Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Mr. & Mrs. Smith“

Mr. & Mrs. Smith

USA 1941. Regie: Alfred Hitchcock, mit Carole Lombard, Robert Montgomery, Gene Raymond

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„Mr. & Mrs. Smith“ ist eine der wenigen Ausflügen von Alfred Hitchcock ins Komödiengenre; doch anders als in „The Trouble With Harry“ oder „To Catch a Thief“ kann er mit diesem Stoff für eine Screwball-RomCom wenig anfangen. Die Gags gehen weitgehend daneben, und schon allein das ist erstaunlich, weil die Pointen in seinen Thrillern ja immer sitzen. „Der Film entstand aus meiner Freundschaft mit Carole Lombard“, erklärt Hitch gegenüber Truffaut: „Sie frage mich: ‚Würden Sie einen Film mit mir machen?’ Ich weiß nicht, weshalb ich angenommen habe. Ich habe mich mehr oder weniger an das Drehbuch von Norman Krasna gehalten. Da ich die Art von Leuten nicht verstand, die in dem Film gezeigt wurden, habe ich die Szenen fotografiert, wie sie geschrieben waren.“

Und auch wenn man all die Koketterie berücksichtigt, zu der Hitchcock fähig ist, und auch, wenn man all die Mythenbildung berücksichtigt, die Hitchcock im Truffaut-Interview betreibt, trifft es diese (Selbst)Einschätzung doch ziemlich genau.

Carole Lombard spielt Ann Smith, und sie hat in ihrer Ehe klare Regeln aufgestellt: Bei einem Streit müssen die Ehegatten so lange im Schlafzimmer bleiben, bis sie versöhnt sind (und das bedeutet nicht Sex, sondern Entschuldigungsagen). Regel Nummer 7 wurde eigentlich aufgehoben, sie beharrt dennoch darauf: Nämlich bei Fragen eine grundehrliche Antwort zu geben. Sie hat es sich also selbst zuzuschreiben, wenn ihre Ehemann David auf die Frage, ob er alles noch einmal genauso machen würde, antwortet, dass er wohl eher nicht geheiratet hätte. Sie ist sauer. Sie hatte beim Frühstück ihre Füße seine pyjamabedeckten Hosenbeine hochgeschoben, jetzt zieht sie sie wieder raus (das ist wohl die äußerste Möglichkeit, so etwas wie ein körperliches Eheleben in Hays-Code-Zeiten zu zeigen; Hitch macht das sehr gut!)

Der Zufall will es, dass es in den USA zwischen den Bundesstaaten doofe Gesetze gibt, und weil der Ort, in dem Ann und David geheiratet haben, dem falschen Bezirk im falschen Staat zugeordnet war, sind alle Ehen, die dort seit 1936 geschlossen wurden, ungültig. Ist ja klar; da kann David, seines Zeichens Anwalt, nichts machen. Aber es ist nichts passiert: Er bekommt vom Standesbeamten seine zwei Dollar für die Heiratslizenz zurück, also kein Cent verloren!

Auch Ann bekommt diesen Makel in ihrem Zusammenleben mit. Und wartet darauf, dass David ihr einen neuen Antrag macht. Was dieser verstoffelt. Und sie schmeißt ihn raus. Wenn schon nicht verheiratet, dann richtig! Wurschtegal, dass sie drei Jahre lang in wilder Ehe lebte – jetzt genießt sie das Single-Dasein. David ergeht sich in Selbstmitleid.

Rainer Rother schreibt in seinem Band zur Berlinale-Retro über den Film: „Konventionell entworfene, stereotyp geschriebene Charaktere waren das Material für Carole Lombard, abhängig jeweils davon, wie weit das Drehbuch einer freieren Interpretation Raum bot. In ihren Komödien nutzte sie die Vorlagen, um ihre Figuren in eine Richtung zu entwickeln, die vermutlich von den Autor/-innen nicht immer vorgesehen war. [...] Ann Smith ist von der ersten Szene an schwierig, um es gelinde auszudrücken.“ Und später: „Das böse Wort ‚zickig’ grundiert den Entwurf dieser Mrs. Smith, durchaus passend für einen Hitchcock-Film.“ Ja, es ist absolut richtig, dass Carole Lombard ihre Ann sehr viel liebenswerter spielt, als sie geschrieben wurde – sie hat ihre Ausfälle, die geradezu obsessiv aggressiv sind; bei einem Mann würde man es wohl cholerisch nennen, bei ihrer Ann ist es freilich immer weiblich konnotiert: Sie fordert wütend, und sie will bekommen, was sie fordert. Beispielsweise, dass ihr Mann nachgibt, und wenn sie 8 Tage im Schlafzimmer ausharren müssen. Aber es ist nicht so, dass nur Ann als „schwierig“ charakterisiert ist. Auch David verhält sich allzu wurschtelig; er unternimmt stets das genau Falsche, um die juristisch ledige Ann zurückzugewinnen. Statt die gemeinsamen Jahre mit ihr heraufzubeschwören, versucht er in die verriegelte Wohnung einzudringen, er beschattet sie, indem er ihr im Taxi hinterherfährt, er wird handgreiflich an ihrer Arbeitsstelle als Verkäuferin. Mal ehrlich: Warum sollte sie ihn zurückhaben wollen?

Die Antwort liegt in den Mysterien der Drehbuchkonventionen, dass ein Paar, das als Paar beschrieben wird, auch ein Paar werden und bleiben muss. Egal, was dagegensteht – und wenn es das Paar selbst ist.

Und Hitchcock interessiert sich nicht dafür, filmt einfach, was zu filmen ist – er war frisch in Amerika, musste sehen, wie er sich einrichtet in Hollywood, und musste seine Nische erst einmal schaffen. Und wenn nun die Charaktere nicht zur Story passen, und wenn die Darsteller – und eben vor allem Lombard – sich einzufügen haben in die Klischeehandlung, dann ist das halt so, abgehakt und fertig.

Dass er allerdings auch lustigen Szenen den Witz nimmt, überrascht dann doch. Lustig ist beispielsweise, wenn David mehr oder wenig unwillig sich mit „Damen“ (= Prostituierten) im Nachtlokal trifft und dabei seine Ann mit ihrem Neuen flirten sieht, worauf David Ann eifersüchtig macht, indem er seiner unbeteiligten Sitznachbarin mimisch, aber lautlos scheinbare Liebesworte zuflüstert; aus der Situation kommt er nur raus, indem er sich selbst die Nase blutig haut. Aber andere Szenen versteht Hitchcock nicht, im ganzen komisch zu gestalten. Wenn Ann mit ihrem neuen Verlobten (ja, verlobt muss sein!) im Vergnügungspark hoch oben feststeckt, dann holt er nicht mehr als einen Schnupfen aus der Episode. Sogar wenn der Verlobte im Folgenden besoffen ist und dabei sich unendlich abmührt, weiterhin Gentleman zu sein, gibt es keine Lacher. Auch am Ende Ann, die im Alleingang eine Liebesszene mit ihrem Lover akustisch nachstellt, um den verlorenen Ehegatten zuhörenderweis eifersüchtig zu machen, ist nicht ausgereizt.

In diesem Film bleiben alle unter ihren Möglichkeiten.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Deutsche Kinemathek