Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Lady by Choice“

Lady by Choice

USA 1934. Regie: David Burton, mit Carole Lombard, May Robson, Roger Pryor, Walter Connolly

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Patsie ist eine alte Vettel, ein trunk- und streitsüchtiges altes Weib, das schon mehrmals vor Gericht Besserung hat geloben müssen; diesmal wird sie verurteilt. Der nächste Fall von Richter Daly ist der von Alabam Lee, die auf Bewährung verurteilt wird wegen unzüchtigen Fächertanzes. Fächertanz, das ist sowas wie Striptease, das ist sowas wie Prostitution.

Alabam Lee hat einen Manager und einen PR-Agenten. Letzterer hat eine super Idee: Sie kann ihr Image aufpolieren, indem sie am Muttertag eine Mutter adoptiert. Und so kommt es zur Paarung von Alabam und Patsie. Denn letztere wurde, wegen der Milde des Richters, in ein Altenheim abgeschoben, nicht in den Knast. Hier steht sie, nicht wiederzuerkennen: Eine nette alte Dame mit gepflegter Ausdrucksweise. Alabam nimmt sie, sie weiß, worauf sie sich einlässt: „Good for laughs!“

Carole Lombard spielt die Tänzerin elegant und selbstbewusst; das heißt auch, dass ihre Alabam sich bewusst ist, nicht mehr zu können als zu tanzen. Der Tanz ist nicht Ausdruck von Unabhängigkeit – er könnte der Beginn für eine Laufbahn sein, die da endet, wo Patsie nun steckt. Sie steht am Scheideweg, Patsie drängt sich als Mentorin auf. Patsie hat alles in ihrem Leben versucht, außer die Mutterschaft: „Ich kann dir nicht das Gute beibringen, das du tun sollst, sondern das Schlechte, das du lassen sollst.“ Für Patsie ist Alabam die letzte Chance, nicht elend auf der Straße zu verrecken. Für Alabam ist Patsie die Chance, einen anderen Weg einzuschlagen.

Der Mittelteil des Films besteht aus der Beziehung der beiden zueinander, dem dynamischen Verhältnis, in dem jede von der anderen lernt. Das funktioniert sehr gut, das Zusammenspiel zwischen Lombard und May Robson in der Rolle der „Mutter“ geht ineinander über. Aber das Geld geht aus, Patsie hat Ambitionen, die Alabam nicht erfüllen kann. Und Carole Lombard ist nicht der Typ, um im Film weibliche Eigeninitiative zu ergreifen. Ihre Alabam wird zum gold digger, die macht sich an einen reichen Mann ran, der sie aushalten soll – Mae West hat diesen Typus bis ins Absurde gezogen, bei Lombard spielt immer auch etwas Unschuldiges mit. Ihr reicher Verehrer ist Johnny Mills, dessen Vater mit Patsie ein Verhältnis hatte, der deshalb auf Alabams Mutter aufpasst – was sich kompliziert anhört, ist, für eine Komödie, recht unchaotisch, dafür aufgeladen mit moralischen Manschetten, die Alabam bekommt, als sie sich in den Menschen, nicht ins Geld verliebt.

Carole Lombard spielt Rollen, die auf das Frausein aus sind, auf die Ehe. Und dadurch mittelbar auf Sicherheit materieller Art, durch die Liebe.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures