Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „True Confession“
True Confession
USA 1937. Regie: Wesley Ruggles, mit Carole Lombard, Fred MacMurray, John Barrymore
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale
vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele
von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt
haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit
drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
Wieder Fred MacMurray, ein großer Komödiant mit perfektem Timing und klarem Bewusstsein, was wie auf der Leinwand rüberkommt – er war gegenüber Carole Lombard in „Hands Across the Table“ der alberne Typ zum Verlieben, und in „Take a Letter, Darling“ musste er als Sekretär von Rosalind Russell bestehen. Hier nun spielt er einen ehrlichen Anwalt, der nur Unschuldige verteidigt – das ist an sich natürlich schon ein Witz, und da sitzt er in seinem heruntergekommenen Büro und wartet auf Mandanten, und der einzige, der auftaucht, ist einer, der bestreitet, beim Metzger Schinken gestohlen zu haben, aber um Aufschub bei der Bezahlung bittet, bis er die Schinken verkauft hat. Auf dem Schreibtisch hat MacMurrays Ken Bartlett eine Flasche, und es ist nicht die obligatorische Büroflasche Whisky aus den Hardboiled-Krimis, sondern Milch.
Carole Lombard spielt seine Frau Helen, leichtköpfig, fantasievoll, head in the clouds; sie schreibt Geschichten, die keiner kaufen will, sorgt sich einerseits um das Einkommen der kleinen Familie, lebt andererseits im Wolkenkuckucksheim ihrer Schwindeleien, die ihr einfach so aus dem Mund ploppen. Der Vermieter will die Schreibmaschine pfänden, und sie spinnt eine Geschichte zusammen von ihrem Mann, der verrückt wurde wegen des gestorbenen Babys und nun die Schreibmaschine liebevoll in Armen hält… Sie kommt damit durch, der Vermieter lässt ihr das Arbeitsgerät, sie ist ja auch süß dabei, und nur ihre Freundin Daisy durchschaut sie – und der Zuschauer: Denn immer, wenn wieder mal eine ihrer spinnerten Ideen in ihrem Kopf Form annimmt, schiebt sie kindlich die Zunge in die Wange.
Nun hat Helen, hinter dem Rücken ihres Mannes, einen Job angenommen. Er hat sich das natürlich verbeten, denn wie sieht das aus: Sie ist ja keine der gelangweilten Frauen, die wegen der Ödnis ihrer Tage arbeiten wollen – bei ihr hieße eine Stellung, dass der Mann sie nicht ernähren kann. Privatsekretärin soll sie sein, obwohl sie kein Steno kann, für 50 Dollar die Woche – wie unseriös dies ist, geht ihr erst auf, als der Chef sie heftig bedrängt. Sie boxt ihn in den Bauch und haut ab – und kehrt zurück, um ihren Mantel und die Handtasche zu holen. Da ist der böse Boss tot, und sie wird festgenommen.
Und im Verhör kann Carole Lombard wieder ihre präzise Fähigkeit zum Doppelspiel präsentieren; einerseits ist sie völlig eingeschüchtert, wenn der Kommissar aber die Möglichkeiten, wie der Mord vonstatten ging, ausbreitet, dann blüht sie auf, im Reich der Fantasie ist sie zuhause, und sie reichert seine Theorien begeistert mit ihren eigenen Ideen an; tongue in cheek, buchstäblich: als reizvolles Spiel mit Lüge und Wahrheit, die den Film ohnehin antreibt.
Denn, wie sich herausstellt: Wenn sie fälschlich gesteht, hat sie größere Chancen, davonzukommen, nämlich wegen Notwehr – ihr Mann verteidigt sie, für ihn ist der große Fall, auf den er gewartet hat. Sie will ihn nicht enttäuschen, lügt also herbei, den Sexualaggressor getötet zu haben, stellt damit alle zufrieden, auch ihr eigenes Münchhausensyndrom – nur darf natürlich Ehemann/Anwalt Ken nichts von der Lüge erfahren, als notorisch ehrliche Haut. Der in seinem Plädoyer übrigens, zu Helens Freude, das Recht der Frau auf Arbeit gepriesen hat.
Angereichert wird das witzige Spiel um das Lügengespinst durch einen Verrückten. Den spielt John Barrymore, ein abgehalfterter Dandy in der Bar, der seine Theorien über das Leben mittels eines Luftballons demonstriert, dem die Luft ausgeht, der von sich selbst als Kriminologen so überzeugt ist, dass er Stammgast ist bei Gericht, der alle – vor allem den Bartender – für Idioten hält und daher den erhofften Alkohol nicht eingeschenkt bekommt. Er ist wieder eine dieser grandiosen Nebenrollen, die den Film nochmals aufwerten, ihn füllen und zugleich eine ganze Spur verrückter machen – er spielt – nach „Twentieth Century“ – erneut sich selbst karikierend den egomanischen Wahnsinnigen, mit viel Lust an Witz und Spaß. Und mit dessen Auftritt zum Finale das Rätsel um den Mordfall bis in alle Ewigkeit ungelöst bleiben wird.
Harald Mühlbeyer