Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Every Day’s a Holiday“

Every Day’s a Holiday

USA 1937. Regie: A. Edward Sutherland. Mit Mae West, Edmund Lowe, Charles Butterworth, Charles Winninger

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


In „Klondike Annie“ hat Mae West gleich zu Anfang eine tolle Performance hingelegt: In der chinesischen Nachtclubhölle spielt sie einen tollen Song, „I’m an occidental woman in an oriental mood for love“: ein Arrangement, das tiefen Blues mit leichten chinesischen Klängen verbindet. In „Every Day’s a Holiday“, ihrem übernächsten Film eineinhalb Jahre später, tritt Louis Armstrong auf: Aus ihrer Liebe zur afroamerikanischen Musik macht Mae West keinen Hehl, so gut es eben geht im Studiosystem. Armstrong tritt da als Straßenkehrer auf, das ist der Platz, der den Schwarzen im Film der 30er zugewiesen ist. Allerdings ist dies nur der Auftakt zu seinem Auftritt, er trägt einen frischen weißen Anzug, aus dem er seine Trompete holt, um loszuspielen – er ist Teil der kulturellen Revolution, die der Film feiert, reiht sich ein in die Wahlkampfparade, die Wests Figur der Peaches O’Day zugunsten von Jim McCarey anführt, der für als Bürgermeister von New York kandidiert. Sie würde sich auch selbst aufstellen, aber das ist gegen die Verfassung – allerdings ist sie Suffragette, wie sie betont.

 

Hat sich Mae West in „Klondike Annie“ noch einigermaßen ernsthaft mit den Moralwächtern beschäftigt, bleibt in „Every Day’s a Holiday“ nur noch Spott über die selbstgerechten Heuchler, die über Anstand und Sitte wachen wollen. Die hier schonungslos der Lächerlichkeit preisgegeben werden, weil sie in unterschiedlicher Hinsicht Trottel sind.

 

„Every Day’s a Holiday“ geht, wie die beiden vorherigen Filme, weit über die Farcen ihres Frühwerkes hinaus. West hat offenbar spätestens nach „Goin’ to Town“ gemerkt, dass sie mit sich selbst im Mittelpunkt, aber ohne unterstützende Dramaturgie künstlerisch nicht weiterkommt; die Abkehr in „Klondike Annie“ von der Formel und die Anwendung weiterer Unbekannter in „Go West Young Man“ waren überzeugende Weiterentwicklungen ihrer filmischen Kunst; dieser Film reiht sich nahtlos ein, denn hier lässt West nicht nur andere (auch) glänzen, sie baut auch statt reiner Dialogkomik auch visuelle Gags ein – drei Polizisten, die im synchronen Wiegeschritt auf die Kamera zugehen…

 

Wieder die 1890er, allerdings das Ende: Silvesternacht 1899, alles wartet aufs neue Jahrhundert. Peaches O’Day ist notorisch kriminell, aber Polizist McCarey hat Verständnis; er weiß, dass sie nicht böse ist, hat sie dementsprechend lieb – und zwar ohne die sexuelle Konnotation, die das Begehren sonstiger Männer in sonstige Mae West-Figuren ausmachen. Sie ist gerade mal wieder dabei, die Brooklyn Bridge zu verkaufen, an einen deutschen Einwanderer mit heftigem Akzent (Herman Bing), für 200 Dollar gegen Quittung. Frrrritz Krrrausemeyer heißt er, „nau I’m se prrroprrrietorrr of Brrrucklin Brrritsch!“ Eine urkomische Szene, die eben nicht auf Wests Schlagfertigkeit beruht, sondern auf dem Aufbau einer Szene, auf dem Heraufbeschwören einer Situation. Später ein weiterer Coup: Sie stellt einen ahnungslosen, betrunkenen Helfer vor eine Schaufensterscheibe, ritzt seinen Umriss ins Glas, so dass er bequem einsteigen kann. Wie sie ihn dirigiert, um ihr die schönsten Kleidungssachen zu bringen, wie sie einen Polizisten auf Streife foppt, wie der Helfer alles einigermaßen durcheinanderbringt, aber der Raubzug dann doch gelingt, ist sehr, sehr lustig. Und fast ohne Oneliner.

 

Peaches wird aus der Stadt verbannt, doch ein Theaterproduzent hat eine Idee: Sie erscheint wieder, in französischer Verkleidung als Fifi; denn gemeinsam mit dem Produzenten hat sie einen Geldgeber aufgetan, der heißt Van Reighle Van Pelter Van Doon und ist Chef der Anständigkeitsliga. Seit 20 Jahren hat keine Frau mehr seine Villa betreten, dann ist Peaches aufgetaucht und hat ihn um 180° gedreht. Und zwar eben nicht mehr durch offensive Verführung, sondern durch ihren Charme und ihre Aussehen, dem sie keine Attacke hinzufügen muss. 250.000 Dollar für die Revue: Ein voller Erfolg – sie singt von ihrer Verführungskraft und lädt ein, doch mal zu ihr hoch zukommen. Und dem Polizeichef Quade ist das ein Dorn im Auge – denn Peaches will ihn nicht in ihrer Garderobe empfangen. Das Theater muss schließen, ist aber nicht unzüchtig genug – der Ausweg, der immer geht, ist der Brandschutz (vgl. Armin Laschet vs. Hambacher Forst). Peaches/Fifi läuft zu Hochform auf, wenn sie Quade in seinem Büro aufsucht und ihn aggressiv anmacht – geradezu die Parodie einer Mae West-Figur, in französischem Akzent und mit höchstem Temperament, wenn sie zwischendurch ausflippt, Gegenstände wirft, den Vorhang runterreißt, dann wieder schmeichelt und streichelt – das ganze Repertoire zwischen Heiliger und Hure, aber nicht mehr als grundsätzliche Charaktereigenschaft, sondern als Mittel zum Zweck.

Peaches und die Künstler der Stadt rufen McCarey zu ihrem Kandidaten aus, und wer immer irgendwas kann – Jongleure und Einradfahrer und Akrobaten und eben der trompeteblasende Straßenkehrer Louis Armstrong – stellen sich hinter die Kampagne; und Quade macht sich dazu noch von sich aus lächerlich. Denn natürlich ist der saubere Polizeichef korrupt und hat einige Halunken in petto, die dem Rivalen in die Parade fahren.

 

Mae West macht sich unverhohlen lustig über die moralinsauren Fahnenträger der Anständigkeit; Van Doon ist ja auch so einer, auch wenn er auf ihrer Seite ist – aber was der mit seinem Butler für Slapstickspäße aufführt, das hätte es in früheren West-Filmen so nicht gegeben: Hier aber kann jeder Darsteller so richtig einen draufmachen auf komischem Gebiet; und dass sich Leute zum Trottel machen, ist ja das Salz in der Suppe einer gelungenen Komödie.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios