Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „The Women“
The Women
USA 1939. Regie: George Cukor, mit Norma Shearer, Joan Crawford, Rosalind Russell, Paulette Goddard, Joan Fontaine
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72.
Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei
Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis
1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit
drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
„ I knew that Norma would walk off with the audience
sympathy and that Roz Russell would walk off with the picture, and that I'd be
hated.“ Joan Crawford sagte dies in einem Interview über „The Women“, sowohl
Wikipedia als auch Rainer Rother in seinem Buch zur Berlinale-Retrospektive zitieren
die Aussage – sie stimmt ja auch. Crawford spielt das böse Biest; Norma Shearer
die brave Mutter, die von ihrem Mann betrogen wird – mit der Crawford-Figur.
Rosalind Russell spielt als Sylvia Fowler die Frau, die alles ins Rollen
bringt, die es liebt, wenn sie Informationen bekommt über andere und diese den
übrigen mitteilen kann und wenn dann etwas hochkocht. Sie ist die Klatschbase,
als solche weniger ein Charakter als ein Typ.
Nun ist der gesamte Film weniger einer über wirkliche Charaktere, sondern einer, der Typen von Frauen gegenüberstellt und dabei auch im Klischee badet: Zwischen Schönheitssalon und Modenschau entfalten sich die Gespräche der Frauen, die meist über Abwesende geführt werden, mal mitfühlend, mal hetzerisch (Sylvia!) – insofern ist der Film gut gemachte High Class-Seifenoper. Das wird deutlich bei der Modenschau, die nämlich in Farbe, als fünfeinhalbminütige Technicolor-Sequenz, den Film unterbricht: Das ist als Sensation für die Zuschauer(innen) inszeniert, die schwelgen können in den schönen Kleidern, und eben weniger für die Filmfiguren, die nämlich ohnehin die ganze Zeit schöne Kleider anhaben, allerdings in schwarzweiß. Der Film offenbart hier, dass es ihm um den Glanz der Oberfläche geht und um die Präsentation von Luxus. Die Filmfiguren schwimmen alle im Geld, das liegt daran, dass die Männer offenbar gute Jobs haben; zu sehen sind die Männer nie im Film, „The Women“ ist berühmt für seinen all-female cast. Und er dreht auch einige Pirouetten, um die Männer außen vor zu lassen. Streit oder ähnliches, wo ein Mann direkt mit im Spiel ist, wird nicht direkt erzählt, sondern über den Klatsch unter Hausangestellten.
Russell ist mit Klatsch und Tratsch diejenige, die allen Freundinnen – oder „Freundinnen“ in Anführungszeichen – davon erzählt, dass Marys Mann diese betrügt; noch bevor Mary etwas ahnt. Und sie stößt Mary auf diese Tatsache, indem sie ihr denselben Nagellack empfiehlt – bei der Maniküre hat sie alles mitbekommen. Und wie Russell das spielt, das stiehlt wirklich allen die Show, weil sie gezielt übertreibt, gezielt die überkandidelte Tratschtante gibt, aber niemals den Rahmen sprengt dieses ohnehin komplett künstlichen Luxus-Films. Wie sie lauscht und hin und her guckt und mit Händen und Füßen ihre Neuigkeiten verbreitet und helle Freude hat am Lästern über andere!
Mary hat irgendwann genug, will sich scheiden lassen, reist nach Reno, wo das ganz leicht geht. Dort wohnt sie mit anderen scheidungswilligen Frauen auf einer Art Ranch, wir sind schließlich nicht mehr in New York, sondern auf dem Land. Und hier, in Wildwest-Setting, taucht plötzlich auch noch Russells Sylvia auf, sie muss einfach da sein, wo etwas los ist – nur dass diesmal sie selbst im Mittelpunkt steht, unversehens. Denn hier erfährt sie, dass sie selbst hintergangen wird, und dass die Geliebte ihres Mannes just neben ihr sitzt. Und die beiden fangen einen Streit an, dass es eine Lust ist, sie schlagen und treten und reißen sich an den Haaren und die Kleider vom Leib, und Russell beißt Paulette Goddard, ihre Rivalin, ins Bein. Und beide machen dabei so eine ganz und gar nicht frauliche Figur! Der Nervenzusammenbruch, der Sylvia anschließend befällt, ist für ihre Figur echt – und gleichzeitig eine Inszenierung für andere, weil Sylvia nie „echt“ sein kann, immer einen Auftritt haben muss.
Rosalind Russell eben spielt neben der High Society-Tricksterin auch eine komische Slapstickfigur, und das nimmt gar nichts von ihrem Typen weg. So wie in „Four’s a Crowd“ Errol Flynn immer wieder über alles mögliche gestolpert ist, wenn er grade nicht die Oberhand hat, so fällt auch Sylvia hier mal in eine Truhe rein, so dass nur noch die Beine rausgucken; oder sie wird bei der Gymnastik gezeigt, in höchst unvorteilhaften Posen, krumm und bucklig und mit gespreizten Beinen, quer zur ganzen Eleganz, die diese MGM-Produktion sich so sehr zu verbreiten bemüht: Das ist sehr komisch, und es passt voll zu dieser Sylvia, weil es beinahe so etwas wie einen psychologischen Hintergrund abgibt. Die Frau, die so gerne überlegen sein möchte, und die doch ganz unabsichtlich sich immer wieder zum Affen macht. Und dann umso mehr über andere herziehen muss, bis die Grube so tief ist, dass sie einfach selbst reinfallen muss.
Harald Mühlbeyer
Bilder (c) Loew's Inc.