Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „She Done Him Wrong“
She Done Him Wrong
USA 1933. Regie: Lowell Sherman, mit Mae West, Cary Grant, Owen Moore
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72.
Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei
Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis
1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei
Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
In „the gay nineties“ spielt dieser Film, in den 1890ern, als alles noch gut war – im Gegensatz zur Depressionszeit ab 1929. Mae West schlüpft hinein in wohlige Vergangenheit, da kann sie so richtig auf die Pauke hauen.
Fast zehn Minuten dauert es, bis sie auftritt; die zehn Minuten sind gefüllt damit, dass Männer von ihrer Lou schwärmen, weil sie so schön ist, so schön! In der Kutsche fährt sie dann vor, steigt aus, tätschelt einen Buben, dessen Tante/Oma/Gouvernante kennt Lou, „one of the finest girls“; Mae West kontert kokett: „One of the finest girls ever walked the streets.“ Damit ist von vornherein klar, worum es in diesem Film geht: Um Mae West und ihre Oneliner, sonst nix. „She Done Him Wrong“ ist die Filmfassung ihres Bühnenstücks, mit dem sie am Broadway großen Erfolg hatte – Paramount hat West deswegen unter Vertrag genommen, den Film gedreht, das Stück entschärft wegen der Zensur, die drohte, und ihn mit knapp über einer Stunde Laufzeit ins Kino geschickt – und Erfolg gehabt.
Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Mae West genügt. Sie bezirzt die Männer und lässt sich von ihnen mit Diamanten beschenken: „Diamond Lil“ hieß die Vorlage, hier wird Lou draus, der Name ist Schall und Rauch, der Inhalt macht’s. Mae West in überbordender Kleidung mit überbordenden Diamanten und überbordendem Sex-Appeal, so viel, dass es schon kein Sex-Appeal mehr ist. Sondern – ja was: dessen Parodie? Oder dessen Transzendierung ins Göttliche? West setzt ihren ganzen Körper ein, aber nicht als Waffe, sondern entwaffnend; keiner kann ihr widerstehen, aber es ist alles Spiel, Ironie durch Übertreibung. Wie sie hin und her wogt, wie ihre Diamanten und ihre Kleider glitzern! Das ist ihre Kunstfigur, auf der sie ihre Karriere aufbaut – und sie zeigt Rollen, die ebenfalls ihre Karriere auf Glitzer aufbauen, und auf den offensiven Flirt, auf die Reputation.
Lou sammelt primär Männer und sekundär – aber in der Hauptsache – Diamanten, sie ist ein material girl, aber ein kluges und vor allem schlagfertiges. Sie haut die Sprüche raus wie nix; das macht wohl auch den Erfolg des Films aus, denn filmhandwerklich ist hier einiges vergurkt, von statischen und geradeaus langweiligen Kameraeinstellungen bis zu kruder, unrhythmischer Montage.
Witzig ist West, sie stellt sich stets in den Mittelpunkt; damit verfolgt der Film – und die weiteren West-Filme – eine ähnliche Strategie wie die Marx-Brothers-Komödien: die komischen Figuren werden in eine standardisierte, nichtssagende, unwichtige Handlung hineingespritzt wie Senf in einen Berliner; in ihren Szenen toben sie sich aus, der Rest ist unwesentliches Beiwerk.
Sie tritt auf, ein Handlungsbeiwerk-Darsteller smalltalkt: „Ich habe viel von Ihnen gehört“ – sie knallt ihn ab: „Aber Sie können’s nicht beweisen.“ Oder natürlich, ganz berühmt: „Ich mochte immer Männer in Uniform. Why don’t you come up some time and see me?“ Das sagt sie zu Cary Grant, der im Nachtclub herumlungert, um die armen Seelen vor dem Verderben zu bewahren; er ist Leiter einer Heilsarmee-Mission in der Nachbarschaft; und lehnt das Angebot natürlich ab. „Komm mal hoch, ich les dir die Zukunft“, lockt sie weiter, sie erzählt’s auch keinem weiter. Er lehnt immer noch ab, ist abends immer beschäftigt – „Are you trying zu insult me?“ Im Übrigen: „When women go wrong, men go right after them“, ein weiterer der unzähligen Bonmots, die den Film ausmachen, bis zum Ende, wenn sie von einem Mann mit einem Ring gezähmt wird (werden soll): „You bad girl!“ – „You’ll find out…“
Ihre aktuellen und früheren und auf später hoffenden Liebhaber sind auf verschiedene Weise in böse Geschäfte verwickelt, was sich im Lauf des Films miteinander verquirlt: Einer bricht aus dem Gefängnis aus, ein anderer ist in Mädchenhandel verstrickt, ein weiterer ist mit Erpressungen und Nötigungen unterwegs; mittendrin Lou, die es gewohnt ist, die Oberhand zu behalten, und die auch alle nach ihrem Hüftschwung tanzen lässt. Sie hat’s halt drauf, genau darum geht es in dem Film.
Was Mae West wirklich drauf hat, ist der Rhythmus – nicht nur wenn sie geht und steht saust er in Wellen durch ihren Körper, nicht nur wenn sie spricht klingt er in ihrer spezifischen Sprachmelodie, vor allem, wenn sie auf der Bühne singt: Selten, vielleicht nie wird man im Goldenen Hollywoodkino so schwarzen Gesang von einer weißen Sängerin hören. Wie sie Synkopen lang dehnt, wie sie die Melodie ins Zwischenreich der Töne gleiten lässt – sie hat viel gelernt vom originalen Jazz und Blues der Schwarzen, und sie kann ihn performen: „I Wonder Where My Easy Rider’s Gone“ – nur sie kann das so bringen, nicht als Aneignung, sondern aus Zuneigung.
Harald Mühlbeyer
Fotos (c) Universal Studios