Rolle.

Das Herrliche an dem Film ist, wie sich die beiden verlieben und das Verlieben sich nicht eingestehen; denn ihre Pläne gehen ja Richtung Geld. Ted nämlich ist ein sehr alberner Mann, als „the enemy of the ordinary“ charakterisiert er sich einmal, das ist wunderbar, als sie sich erstmals begegnen, hopst er einbeinig über die schwarzen Fliesen im Korridor. Das erste Rendezvous ist geprägt von Schluckauf und Blödsinn: „Sie verstehen sicher, dass ich Sie in dieser Kleidung nicht einlassen kann“, erklärt der Kellner, und beide beginnen sich auszuziehen.

Carole Lombard spielt eine Frau, die ihr Herz verschließt, und die zugleich offen ist für jeden Blödsinn: in all dem Elend, in dem sie steckt, erweckt sie so in Verbund mit Fred MacMurray als Ted große Fröhlichkeit – sie setzt Gags gekonnt und perfekt getimet ein, das Hicksen des Schluckaufs, die Blicke der Liebe, die übergehen in das Funkeln des Spaßes; die Anziehung, die sie für Ted verspürt, und das Zurückhalten, das sie sich auferlegt hat.

Der Weg ins Herz geht über den Witz, über das Blödeln, gekonnt eingesetzt schweißt es zusammen. Beide faken einen Anruf aus Bermuda, sie spielt Vermittlung, er spielt das Ferngespräch, und wie beide zusammen harmonieren auf der Ebene des Humors ist umwerfend; beide liegen vor Lachen am Boden. Das Problem wird sein, aus dieser verliebten Beziehung, die über das Witzeln, den Spaß funktioniert, den Ernst der Liebe herauszuarbeiten. Das gelingt beinahe nicht, und nur über den Katalysator eines Millionärs im Rollstuhl – nicht, weil er Geld gibt, sondern weil er ihr ebenfalls seine Liebe gestehen will und nobel zurückweicht, als beide sich vor ihm streiten. Weil dies die beste Liebeserklärung ist.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios