Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „His Girl Friday“

His Girl Friday

USA 1940. Regie: Howard Hawks, mit Cary Grant, Rosalind Russell, Ralph Bellamy

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

„His Girl Friday“: Ein Klassiker der Screwballkomödie, der das Chaos zelebriert. Und der mit Rosalind Russell eine Hauptdarstellerin hat, die gegen Cary Grant besteht, auch wenn der ihr mit seinen Manipulationen doch immer einen Schritt voraus ist – immerhin ist sie die einzige, die ihn bei seinen Schwindeleien und Betrügereien durchschaut, und zwar stets ziemlich schnell.

Die beiden waren mal verheiratet, nun stellt sie ihm, durchaus triumphierend, ihren Verlobten vor, während er nur von seiner Zeitung schwärmt: Er ist Chefredakteur, sie war seine beste Reporterin. Er will sie zurückhaben, zuallererst beruflich, zweitens auch romantisch. Wobei für ihn stets der Beruf das Private überschwappt. Das ist bei Bruce, dem Verlobten von Hildy Johnson, anders. Er ist Versicherungmakler, bei ihm ist Büro Büro und Zuhause Zuhause, und das verspricht ein geruhsames Leben in der Provinz. Hildy will wegkommen von der Hektik als Newspaperman; sie setzt sich absichtlich auf kalten Entzug. Und natürlich hält sie das nicht aus, ihr Boss Walter Burns weiß das genau, und er weiß, wie er sie zurückführen kann an den süchtigmachenden Stoff, der Zeitungsseiten füllt. Sie soll eine letzte Reportage schreiben, dafür schließt er eine Lebensversicherung ab. Natürlich will er den Scheck dafür anschließend wieder stehlen lassen; und die Spesen an Hildy zahlt er mit Falschgeld aus. So einer ist er – ein Schlawiner, aber er ist eben Cary Grant und daher auch charmant.

Hildy im Press Room des Gefängnisses: Dort soll anderntags einer hingerichtet werden, und Hildy will ihm journalistisch Unzurechnungsfähigkeit zuschreiben. Das hat ihr Burns aufgeschwatzt, diese letzte Gerichtsreportage, möglicherweise um einen Unschuldigen zu retten: Denn wollen die beiden Brautleute ihre Ehe mit Blut an den Händen beginnen? Wir tauchen jedenfalls tief ein in den ganz normalen Journalistenalltag, wie er im Film dargestellt wird, komplett mit gelangweilt-zynischen Kollegen, hektischen Telefonaten, einem Gefängnisausbruch, einer Frau, die aus dem Fenster springt und einem Mörder, versteckt im Schreibtisch.

Rosalind Russell entwickelt ihre Reporterinnen-Profession aus „Four’s a Crowd“ weiter, Hildy ist perfekt in ihrem Job, so wie Russell perfekt ist in ihrer Rolle: Immer knapp an der Überspieltheit, aber genau balancierend, irgendwo zwischen ostentativer Sehnsucht nach Ruhe und Frieden und uneingestandener Sucht nach Geschäftigkeit, nach Durcheinander, auch nach dem Ruhm, eine Story vollendet zu haben. Hildy ist hochprofessionell, das Romantische kommt weit hinten – ohne Frage liebt sie, sowohl Bruce als auch Burns, aber vor allem tippt sie, und recherchiert, und organisiert methodisch das Chaos um sie herum.

Sie agiert damit „männlich“, mehr noch: weit effizienter als ihre männlichen Kollegen; kein Wunder, dass Burns sie zurückhaben will in der Redaktion. Bei ihm hätte sie auch nicht das Problem, in der Ehe den Beruf aufgeben zu müssen, vielmehr würde der Beruf die Ehe überlagern. Will sie nicht genau das? Gibt sie sich nicht wissentlich all den Tricks und kleinen Betrügereien von Burns hin? Im Stück, das dem Film zugrunde liegt, sind beide Figuren männlich… Es ist also auch ein Spiel mit den Rollenbildern, das der Film vorführt – Russell steht ihre Frau.

„His Girl Friday“ – das spielt auf Freitag an, den Freund und Helfer von Robinson Crusoe. Aber das tut einer Rosalind Russell-Figur unrecht. Sie ist mindestens Montag.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Park Circus/Sony