Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „Take a Letter, Darling“

Take a Letter, Darling

USA 1942. Regie: Mitchell Leisen, mit Rosalind Russell, Fred MacMurray, Macdonald Carey

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Rosalind Russell ist A. M. MacGregor, genannt Mac. Unfassbar: Sie ist weiblich. Obwohl sie Boss ist einer Werbefirma und Millionenaufträge landet. Dies liegt daran, dass Mac weiß, wie das Spiel gespielt wird. Dass nämlich alle Welt das Private mit dem Beruflichen mischt, dass Deals im Nachtlokal bei Dinner und Tanz abgeschlossen werden, und dass der Weg zum Geld über das Herz des Gegenübers läuft. Dass sie also weiblichen Charme ausspielen muss. Die Betonung liegt auf „spielen“, denn sie gibt ihre Weiblichkeit nur vor; das Frausein interessiert sie persönlich nicht.

Tom Vernie braucht einen Job, und er ist höchst erstaunt, dass er einen weiblichen Boss bekommt. Er soll Macs Privatsekretär werden, und das ist ihm höchst suspekt. Wie privat soll es werden – wird er zur Nutte? Die Umkehrung der Geschlechterrollen in dieser beruflichen Konstellation offenbart wissentlich oder unwissentlich, wie im Film arbeitende Frauen gesehen werden. Hat nicht schon Rosalind Russell in „Hired Wife“ erklärt, dass alle Sekretärinnen in ihren Boss verliebt sind?
Genau damit hat Rosalind Russell in „Take a Letter, Darling“ zu schaffen – dass all ihre Sekretäre irgendwann in sie verliebt waren. Ihr Problem: Männlich müssen sie sein, weil sie sie braucht bei den abendlichen Geschäftsanbahnungen. Beispielsweise muss Vernie ihren Verlobten spielen, weil die Ehefrau des stinkreichen potentiellen Werbekampagnen-Auftraggeber zu eifersüchtig wird über die geschäftlichen Treffen zwischen Unternehmer und PR-Fachfrau, und sie würde dem Deal niemals zustimmen.

Nach diesem Abend, und Vernies Versicherung, sich niemals in Mac zu verlieben, erhöht sie sein Gehalt auf 100 Dollar die Woche.

Sie kommt, als Person, gar nicht auf die Idee, die private Weiblichkeit mit der Sachlichkeit der Profession in Verbindung zu bringen. Sie empfängt Vernie in der Damenumkleide in der Boutique, in Unterwäsche, und nimmt ihn mit in ihr Wochenendhaus, für ein Arbeitswochenende. Beruf ist neutral, zumindest was sie betrifft. Oder?

 

Es ist also eine vollkommen moderne Einstellung, die Rosalind Russell hier verkörpert, die erfolgreiche Businessfrau, die im Business nicht Frau, sondern erfolgreich ist. Und über eine Strecke zeigt „Take a Letter, Darling“ die oberflächliche Fleischbeschau der Männer, die das tumbe Begehren, das hochkocht, sobald mann’s mit einer Frau zu tun bekommt; Geschäftstüchtigkeit wird da ersetzt durch Geschlechtstrieb. Das ist eine schöne Umkehrung, da wird einiges deutlich… Doof, dass der Film dies im Folgenden aufzuweichen versteht – mit durchaus komischen Verwicklungen, aber auch allzu starker Verhaftung in den Konventionen der Rollenklischees der Goldenen Hollywood-Ära.

Den Zehn-Millionen-Dollar-Auftrag eines Tabakunternehmers erhält sie fast nicht, weil sie eine Frau ist – und er bereits viermal geschieden mit hohen Alimente-Zahlungen. Frauen hält er sich fern! Mit ihrem Geschäftssinn schafft sie es, seine Frauenhasserschale zu knacken – mit der Folge, dass er sich verliebt, na klar. Das letzte Wort aber hat die Schwester des Tabakmenschen, und die ist schön, und Vernies Aufgabe ist es, sie zu bezirzen, weil es auch hier natürlich nur über das Liebesgefühl geht, einen Geschäftsauftrag abzuwickeln. Wo doch schon Vernie in sie verliebt ist; und sie in Vernie, was sie sich einzugestehen verbietet; außer, dass sie zunehmend eifersüchtig reagiert.

Mac also wird hineingezogen in die allgewaltige Gefühlswallungen, Rosalind Russell macht aber das Beste aus den Zwängen, die ihr die Hollywood-Standardmaschinerie aufzwängt. Sie ist komisch, auf ihre sachliche Art, das ist sie immer – und sie weiß, das auszudrücken, was eigentlich das Beste für sie wäre: Nämlich zu arbeiten, weiterhin die Firma zu schmeißen, beschäftigt zu sein und Erfolg zu haben. Und dabei auch über ein paar Männerherzen zu gehen. Stattdessen zwingt ihr der Film letztendlich auf, mit Vernie – einem erfolglosen Maler – im Wohnwagen durch Mexiko zu fahren, womit das Happy End gesichert ist, das das Hollywoodkino erfordert. Es ist für Russell in ihrer Mac-Rolle nicht angemessen. Und hoffentlich findet sie zurück in den Beruf.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios